Thomas Hoffmann

Blaues Feuer


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soll das?“

      Hans Lederer wog das Beil in den Händen.

      „Dies ist meine letzte Warnung an dich, Lars. Lass die Grete in Ruhe. Und benimm dich.“

      Er warf das Beil auf den Block zurück.

      „Norbert, wir gehen.“

      Norbert sah, dass Lars zitterte, während er dem davonmarschierenden Vater nachsah. Sein Gesicht war aschfahl.

      ***

      Lars Weidner ging Oliver aus dem Weg, wenn er ihm auch wütende Blicke zuwarf, sooft sie sich im Dorf begegneten. Er besuchte Sven Hüttner und fragte, ob es etwas zu tun gäbe, doch Gretes Vater wies ihm keine Tätigkeit an. Grete zeigte offen ihre Verachtung für ihn. Dennoch erschien Lars Weidner beinahe jede Woche am Hof.

      Als es Herbst wurde, nahm Björn Feldnersohn Norbert mit in den Wald auf die Jagd. Er erklärte ihm die Fährten und Losungen der Wildtiere und den Umgang mit Pfeil und Bogen.

      „Das Jagen ist im gesamten Reich nur dem Adel erlaubt, aber wir Grenzsiedler haben die Erlaubnis des Kaisers, für unseren Lebensunterhalt zu jagen,“ erklärte Björn dem Jungen.

      Den gesamten Winter über gingen Norbert und Björn Feldnersohn gemeinsam jagen. Norbert lernte das Bogenschießen schnell und auch beim Abhäuten und Ausweiden des Jagdwilds erwies er sich als geschickt. Björn Feldnersohn machte keinen Hehl daraus, wie zufrieden er mit Norbert war.

      ***

      „Du wirst ein guter Jäger werden,“ erklärte Björn.

      Norbert hatte eine Rehkuh erlegt und die beiden machten eine Pause beim Aufbrechen des Wilds. Rings um das aufgeschlitzte Tier war der Schnee mit Blut getränkt. Björn reichte Norbert die Feldflasche mit dem Kornbrand. Tapfer nahm Norbert einen Schluck. Noch immer schüttelte es ihn, wenn er das scharfe Getränk hinunterspülte. Hitze stieg ihm in den Kopf.

      „Du wirst später deine Familie ernähren können,“ fuhr Björn fort. „Und ich weiß, dass du die Gabe besitzt – wie dein Vater. Und auch, dass du ein ebensolcher Hitzkopf sein kannst, wie er.“

      Betroffen blickte Norbert zur Seite. In den kahlen Ästen rings umher sammelten sich die Krähen. Die schwarzen Vögel warteten darauf, dass die beiden Menschen abzogen, um sich über das Gekröse und die blutigen Innereien herzumachen.

      Björn blickte den Jungen ernst an: „Dein Temperament und deine Gabe wirst du später einmal einsetzen, um die Siedlung zu schützen. So, wie es jetzt dein Vater tut.“

      Er schlug Norbert auf die Schulter.

      „In vier Jahren gebe ich dir die Maja zur Frau. Es ist gut, wenn unsere Familien sich verbinden.“

      ***

      Der Winter wurde mild. Die Schneestürme im Januar hielten nur wenige Tage an. Es war nichts im Vergleich zu jenem furchtbaren Winter in Norberts neuntem Lebensjahr, in welchem die Totengeister um die Siedlung wandelten.

      Im Frühjahr nach der Schneeschmelze gestattete Kurt Morgner dem Oliver die Heirat mit seiner Tochter Grete. Sie sollte in der Woche nach dem Frühlingsopfer stattfinden. Die Männer Wildenbruchs zogen in den Wald, um Bauholz für die Blockhütte zu fällen, die das Paar bewohnen würde. Lars Weidner schloss sich ihnen nicht an. Er diskutierte eine halbe Nacht lang mit Kurt Morgner, bis Kurt Morgner laut wurde und ihn hinauswarf.

      Lars Weidner lief durchs Dorf und erzählte jedem, der es hören wollte: „Ich gehe zurück in die Zivilisation. Diese verfluchte Grenzsiedlung hat mir nichts als Unglück gebracht.“

      Meistens war er betrunken.

      Hans Lederer forderte den Lars Weidner auf, zum Abendbrot an seinen Hof zu kommen. Die Hofgemeinschaft saß bereits am Tisch, als Lars mit verbitterter Miene erschien. Sein Filzumhang war dunkel vom Regen, der um die Wohnhütte rauschte. Klamme Feuchte sickerte vom Strohdach her in den Raum. Jenseits des schwachen Lichts der Kienspäne auf dem Esstisch und des rötlichen Scheins der Herdglut lag der Raum im Dunkeln. Die Familie rückte auseinander und Lars setzte sich stumm an den Tisch. Er roch nach Bier. Leika gab ihm Bohnensuppe und Speck in die Holzschale.

      Auch zu anderen Zeiten wurde an Hans Lederers Hof beim Essen nicht viel gesprochen. Aber das Schweigen, das seit dem Hereinkommen von Lars auf der Tischgemeinschaft lastete, kam Norbert unheilverkündend vor. Nur Hanna greinte in ihrer Wiege, die Margit mit ihrer Hand schaukelte.

      Der Vater würdigte Lars keines Blicks, so als wäre Lars gar nicht anwesend. Erst als die Familie vom Tisch aufstand und Schalen und Becher abgeräumt wurden, setzte Hans Lederer sich zu Lars an den jetzt leeren Tisch. Die Hofgemeinschaft versammelte sich stumm um den Herd.

      „Du musst aufhören mit dem Trinken und wieder anfangen, zu arbeiten,“ begann der Vater ohne Einleitung. „Im Suff kommt dir lauter Unsinn in den Kopf. Im Dorf wird erzählt, du hättest behauptet, dass du aus Wildenbruch weggehen willst.“

      Im Halbdunkel sah Lars‘ vom wilden Haar und Bart umrahmtes Gesicht blass aus. In seinem Blick lag ein trüber Glanz.

      „Was geht es dich an, was ich tue,“ murrte er. „Was soll ich noch in diesem Nest in der Einöde? Wenn ich gehen will, dann gehe ich. Schließlich könnt ihr mich nicht daran hindern.“

      „Du bist einer von uns, Lars.“

      Lars fuhr auf: „Hör auf damit! Was hab ich hier schon? Nichts! Ich gehöre nicht zu euch!“

      „Hör mir zu! Als du vor acht Jahren in der Siedlung erschienst, haben wir dich nicht gefragt, woher du kommst, was dich aus dem Reich zu uns getrieben hat. Wir haben dich aufgenommen, haben dir angeboten, zu bleiben, Siedler zu werden. Du hast eine Frau genommen, wir haben gemeinsam dein Haus gebaut. Und du hast geschworen, dich an unsere Gesetze zu halten. Hast du das vergessen, Lars Weidner?“

      Lars schnaufte wütend. Er antwortete nichts.

      Drohend fuhr Hans Lederer fort: „Wir Grenzsiedler halten zusammen, Lars. Keiner von uns verlässt die Siedlung. Wir bleiben beieinander. Das ist das Gesetz. Und es gilt für dich genau wie für jeden von uns.“

      Schwer atmend rief Lars: „Und wenn ich mich an eure verdammten Gesetze nicht halte? Was willst du dann machen, Lederer? Du kannst dich aufspulen, als wenn du der Dorfchef wärst, aber wenn ich gehen will, dann gehe ich!“

      „Überleg dir das gut, Junge. Du hast einen Schwur getan. Es ist deine eigene Schuld, dass du dich so benommen hast, dass kein Mädchen in Wildenbruch dich mehr heiraten will. Geh wieder an die Arbeit. Und hör auf mit dem Saufen.“

      Lars sprang auf.

      „Nein! Ich brauch nichts zu überlegen. Du hast mir nichts zu sagen. Ich tue, was ich will.“

      „Du bist betrunken, Junge. Sei vorsichtig, was du sagst.“

      „Ich lasse mir von dir nicht drohen,“ schrie Lars. „Ich gehe! Morgen früh mach ich mich auf den Weg. Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ihr verfluchten Siedler!“

      Hans Lederer stand auf.

      „Komm mit vor die Tür, Lars Weidner. Wir reden draußen weiter.“

      Norbert kannte diesen Tonfall. Ein Schauder lief ihm über den Rücken.

      „Du kannst genauso gut drinnen bleiben,“ krächzte Lars. „Ich rede nicht mehr mit dir.“

      Er schwankte zur Tür und riss sie auf. Draußen strömte der Regen in der Dunkelheit. Als Lars zur Tür hinausstolperte, wandte Hans Lederer sich zum Herd. Sein Gesicht verzerrte sich. Er griff das Handbeil vom Holzstapel neben dem Herd, schritt hinaus und warf die Haustür von außen zu. Alle starrten blass in die Herdglut. Niemand sagte ein Wort. Draußen war Lars‘ empörte Stimme zu hören. Dann ein überraschter Ausruf, der in einen Schrei überging. Der Schrei brach ab. Etwas Schweres polterte gegen die Tür.

      Hanna weinte in der Totenstille. Wie gelähmt saß die Hofgemeinschaft um den Herd. Der Vater kam nicht wieder herein.