Thomas Hoffmann

Blaues Feuer


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nichts sagt sie dazu. Sie findet es völlig richtig, findet es sogar gut!“

      „Ach du Schafskopf! Lass mich in Ruhe!“

      Wütend lief das Mädchen ins Haus.

      Immer seltener fanden Norbert und seine Altersgenossen sich bei den nachmittäglichen Treffen der Kinder ein. Alle hatten sie jetzt mehr auf den Höfen zu tun und die Geschichten und Beschäftigungen der jüngeren Kinder begannen uninteressant zu werden. Roderig kam schon lange nicht mehr.

      Zusammen mit Ulrich durchstreifte Norbert den Wald nahe der Siedlung. Sie dachten sich Helden- und Kriegergeschichten aus, spielten Beowulfs Kampf mit Grendel oder seinen Schlachtzug gegen den Feuerdrachen. Doch am häufigsten traf sich Norbert nach der Tagesarbeit mit Maja. Sie setzten sich auf den Holzstapel neben dem Eingang zu Björn Feldnersohns Haus, tauschten Neuigkeiten aus oder saßen einfach nur beieinander, bis es Zeit wurde für Norbert, zum Hof seines Vaters zurückzugehen.

      ***

      Den einen Abend hielt Roderig Norbert nahe beim väterlichen Hof an.

      „Hör mal, Bert, sag doch deiner Schwester Lene, dass ich heute noch beim Schafgatter zu tun hab, also, ich meine da, wo euer Heuschober steht.“

      „Sag ihr das lieber selber, mich verspottet sie bloß.“

      Roderig sah nicht überzeugt aus. „Ich weiß nicht...“

      „Komm einfach mit.“

      Lene kam mit dem leeren Abfalleimer vom Schweinestall her. Norbert ging zu ihr.

      „Der Roderig will dir was sagen.“

      Lene machte ein wütendes Gesicht. Roderig trat von einem Bein aufs andere.

      Norbert rief ihm zu: „Stimmt doch, Roderig, oder?“

      Roderig holte Luft. „Ich wollte dich was fragen, Lene.“

      „Was willst du von mir?“ schrie sie zornig.

      „Also, nicht hier, unter vier Augen - hinten beim Heuschober.“

      „Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!“ kreischte sie.

      „Nur zwei Sätze, Lene!“

      Lenes Gesicht war puterrot. „Aber nur einen Augenblick. Ich muss Mutter beim Gemüseputzen helfen.“

      Sie stellte den Eimer ab und ging ums Haus. Im Vorbeigehen knuffte Roderig Norbert gegen den Arm.

      „Danke, Bert!“

      Lene kam erst am nächsten Morgen vom Heuschober zurück. Am folgenden Tag fragte Roderig Norberts Vater, ob er auf seinem Hof arbeiten dürfe. Lene, die beim Herd hantierte, fiel beinahe der Krug mit der Sauermilch aus den Händen. Sie fing ihn gerade noch auf, aber ein Schwall saurer Milch schwappte auf den Boden. Hans Lederer blickte erst Roderig, dann seine Tochter an.

      Nach einigen Augenblicken des Schweigens knurrte er: „Lene wird dieses Jahr fünfzehn. Wenn du drei Jahre auf meinem Hof arbeitest, gebe ich sie dir nach Ablauf der drei Jahre zur Frau.“

      „He, werde ich vielleicht auch noch gefragt?“ kreischte Lene.

      „Halt die Gusche!“ fuhr Hans Lederer seine Tochter an. „Oder ich frag euch, was ihr gestern Nacht in meiner Scheune getrieben habt!“

      Seit diesem Tag spottete Lene nicht mehr über Norbert und Maja.

      ***

      Im Spätsommer gebar Margit ihr erstes Kind, ein Mädchen. Als das Neugeborene drei Tage alt war und Leika meinte, es sei kräftig genug, um zu überleben, bekam es den Namen Hanna. Margit zog ins Haus ihrer Eltern zurück und die Mutter und Leika halfen ihr, den Säugling zu pflegen. Ulf kam jeden Abend nach der Tagesarbeit, seine Frau und sein Kind zu besuchen. Er brachte Milch, Käse und Brot, manchmal auch einen kleinen Topf Honig für Margit mit.

      Den einen Abend kam Oliver erst spät von der Arbeit an Sven Hüttners Hof herein, als die Familie bereits um den Esstisch saß. Der Mutter entfuhr ein Entsetzensschrei. Alle starrten Oliver an. In der betroffenen Stille war nur Hannas Quengeln zu hören.

      Olivers Haar war blutig, sein rechtes Auge zugeschwollen. Er spuckte Blut aus und ließ sich stumm auf die Bank fallen. Mutter betete zur heiligen Dame der Grotte.

      Leika betastete Olivers Schädel und Gesicht. „Warte, ich koche einen Kräutersud und mache dir einen Verband.“

      Hans Lederer stand auf und trat auf seinen Sohn zu.

      „Mit wem hast du dich geprügelt?“

      Es fiel Oliver schwer, zu sprechen. Immer wieder musste er Blut ausspucken.

      „Lars Weidner,“ brachte er hervor.

      „Wer von euch hat angefangen?“

      Es klang drohend. Oliver richtete sich auf.

      „Er. Fing mich vor Kurts Hof ab. Sagte, ich soll mich zum Teufel scheren. Wegen Grete. Will sie selber heiraten. Aber ich hab‘s ihm gegeben.“

      Hans Lederer schwieg. Stumm ging er zu seinem Platz am Kopfende des Tischs zurück.

      Während Leika eine Kräuterpaste auf Olivers Kopfwunden auftrug und ihm ein Leinentuch umband, grollte Hans Lederer vom Tisch her: „Wen von euch beiden will die Grete?“

      „Mich.“

      „Sicher?“

      „Ich schwör‘s. Frag sie selbst!“

      Hans Lederer antwortete nichts mehr.

      Am nächsten Morgen winkte der Vater Norbert zu sich heran.

      „Bevor du zu Björn Feldnersohn gehst, gehen wir beide zu Lars Weidner. Du bist alt genug, um zu lernen, wie man mit solchen Dingen umgeht. Später wirst du an meine Stelle treten. Dann musst du die Angelegenheiten im Dorf regeln können.“

      Sie trafen Lars Weidner beim Holzspalten vor der Hütte, die er seit dem Verschwinden seiner Frau allein beim Hof Lutz Torstensohns bewohnte. Er legte das Handbeil weg und richtete sich auf, als er Hans Lederer und Norbert kommen sah. Lars‘ rechtes Auge war blutunterlaufen, seine Lippen geschwollen und aufgeplatzt. Stumm erwartete er den Vater, der sich ihm gegenüber stellte. Norbert wartete ein paar Schritt abseits, was geschehen würde. Lars blickte Norberts Vater voller Hass entgegen.

      „Was war das gestern vor Kurt Morgners Hof?“ schnappte Hans Lederer.

      Norberts Vater war zwar zwanzig Jahre älter, aber fast einen ganzen Kopf größer als Lars. Seine Schultern waren beinahe doppelt so breit. Er hatte kein Messer, keinen Dolch dabei. Lars‘ Beil lag griffbereit neben ihm auf dem Block.

      „Dein Sohn will mir die Grete Morgner streitig machen.“

      Lars‘ Aussprache war undeutlich, aber der drohende Unterton war nicht zu überhören. Hans Lederer stand keine zwei Schritt vor ihm.

      „Wen von euch will die Grete?“

      Lars‘ Gesicht wurde dunkelrot.

      „Was geht dich das an, Hans Lederer? Sie ist meine Braut!“

      „Hat Kurt Morgner sie dir versprochen?“

      „Halt dich aus der Sache raus, Lederer!“

      Lars‘ Stimme überschlug sich vor Wut.

      „Ich schlag deinen Sohn zum Krüppel, wenn er noch mal zum Kurt Morgner geht.“

      Die Stimme Hans Lederers wurde hart.

      „Du bist ein erwachsener Mann, Lars. Wir Siedler halten Frieden untereinander. Das ist Gesetz. Du bist Wildenbrucher, das Gesetz gilt auch für dich. Du hast die Smeta zur Frau gehabt. Du könntest sie noch immer haben. Deine Schuld, dass du sie dazu getrieben hast!“

      Lars Weidner stand schwer atmend da. Endlich schaute er zur Seite.

      „Lass mich