Hans-Georg Hohlbein

Flüchtige Verstrickungen


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Kochherd zuzuwenden, während wir dem Meer und unseren Eroberungen entgegeneilten.

      Bei unseren Strandspaziergängen stellte sich auch bald Erfolg ein, denn Chris lernte eine Schwedin und ich eine Berlinerin kennen. Zwischen Dünen und Meeresrauschen verbrachten wir eine traumhafte Zeit. Im kleinen Glück des verliebt seins versinkend, verloren wir uns in der Weite zwischen Himmel und Meer, ein Schwebezustand der weder Raum noch Zeit kannte. Die scheinbar endlosen Tage, sie vergingen wie im Rausch.

      Irgendwann erwachten wir aus dem Taumel der Gefühle, die Wirklichkeit hatte uns wieder eingeholt. Zwei Urlaubswochen, sie waren wie im Flug vergangen, und nach einer letzten Nacht inniger Berührungen hieß es Abschied nehmen. Wieder gab es Versprechungen, Schwüre, und Adressen austauschen. Ich schreibe dir bestimmt und ähnliche Floskeln, so wie einst in Werder, wiederkehrende Worte gedankenlosen Verliebt seins, welche die Zeit irgendwann unter sich begräbt.

      Der Augenblick des Abschiednehmens war gekommen. Noch den süßen Geschmack der letzten Nacht auf den Lippen, standen wir auf dem kleinen Bahnhof, um von unseren Liebsten Abschied zunehmen. Der Urlaub der beiden Mädels war früher zu Ende, während Chris und ich noch zwei Tage länger bleiben konnten.

      Letzte innige Küsse auf dem Bahnsteig. Hände die nicht loslassen wollten, bis sich die kleine Dampflok schnaufend in Bewegung setzte. Weiße Wölkchen im Blau zurücklassend, dampfte die alte Schmalspurbahn mit unseren Eroberungen davon, bis der Horizont sie in die Unendlichkeit aufnahm.

      Zwei Tage später standen Chris und ich auf dem gleichen Bahnsteig. Hinter uns lag ein zauberhafter Ostseeurlaub und der Sommer neigte sich seinem Ende zu.

      2

      Ein Jahr als DEFA Mitarbeiter lag jetzt hinter mir. Der August hatte seine sommerlichen Tage an den September weitergegeben und Fortuna war wieder einmal an meiner Seite. Dort wo einst die Stars der UFA residierten, in der lauschigen Umgebung des Griebnitzsees, bekam ich in einer schönen alten Villa eine kleine Wohnung. Auch wenn die Großen aus der Blütezeit des deutschen Films hier nicht mehr wohnten, ihr Geist hatte sich noch nicht ganz aus den Häusern verflüchtigt. Von Marlene Dietrich bis Hans Albers, alle hatten hier ihre Zeit, haben das Bild dieser Gegend atmosphärisch mitgeprägt und ihre ganz individuellen Spuren hinterlassen.

      Die Teilung Deutschlands in der Nachkriegszeit hatte zur Folge, dass der Grenzverlauf in diesem Areal mitten durch den Griebnitzsee gezogen wurde, so dass sich die am östlichen Ufer gelegenen Villen dieses Sees seither in staatlicher Verwaltung befanden, und das ebnete der Deutschen Film AG (DEFA) den Weg, einen großen Teil ihrer künstlerischen Mitarbeiter hier anzusiedeln. Autoren, Dramaturgen, Regisseure, Kameraleute, selbst Schauspieler und ein griechischer Schlagersänger, alle hatten hier eine Heimat gefunden. Mein neues zu Hause befand sich unweit vom S- Bahnhof Griebnitzsee, mitten im Grünen und paradiesisch gelegen, auch wenn ein paar hundert Meter weiter die damals noch offene Grenze zu Westberlin verlief.

      Mein Zimmer hatte ich spartanisch eingerichtet. Ein alter Kleiderschrank, eine einfache Couch, ein runder Korbtisch mit dazu gehörigem Sessel, alles überflüssiges Mobiliar aus meinem Elternhaus. Mit Hilfe der Dekoabteilung des DEFA Studios gelang es mir ein Drittel des Zimmers durch eine Wand aus grauem Dekostoff, so genanntem Rupfen, abzutrennen und den so entstandenen Miniraum einfach zu meiner Küche zu kreieren. Außer einem Zweiloch Kocher befand sich hinter diesem Verschlag auch ein kleines Waschbecken, welches gleichermaßen als Geschirrspüle, als auch für die morgendliche Katzenwäsche herhalten musste. Das alles war meine kleine Welt, hier fühlte ich mich frei, von hier aus wollte ich fortan die große Welt erobern.

      Mein neunzehnter Geburtstag. Wenn ich heute über diesen Tag nachdenke, genauer gesagt über die dazugehörige Nacht, und die Erinnerung die ich daran bewahre, war dies das aufregendste Erlebnis meiner jungen Jahre:

      Ein schöner Spätherbsttag war gerade im Begriff sich zu verabschieden. Für die abendliche Geburtstagsfete hatte ich tagsüber alle Mühe aufgewendet, um aus Rotwein, Käse, Weißbrot und Schmalzstullen ein Minibuffet zu kreieren, von dem ich überzeugt war, dass es in seiner Grundausstattung den kulinarischen Erwartungen meiner illustren Gästerunde entsprechen würde. Mein damaliger Freundeskreis war riesig, enthielt alle Schattierungen einer Boheme, oder das was man dafür hielt. Und so kamen sie alle:

      Angehende Schauspieler, Tänzer, Halbintellektuelle, Komparsen, noch nicht ganz fertige Kameraleute, als auch flüchtige weibliche Bekannte, mit denen ich die Höhen und Tiefen der Horizontalen noch nicht erfahren hatte. Wie sich schon wenig später herausstellen sollte, ist meiner jungfräulichen Naivität dabei wohl Einiges entgangen.

      Kurzum, Septemberabende beginnen bekanntlich früher, können aber unendlich lang sein. Die Mücken versammelten sich bereits säulenförmig unter meinem Fenster, während die letzten Sonnenstrahlen vergebliche Anstrengungen unternahmen, um sich an den Bäumen des Griebnitzsees festzuhalten, bis erste dünne Nebelschwaden sie durchtrennten, um sie sanft mit ihrem Schleier zuzudecken.

      Der frühe Abend schob die Dämmerung lautlos vor sich her, als mir klar wurde, dass meine kleine Wohnung bereits restlos überfüllt war, was aber nicht bedeutete, dass der Gästezuwachs nun aufhörte, keineswegs. Wer jetzt noch kam, ließ sich nach kurzer Begrüßung einfach im Treppenhaus nieder, denn die breiten Stufen der zweistöckigen Villa boten dafür eine gute Voraussetzung.

      Meine Nachbarn auf der gleichen Etage, ein Dramaturg mit seiner Familie, tolerierten problemlos meine Raum einnehmende Geburtstagsfeier und zogen sich bereitwillig in ihre Wohnung zurück. Damit stand uns fast das ganze Haus zur freien Verfügung, welch wunderbare Voraussetzung für eine Fete, die jeder nach seinen Bedürfnissen ausleben konnte.

      Der Treppenabsatz vor meiner Wohnungstür glich schon nach kurzer Zeit einem Versammlungsraum der achtundsechziger Kommunarden. Alle hockten eng nebeneinander, redeten, gestikulierten, rauchten, und schütteten beachtliche Mengen Rotwein in sich rein. Auf den Stufen treppabwärts saßen sich Männlein und Weiblein dicht gedrängt gegenüber, im verbalen Wettstreit bemüht, ihre Anmache durch geistreiche Gespräche spielerisch auf den Weg zu bringen.

      Unten im Parterre befand sich eine Besenkammer, die wir Hausbewohner als Abstellraum für alle möglichen Gerätschaften nutzten. In der Ecke dieses Verschlages lehnte schon seit längerer Zeit ein zusammengerollter Teppich, wer ihn dahin gestellt hatte, war nicht mehr auszumachen. Da aber die Kammertür nicht verschlossen war, verwandelte sich der kleine verschwiegene Raum im Handumdrehen für das eine oder andere Pärchen zum Kurzzeitseparée. Obwohl sich keiner der Gäste über seinen erquickenden Aufenthalt in diesem Örtchen direkt geäußert hatte, arbeitete sich die Verschwiegenheit des kleinen Abstellraumes wie ein Lauffeuer treppaufwärts. Und während in meinem Wohnzimmer lautstark die Hauptfete lief, fand in der winzigen Besenkammer der eine oder andere männliche Gast die vermeintlich aufregendste Stelle seiner Partnerin. Hatte sich die Spannung des in der Kammer mit sich beschäftigten Pärchens geräuschvoll gelöst, öffnete sich auch bald die kleine Tür, und wie der Wechsel in einem Taubenschlag, verschwanden die nächsten Turteltäubchen im Dunkel des Verschlages.

      Zeitgleich zu den unten in der Besenkammer zahlreich stattfindenden Vermehrungsversuchen, konnte der aufmerksame Beobachter oben in meinem Zimmer eine völlig andere Art sexuellen Begehrens ausmachen. Auch hier verflüchtigte sich bisweilen ein Pärchen, allerdings nicht hinter einer Tür, die es ja nicht gab, sondern gleich hinter die Rupfenwand in meine Miniküche. Glücklicherweise hatte das durch diesen Raumteiler abgetrennte Zimmerdrittel keine eigene Beleuchtung, ausgenommen die schwache Glühbirne über dem Waschbecken und die hatte gerade mal die Leuchtkraft einer Öllampe. Im matten Schimmer dieser Funzel bot sich willigen Pärchen deshalb eine eben so gute Gelegenheit, ungestört ihre mehr oder weniger intimen Erfahrungen auszutauschen.

      Unter den weiblichen Gästen meiner illustren Runde konnte man schon eine vielfältige Mischung von Berufen ausmachen. Im Durcheinander meines Zimmers vereinten sich Tänzerin und Regieassistentin mit Näherin und Kellnerin, also ein durchaus breit gefächertes Spektrum, aus dem ich einige der Mädchen zwar flüchtig von Tanzabenden im Babelsberger Ratskeller kannte, aber andere hingegen waren mir völlig fremd.

      Unter den flüchtigen Bekanntschaften fiel mir allerdings ein Mädchen sofort ins Auge. Bemerkenswert die wohlgeformten