Hans-Georg Hohlbein

Flüchtige Verstrickungen


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Angst schlotternd sah ich auf die total verschlafenen, durchnächtigten Gestalten, die sich mittlerweile treppauf hinter mir wie zu einem Gruppenfoto drapiert hatten. Wie angewurzelt standen sie alle auf den Stufen der Treppe, jeglicher Lebensäußerung unfähig. Ich blickte durchweg in blasse, erschrockene Gesichter, die sich Taschentücher oder Kleidungsstücke vor den Mund gehalten hatten. Sah wie meine Freunde mit geröteten Augen und kreidebleichen Gesichtern wortlos die Rettungsaktion der Feuerwehrmänner verfolgten.

      Immer noch völlig benommen hatte ich das Gefühl, wie ein Außenstehender an dieser bizarren Szenerie teilzunehmen. Meine verschlafenen Augen beobachteten, wie die Männer in ihren schwarzen Uniformen mit vereinten Kräften, bewaffnet mit Schaufeln, Stangen und einem roten Schaumlöscher, den schwelenden, bereits nach draußen beförderten Brandherd mit dickem weißem Schaum besprühten, der sich wie eine frische Schneedecke wellenförmig über das qualmende Monster legte.

      Schon nach dieser kurzen Löschaktion wurde mir langsam klar, der vermeintliche Übeltäter war der zusammengerollte alte Teppich gewesen. Diese nachlässig in die Kammer abgestellte Rolle hatte vermutlich dem letzten Pärchen als Ruheplatz nach dem Schlüpfersturm gedient und beim Einschlafen musste einer der Liebenden seine Zigarette nicht richtig entsorgt, oder sie in taumelnder Erregung im Teppich ausgedrückt haben.

      Die Brandursache war damit für mich zweifelsfrei geklärt. Nicht so klar waren mir allerdings in diesem Moment die Folgen, die dieser abenteuerliche Abschluss meiner illustren Geburtstagsfete für mich noch haben konnte. Und obwohl mich meine Nachbarin vor Ort verbal erst einmal zur Schnecke gemacht hatte, half sie mir zu meinem großen Erstaunen im Nachhinein bei der Protokollaufnahme, zu der ich allein wohl gar nicht fähig gewesen wäre. Unaufhörlich hatte sie beschwichtigend auf den Feuerwehrhauptmann eingeredet, der sich offensichtlich wohl auch durch ihren Redeschwall wieder hatte beruhigen lassen. Wie ich später feststellen konnte, mussten ihre mit viel Geschick vorgetragenen Argumente diesen Mann letztlich sogar überzeugt haben:

      Dies sei ausnahmslos mein jugendlicher Leichtsinn gewesen, gepaart mit der hinlänglich bekannten Unachtsamkeit junger Leute, all diese leichtsinnigen Verhaltensweisen hätten letztlich zu diesem kleinen Vorkommnis geführt. Erstaunlicherweise musste das für den Hauptmann irgendwie einleuchtend geklungen haben, denn er schien es sogar zu glauben, hatte dem absolut nichts mehr entgegenzuhalten, machte kehrt und befahl seinen Leuten den Rückzug. Als die alarmierte Feuerwehr nach einer knappen halben Stunde, und dass ohne die Androhung irgendeiner Strafe wieder abzog, war ich mehr als beruhigt und konnte endlich wieder tief durchatmen, ein großer Stein fiel lautlos von meinem Herzen.

      Trotzdem war ich zutiefst hilflos, stand wortlos fröstelnd, nur mit einer dünnen Unterhose bekleidet, inmitten meiner ebenso spärlich bekleideten Gäste, und starrte hilflos auf die große, noch leicht vor sich hin schwelende Teppichrolle.

      Ein wenig ratlos waren wir alle, standen barfuss auf dem feuchtkalten Rasen und mussten erkennen, wie schnell sich der Hauch von dolce Vita, der eine ganze Nacht lang über uns geschwebt hatte, ganz schnell wieder im Nichts auflösen konnte.

      Durch den aufsteigenden Nebel mühten sich bereits die ersten Sonnenstrahlen. Für mich und meine Freunde endete, wenn auch mit einem kleinen Schrecken, ein aufregender Geburtstag und ein neuer Septembermorgen nahm seinen Anfang.

      3

      Ausgerechnet am Morgen nach meinem Geburtstag musste ich recht früh in das DEFA Studio fahren. Meine letzten Gäste hatten sich gegen sieben Uhr verabschiedet, und ich musste mich sputen um die auffälligsten Hinterlassenschaften meiner Fete einigermaßen aus dem Weg zu räumen, hüpfte eilig ins Bad, um unter der Dusche meinem Normalzustand wieder ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Als ich wenig später ungefrühstückt aus dem Haus stürzte, fühlte ich mich doch etwas wacklig auf den Beinen und verlangsamte meinen Gang um mir zur Stärkung eine Zigarette anzuzünden.

      Schon mit den ersten Rauchwölkchen schickte ich alle störenden Gedanken erleichtert in den Morgenhimmel, denn das wunderbare Erlebnis mit Gitti hatte sich ganz tief in mir eingekrallt. Meine Gedanken balancierten zwischen Traum und Wirklichkeit. Dieses Fallenlassen hatte ich bisher in keiner Beziehung, und schon gar nicht in dieser Intensität gefühlt, mehr noch, unsere Schwingungen waren absolut auf gleicher Ebene verlaufen. Ob geistig oder sexuell, unsere Empfindungen hatten sich auf wundersame Weise ergänzt, sich im Miteinander ausgetauscht, waren letztlich sogar ein wenig in einander verschmolzen. Für mein Zeitempfinden hatte das intensive Zusammensein mit Gitti eine gefühlte Ewigkeit gedauert und trotzdem befürchtete ich, dass all dies vermutlich wohl ein schöner Traum bleiben würde. Gitti hatte schließlich einen Partner an den sie durch ihre Ehe mehr oder weniger gebunden war, ich hingegen war ledig und frei.

      Wenn ich jetzt versuchte nüchtern darüber nachzudenken, begann meine anfängliche Euphorie, die auch an diesem Morgen überhaupt nicht nachlassen wollte, ganz allmählich wieder zu zerbröseln, und letztlich ergab sie sich dem Zwang der nüchternen Realität. Genau diese Wirklichkeit aber wollte ich auf keinen Fall annehmen, wollte sie einfach beiseite wischen, wollte weiter träumen, musste aber erkennen, dass sich erste trübe Schleier über den gerade gelebten Traum legten. Die eben noch vorhandenen imaginären Glücksmomente wurden im Handumdrehen wieder weggewischt, aufgesaugt vom nebligen Dunst des Alltäglichen.

      An ihrer Stelle tauchten scharf konturierte Bilder wie aus dem Nichts vor mir auf, stellten sich mir in den Weg, überlebensgroß, blieben unverrückbar und in jedem dieser Bilder sah ich plötzlich ein Hindernis, stand vor einer Barriere, vor Problemen die aus verschiedenen Gründen vorerst nicht zu lösen waren. Zwiespältige Gefühle schlichen sich in mein Unterbewusstsein, nagten an meiner Hochstimmung, stellten mir die unbequeme Frage nach einer klaren Entscheidung. Aber wollte ich überhaupt Fragen zulassen, Konflikte an mich heranlassen, oder wollte ich mich wieder einmal dem Augenblick des kleinen Glücks hingeben? War der Zustand in den ich über Nacht gefallen war nur eine Momentaufnahme, oder konnte ich auf ein gemeinsames Morgen hoffen? Fragen, die mich total verunsicherten, die ich einfach nicht beantworten konnte, vielleicht aber auch gar nicht wollte.

      Im Widerstreit der Gefühle kamen Zweifel auf, darunter mischten sich Gedanken an meine frühere Freundin Marion, schließlich war sie in Babelsberg meine erste große Liebe gewesen. War diese Nacht mit Gitti vielleicht der Beginn einer neuen Liebe, und war es die uneingeschränkte wirklich große Liebe, die ich damals in jener Babelsberger Sommernacht auch schon bei Marion glaubte gefunden zu haben, oder war es vielmehr jene Blindheit, die man grundsätzlich einer totalen Verliebtheit zuschreibt?

      Wenn ich jetzt die beiden Beziehung miteinander verglich, Gitti aus meiner Betrachtung herausließ, traten Marions Konturen schon etwas deutlicher in den Vordergrund und das alles verklärende Rosarot, in dem ich sie einst gesehen hatte, wich dem nüchternen, analytischen Blick auf das Wesentliche unserer damaligen Beziehung:

      Marion hatte ich bei einem Tanzabend im Ratskeller kennen gelernt. Sympathie und ein kleiner Anflug von Verliebt sein war von uns beiden ausgegangen, genau wie das natürliche Verlangen nach Körperlichkeit, nach dem Ausloten unserer sexuellen Intimität. Nach diesem ersten Kennen lernen war nicht einmal eine Woche verstrichen, und es gab wieder einen heißen Tanzabend in den Clubräumen des Ratskellers. Am Ende des Abends hatte auch Marion das Bedürfnis mit zu mir zu kommen, weil wir beide überzeugt waren, jetzt müsse es einfach sein.

      Es war eine Nacht, die sich noch lange in meinem Gedächtnis aufgehalten hat, einzig vom Überschwang der Gefühle diktiert, wie es so oft bei der ersten großen Begegnung zweier Liebenden empfunden wird. Im Taumel zwischen heftigen Umarmungen und zärtlichen Küssen dauerte es quälende Stunden bis ich glaubte, dass sich unsere Schwingungen nach unendlich zähem Ringen endlich auf gleicher Wellenlänge getroffen hätten. Bei mir hatte sich dieses Gefühl von Harmonie zwar erst ganz allmählich hergestellt, und deshalb wollte ich unbedingt herausfinden, ob auch unsere Körper in der Lage waren, sexuell einen harmonischen Gleichklang zu entwickeln. Aber schon wenig später schlich sich bei mir so etwas wie Enttäuschung ein. Zu meinem Bedauern musste ich erkennen, dass wir im erotischen Umgang miteinander grundsätzlich sehr unterschiedliche Vorstellungen und Empfindungen hatten. Im Nachhinein erinnere ich mich noch sehr genau an den Verlauf jenes Abends, diktiert von der Suche nach der großen Liebe, an meine unendliche Sehnsucht nach Erfüllung, und an