Hans-Georg Hohlbein

Flüchtige Verstrickungen


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solchen Schlagzeilen getitelt hätten, dass ich dies alles aber nicht so ernst genommen hätte, dass ich es vielmehr für Propaganda hielt.

      Unser Gespräch wurde von nun an lebhafter, geradezu vertraut und dabei erfuhr ich von ihm, dass er Kurt hieß und in der Gaststätte „Haus des Handwerks als Schlagzeuger der dortigen Cafehausband tingelte. Neugieriger geworden fragte ich, ob er denn die Bardame näher kenne, ohne dabei zu verschweigen, dass ich sie recht sympathisch fand. Kurt gab mir bereitwillig Auskunft, verriet in seiner lockeren, geschwätzigen Art, dass sie verheiratet, ein feiner Kumpel und für vieles offen sei, was zu den schönen Seiten des Lebens zählte, ohne dabei leichtfertig zu erscheinen und sie höre auf den schönen Namen Elvira.

      Kurts ergiebige Auskünfte sorgten dafür, dass meine Blicke fortan einzig und allein auf Elvira gerichtet waren. Sie hatte glatt nach hinten gekämmte, zu einem Pferdeschwanz gebundene braune Haare und einen ausgesprochen schön geformten kleinen Schmollmund, der nur ein schwaches Rot auf ihren Lippen zuließ. Irgendwie konnte ich nicht aufhören, sie länger bei ihren anmutigen Bewegungen zu beobachten, und je näher sie mir dabei kam, umso aufgeregter wurde ich. Sie schien dies zu bemerken, gab sich aber völlig locker, machte ganz unauffällig zwei Schritte zur Seite und stand mir plötzlich genau gegenüber.

      Mit dem unschuldigsten Lächeln der Welt sah sie mich mit ihren frechen blauen Augen an, und fragte uns beiden zugewandt:

      „Na, darf ich euch noch etwas Gutes tun?“

      Ihrem Blick standhaltend stotterte ich leicht verwirrt:

      „Ja, äh...,“ schaute kurz zu Kurt und wieder zurück, um etwas entschlossener wirkend nach einer Antwort zu suchen:

      „Ja Elvira, du kannst uns noch etwas Gutes tun, wenn du uns einfach noch zwei Gin Fizz machst und was kann ich dir anbieten?“

      „Oh danke, ich trinke einen Milch Shake, eure beiden Gin Fizz sind schon in Arbeit“, damit verschwand sie wieder in die andere Ecke des Tresens und begann mit der Vorbereitung der Cocktailgläser, in die sie zuerst zerkleinerte Eisstücke tat, um sie danach mit Gin aufzufüllen. Auch das Eis zwischen uns schien gebrochen und während ich weiter mit Kurt über München plauderte, dachte ich bereits über eine Möglichkeit nach, wie ich Elvira vielleicht wieder sehen könnte.

      Als sie mit unseren Cocktails und ihrem Milch Shake zurückkehrte, war ich mir sicher, dass ich in ihren Augen ein wenig Zuneigung erkennen konnte, dass ein kleiner Funke übergesprungen war, der eine winzige Hoffnung zuließ. Wie lange ich ihrem Blick standhielt, weiß ich nicht mehr, wohl aber, dass ich für meinem Gin Fizz genauso lange brauchte, wie Elvira für ihren Milchshake, und erst als der Strohhalm auf dem Boden des Glases ein geräuschvolles Brodeln verursachte, schreckten wir wieder aus unserem innigen Blickkontakt auf.

      Mittlerweile waren neue Gäste erschienen, um die sich Elvira jetzt bemühen musste. Sie nahm ihr leeres Glas, lächelte mich noch einmal an und mit ein wenig Traurigkeit in der Stimme sagte sie beiläufig:

      „Entschuldige, ich glaube, ich muss jetzt wieder arbeiten“ und halb zu Kurt gewandt fügte sie hinzu:

      „Möchtet ihr noch etwas trinken?“ Kurt verneinte mit dem Zusatz, dass er bald arbeiten müsse, und deshalb bezahlen möchte. Ich sah etwas erschrocken auf meine Uhr und stellte fest, dass ich mich ebenfalls beeilen musste, denn man wartete im Studio noch auf mich, um Details für eine Dienstreise zu besprechen.

      Beim Bezahlen wollte ich von Elvira allerdings noch wissen, ob sie das Lindencafe kenne und ob wir uns dort eventuell mal wieder sehen könnten.

      „Natürlich kenne ich das Lindencafe und wenn du möchtest, ich habe immer montags frei, dann könnten wir uns dort sehen, so ab achtzehn Uhr, warte dort einfach auf mich.“ Überglücklich betonte ich, dass dort sowieso mein zu Hause wäre und ich gerne auf sie warten würde. Damit endete unsere erste viel versprechende Begegnung, ich verabschiedete mich von Kurt mit dem Hinweis, dass ich mich bestimmt bald mal im „Haus des Handwerks“ von seinen Drummerkünsten überzeugen würde, und eilte aus der Milchbar zur Straßenbahn.

      Im Studio angekommen wartete mein Freund Chris schon ungeduldig auf mich, um mir mitzuteilen, dass ich am Sonntag bereits in Mühlhausen zu erscheinen hätte, um dort einen Kollegen von seiner Arbeit abzulösen. Diese Nachricht hatte mich zunächst etwas überfordert, schließlich war es Freitagnachmittag und ich wusste nicht so recht, wie ich die für mich überraschende Dienstreise realisieren sollte. Mit der Bemerkung:

      „Nun guck nicht so hilflos, ich werde es dir erklären, komm wir gehen in die Linde“ drückte er mir einen Dienstreiseauftrag in die Hand, verschloss seinen Schrank und drängte zum Gehen. Etwas unschlüssig hielt ich das Papier in der Hand und las flüchtig die wichtigsten Daten. Aus diesen ging hervor, dass ich am Sonnabend ganz spät einen Zug nach Mühlhausen nehmen sollte, damit ich am Sonntagmittag am Drehort vor der Marienkirche sei und für eine Woche in der Thomas Münzer Stadt bleiben müsse. Chris zog mich förmlich nach draußen, hängte sich seine College Mappe um und forderte mich auf, doch etwas schneller zu gehen, im Lindencafe würde Dieter Montag auf uns warten, der wisse etwas mehr über den Anlass meiner Reise zu berichten.

      Tatsächlich saß Dieter bereits in unserer Stammecke, als wir beide das Cafe betraten, und bat uns mit der ihm eigenen galanten Handbewegung an seinen Tisch. Da das Lindencafe noch wenig frequentiert war, stand Lilo im Handumdrehen zwischen Chris und mir am Tisch, begrüßte uns freundlich und fragte nur:

      „Na Schorschi, wie immer?“

      Ich blickte nur kurz zu ihr hoch:

      „Ja Lilo, mein Schatz, erst mal Kaffee, wie immer,“ und sah zu Dieter der gerade genüsslich an seiner Zigarette zog.

      Den Rauch nach oben in kleinen Wölkchen ausstoßend setzte er auch gleich an:

      „Ja mein Freund, Jürgen hat erst mich gefragt, ob ich Mühlhausen übernehmen kann. Der Kameramann hat seinen ersten Assistenten rausgeschmissen, und da ich aber nicht kann, habe ich dich vorgeschlagen!“

      Damit war die Entscheidung schnell gefallen und ich hatte keine Wahl mehr. Ganz wohl war mir allerdings nicht dabei. Ich wusste um die cholerischen Anfälle des Kameramannes, die meistenteils mit einem Rausschmiss endeten, und sah mich schon als neues Opfer seiner Ausfälle. Dieter ahnte meine Bedenken und versuchte mich mit lobenden Worten zu beruhigen:

      „Du schaffst das schon, du hast doch bei Rudi völlig selbständig Licht gemacht und so was braucht der Gundermann. Dann hast du gleich gewonnen, denn der Günther hatte mit Licht machen nichts am Hut und das war sein Verhängnis.“

      Ein wenig ließ das mulmige Gefühl in meiner Magengegend nach als Lilo mit den beiden Kaffees zurückkam, sie vor uns abstellte und fast lautlos wieder hinter ihren Tresen huschte.

      Dieser Freitagabend wurde länger als beabsichtigt, denn Dieter und Chris hatten es für notwendig befunden, mich mit ausreichend Rotwein auf die anstrengende Drehwoche vorzubereiten. Widerspruch hätten sie sowieso nicht zugelassen und so ergab ich mich dieser Notwendigkeit.

      Am nächsten Tag hatte ich wieder ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, wenn auch aus anderen Gründen. Beinahe hätte ich vergessen meine alte Tante Tine aus dem Wedding zu besuchen. Schon vor einer Woche hatte sie mich gebeten, für sie notwendige Einkäufe zu machen, was ich am morgigen Sonnabend endlich erledigen wollte. Für solche Einkäufe musste ich von der Ackerstraße im Westsektor bis in die im Ostteil gelegene Ackerhalle laufen, quasi ein grenzüberschreitender Einkauf. Der Grund für diese regelmäßig wiederkehrenden Besorgungen war die sprichwörtliche Sparsamkeit meiner Tante, die mit ihrer kleinen Rente einfach haushalten musste. Der günstige Wechselkurs der Westmark zur Ostmark lag in der Regel bei einem Verhältnis von 1:4 und ermöglichte es meiner Tante zwei bis drei Stück Butter für eine DM zu kaufen, damit kam sie im Normalfall über den ganzen Monat. Was ich glücklicherweise nicht aus der Ackerhalle in den Westen schleusen musste, waren Eier, für dieses Grundnahrungsmittel sorgte „Amalie,“ ihre weiße Legehenne.

      Die kleine Altbauwohnung meiner Tante im Berliner Arbeiterbezirk Wedding bestand gerade mal aus einem Zimmer, einem Klo und einer Küche, die sie vorzugsweise für die praktischen