Hans-Georg Hohlbein

Flüchtige Verstrickungen


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lange war ich damit beschäftigt Marion auszuziehen, um sie nach Überwindung meiner Scheu endlich meiner Begehrlichkeit zuführen zu können, sie einfach zu nehmen, um so meinem zögerlichen Verhalten ein für allemal ein Ende zu setzen, so mein Vorsatz. Dieses ständige Hinauszögern von entschlossenem Handeln, besonders wenn es darum ging, eine Frau richtig zu erobern, hatte primär etwas mit meiner damaligen Einstellung des Herangehens an den weiblichen Körper, mit meiner Auffassung von Sexualität, zum Teil aber auch mit meinen total verklemmten Ansichten im Umgang mit dem weiblichen Wesen zutun, Relikte aus der religiös geprägten Erziehung meiner Eltern. Was auch immer es gewesen sein mag, in meinem Unterbewusstsein hatte sich schon in frühen Kindheitstagen diese ängstliche Ehrfurcht vor der Sexualität des weiblichen Körpers eingenistet. Falsch sortierte Befindlichkeiten, die auch noch später jedes vordergründige sexuelle Begehren unterdrückten, mich permanent daran hinderten, pure Sexualität genussvoll ausleben zu können.

      Den Akt der körperlichen Vereinigung betrachtete ich vielmehr als die absolute Krönung, hielt ihn für den Tabernakel der Liebe, sah in ihm das allerhöchste Glücksgefühl. Sich mit seinem ganzen Körper, mit allen Sinnen uneingeschränkt dem Partner hinzugeben, für mich der Beweis für die wahre, für die große Liebe. Dieses Denken steuerte in jenen Tagen einzig und allein mein gesamtes Handeln. Reines animalisches Verlangen hatte ich weit hinter die Größe einer wahren Beziehung gestellt, und ausnahmslos der ethischen Begrifflichkeit von Liebe untergeordnet.

      Die Nachhaltigkeit solcher Augenblicke, Momente in denen ich ganz andere Erfahrungen machen musste, hat noch lange in mir gelebt. Auch heute erinnere ich mich noch genau an einzelne Sequenzen jener Nacht mit Marion, an meine überaus schüchterne, zärtliche Vorgehensweise, an das Zittern meiner Finger, die zaghaft versuchten Marions Körper zu berühren, wie sie unendlich zögerten, sich sogar sträubten, ja beinahe verkrampften, sich umständlich mühten, um bis zu ihren kleinen runden Hügeln vorzudringen. Kein anderes Begehren im Sinn, als ihre zarten Brüste sanft streicheln zu können.

      Ohne es zu wollen, hatten zwei Gefühlswelten in mir rumort, waren einen ungleichen Kampf gegeneinander angetreten, lösten ein Beben in mir aus, von dem ich befürchten musste, dass es mich augenblicklich zerreißen könnte. Mein rationales Denken war in diesem Moment wie ausgelöscht, ich wusste überhaupt nicht mehr, war es genau diese immerwährende verdammte Ehrfurcht, oder war es schlicht die ungeheure Aufregung in mir, die mit einem Schlag meinen ganzen Körper erschütterte, ihn nahezu handlungsunfähig machte. Alle Voraussetzungen für eine körperliche Vereinigung, für das genussvolle Ausleben von Sexualität, waren damit schon im Vorfeld wieder ausgeschaltet worden, hatten das gemeinschaftliche Erlebnis einer gegenseitigen Befriedigung einfach blockiert. Wie nicht anders zu erwarten, kam es bei mir zur vorzeitigen Ejakulation.

      Viele Monate brauchte es bis ich begriffen hatte, dass Marions Vorstellungen von einem erfüllten Liebesleben auf einer ganz anderen Ebene gelegen hatten. Dieses zögerliche Handeln, meine übertriebene Sensibilität und meine Zaghaftigkeit, all diese Verkrampfungen hatten bei ihr wohl eher einen Pennäler haften Eindruck hinterlassen und ich war mir im Nachhinein völlig sicher, dass sie von mir ganz einfach nur erwartet hatte, genommen zu werden.

      Obwohl wir fast gleichaltrig waren, kam ich mir damals sehr viel jünger, insbesondere aber sehr viel unreifer vor. Wenn ich dieses Phänomen heute aus der Distanz betrachte, scheint sich dieser geschlechtertypische Unterschied bei gleichaltrigen Jugendlichen, setzt man ein von gegenseitiger Achtung geprägtes Frauenbild voraus, bis heute nicht wesentlich verändert zu haben. Mag sein, dass die Erfahrung unterlegen zu sein, damals für mich eine große Enttäuschung auf der Suche nach Erfüllung, aber auch eine wichtige Erkenntnis in einem lang andauernden Reifeprozess war.

      Seit jener Nacht hatte sich unsere Beziehung mehr und mehr abgekühlt, nichts war geblieben vom leidenschaftlichen Begehren, von Schwingungen auf gleicher Wellenlänge, vom Gleichklang der Empfindungen. Mein unerfüllter Wunsch nach wirklicher Liebe, mein Streben nach Harmonie, all meine schwärmerischen Sehnsüchte, sie verloren sich in Belanglosigkeit.

      Zuweilen geschah es, dass sich unsere Wege wieder kreuzten, ob auf Tanzabenden im Ratskeller, oder auch im Lindencafe. Zu verbindlichen Verabredungen ist es seit dem ersten Abend unserer Begegnung aber nie wieder gekommen, nicht einmal auf ein Glas Rotwein im Cafe. Manchmal endet eine große Liebe eben auch genau so schnell wie sie begonnen hat.

      Wenn ich in diesem Zusammenhang jetzt wieder über das Erlebnis der letzten Nacht nachdachte, sie den enttäuschenden Erfahrungen mit Marion gegenüberstellte, empfand ich unser zufälliges Aufeinandertreffen völlig anders gelagert. Wenngleich ein leidenschaftliches Ausleben dieser erfüllten Zweisamkeit schon beim nächsten Treffen Probleme bereiten konnte, hatte sich das Erlebnis Gitti fest in meinem Körper eingebrannt, jagte durch meine Adern wie ein heißer Lavastrom, überschüttete mich mit lauter Glückshormonen, und hinterließ das einmalige Gefühl des völligen erfüllt Seins.

      Obwohl ich mich jetzt auf dem Weg zur Arbeit befand, spürte ich wieder einmal in mir diese ungeahnte Leichtigkeit, schwebte geradezu meinem Ziel entgegen, wollte in meiner anhaltenden Hochstimmung diesen sonnigen Septembertag mit allen Sinnen genießen. Für einen kurzen Moment verlangsamte ich meinen Schritt und blieb kurz stehen, um mir eine weitere Zigarette anzuzünden. Gegen die Sonne blinzelnd sog ich den ersten Zug tief in mich hinein, stieß den bläulichen Rauch verspielt in den wolkenlosen Morgenhimmel, ließ alle schwermütigen Gedanken mit den kleinen Wölkchen ziehen, und alle fröhlichen Gedanken wieder an mich heran. So eben hatte ich mein Gleichgewicht wieder gefunden und schlenderte beschwingt vor mich hindösend der Bushaltestelle entgegen.

      In diesem Schwebezustand, in dieser sorglosen Zwiesprache mit dem Morgen, hätte ich beinahe übersehen, dass nur wenige Schritte vor mir ein junges Mädchen leichtfüßig auf die Bushaltestelle zusteuerte. Um nicht den Eindruck zu erwecken, ihr hinterher zu rennen, verlangsamte ich neugierig geworden meinen Gang und betrachtete aus der Distanz noch etwas verträumt ihr langes schwarzes Haar, dass nur wenige Meter vor mir auf wunderbare Weise in der Sonne flimmerte. Gerade geschnitten berührte es bei jedem ihrer Schritte sanft abrollend ihre Hüften, wie eine stetig wiederkehrende Meereswoge, die im feinen Sand kräuselnd versickert. Das schulterlange Haar, beinahe deckungsgleich am Saum ihres roten Pullovers endend, fächelte bei jeder wallenden Bewegung bläulich schwarze Reflexe auf das kräftige Rot ihres Pullis.

      An der Haltestelle angekommen blieb sie plötzlich stehen und drehte sich unverhofft zu mir ein. Es waren nur wenige Meter die uns jetzt noch voneinander trennten, so dass ich augenblicklich wie angewurzelt stehen blieb, um aus lauter Verlegenheit nach einer neuen Zigarette zu fingern, peinlich darauf bedacht, die vorhandene Distanz zwischen uns beizubehalten.

      Wie es aussah waren wir an diesem Morgen auch die einzigen Fahrgäste, die auf den Bus wartend an der etwas verwaisten Haltestelle standen. Weit und breit konnte ich keine Menschenseele entdecken, ein Gefühl von Unsicherheit beschlich mich: Wie sollte ich mich jetzt verhalten, wie konnte ich mich dem fremden Mädchen nähern, wie trat ich ihr freundlich gegenüber, ohne sie plump anzumachen?

      Viel Zeit zum Überlegen blieb mir aber nicht und so fasste ich allen Mut zusammen, überwand meine Hemmungen und deutete durch ein verhaltenes Nicken meiner gegenüberstehenden Schönen den Morgengruß an. Zuerst sah sie mich etwas verwundert an, aber schon wenig später schienen sich ihre Mundwinkel zu einem zaghaften Lächeln entschlossen zu haben, mehr noch, ihr kirschroter Mund hauchte mir sogar ein freundliches „Guten Morgen“ entgegen. Diese unerwartete Freundlichkeit machte mich allerdings wieder ein wenig nervös, sodass ich die Augen zusammenkniff und unsicher gegen die Sonne blinzelte, um das hübsche Mädchen besser in Augenschein nehmen zu können.

      Das frühe Gegenlicht zeichnete ein weiches Profil ihres Körpers in den Morgen, so dass mich die Anmut ihrer Erscheinung unmittelbar gefangen nahm. Vages Hoffen schoss durch meine verschlafenen Gedanken, unterdrückte Strategieüberlegungen zuckten plötzlich wie Blitze durch mein Hirn. Mutiger geworden rückte ich schon einen Schritt näher an ihre Seite und überlegte, wie ich jetzt aus heiterem Himmel ein Gespräch beginnen könne, brachte aber kein einziges Wort hervor.

      Mein seltsames Verhalten musste sie aber bemerkt haben, denn ihre großen dunklen Augen musterten mich jetzt nicht ohne Neugier. Ihr ebenmäßiges Gesicht mit den lang herunterfallenden