Hans-Georg Hohlbein

Flüchtige Verstrickungen


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einrahmten und ihrem Antlitz zu einer harmonischen Symmetrie verhalfen. Sinnigerweise nannte man sie „Spatz“ aber das war auch schon alles, was ich von ihr wusste. Auffällig an ihr aber war etwas, das ich bis heute nicht vergessen habe: Eine geheimnisvolle Aura umflorte sie, sie roch verführerisch nach einem betörenden französischen Parfüm.

      Als ich wieder einmal nach einer Treppenhausvisite nach oben in mein Zimmer drängte, hatte ich sofort diesen alles durchdringenden Geruch in der Nase, und das bei dem durchdringenden Gestank nach Suff und Zigarettenrauch, doch ich wusste auch gleich, wem dieser erotisierende Duft zuzuordnen war.

      Meine Zimmertür stand halb offen, verdeckte genau den Einblick in meine abgetrennte Miniküche, in der ich die Quelle dieses Duftes auch sofort vermutete. Als ich die Tür weiter öffnen wollte wurde mir allerdings klar, dass ich damit dem hinter meiner spanischen Wand mit sich beschäftigten Pärchen keinen Gefallen tun würde. So ließ ich einfach die Tür wie sie war, zog mich wieder dezent zurück und mischte mich ganz unauffällig unter den lautstarken Teil der prall gefüllten Zimmerrunde.

      Mit Rotweinglas in der Hand ruderte ich durch das Gemenge der Tanzenden und klemmte mich auf eine der übrig gebliebenen Kanten meines dicht belagerten Sofas. Gelangweilt musterte ich zunächst die gegenüberliegende graue Rupfenwand und verglich die Aktfotos der aufgeklebten Filmposter mit meinem schlichten, selbst gemalten weiblichen Akt, den ich jetzt aus der Distanz heraus besonders kritisch in Augenschein nehmen konnte.

      Hatte ich Halluzinationen, oder begann die Wand plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln? Aus meiner tiefsinnigen Betrachtung gerissen, suchte ich plötzlich nach einer Erklärung für die seltsame Verformung des Stoffes und wurde zunehmend unsicher. In kurzen regelmäßigen Abständen begann sich der Dekostoff meiner künstlichen Wand genau in Höhe meines Kunstwerkes beängstigend auszubeulen. Neugierig geworden sprang ich auf und schlängelte mich durch die Tanzenden hindurch auf die atmende Wand zu, um einen vorsichtigen Blick dahinter zu wagen.

      Was ich jetzt sah, überraschte mich schon ein wenig, denn man unternahm hier gerade permanent den Versuch, meinem stillen Akt neues Leben einzuhauchen. Trotz der innigen Körperverknüpfung konnte ich zweifelsfrei ermitteln, wer hier in unzweideutiger Weise miteinander beschäftigt war. Mit dem Rücken an mein Waschbecken gelehnt, den Kopf verzückt in den Nacken geworfen, stand, mit heruntergelassenen Hosen und in einer Haltung, die demonstrativ schon eine künftige Größe erahnen ließ, der Schauspielstudent Wolf Lauchstedt.

      Dicht vor ihm, in einer durchaus demütigen Haltung, kniete Spatz, und das Rot ihrer Lippen mühte sich gerade um das Beste, was Wolf ihr zu bieten hatte. Dabei ging ihr kurz geschnittener Bubikopf von rhythmischer Wollust diktiert auf und ab, als befände sie sich vor einer buddhistischen Gebetsmühle. Akustisch untermalten Wolfs Schlachtrufe, zwar leicht unterdrückt aber anfeuernd, diese obskure Szenerie: „Ja, ja weiter, ja genau, ja!“ Von Spatz war hingegen nur ein unterdrücktes Schmatzen zu vernehmen, und so zog ich mich vorsichtshalber wieder zurück, um mich wieder lautlos unter meine Gäste zu mischen.

      Auf der anderen Seite meines Zimmers angelangt war ich mir jetzt ganz sicher, dass es zweifelsfrei der Hinterkopf der Knienden gewesen war, der ständig in gleichmäßigem Rhythmus meine Rupfenwand verformt hatte. Dass dadurch mein Kunstwerk genau an einer bestimmten Stelle nachgegeben hatte, kurioserweise da, wo sich der Hintern meines weiblichen Aktes dem Betrachter entgegenstreckte, blieb für mich einfach ein erheiternder Nebeneffekt. Spätestens jetzt wurde mir klar, dass es in meinem Haus zwei Separées gab, in denen jeder nach seinen individuellen Bedürfnissen der schönsten Sache der Welt nachgehen konnte.

      Zufrieden und beruhigt ruderte ich wieder, mein Rotweinglas durch das Knäuel der Tanzenden balancierend, auf meine Sofaecke zu, und war voller Überzeugung, ein guter Gastgeber zu sein. Auf neue Abenteuer hoffend ließ ich mich wieder völlig entspannt zwischen all den Diskutierenden auf mein Sofa fallen, nippte an meinem Glas herum und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Angespannt lauschend versuchte ich vorbeiflüchtende Musikfetzen aufzufangen, wollte mich voller Hingabe auf das durchdringende Röhren des Souls einlassen, der trotz seiner Intensität große Mühe hatte, durch das akustische Stimmengewirr des Raumes hindurch bis zu mir vorzudringen.

      Als ich nach einer ganzen Weile vergeblichen Lauschens wieder aufsah, konnte ich unter den Rauchschwaden meiner Hängeleuchte auf einmal seltsame Bewegungen ausmachen und mein Blick heftete sich wie gebannt auf den glockenförmigen Dunstschleier in der Mitte meines Zimmers.

      Im Zentrum dieses Lichtkegels erkannte ich Gitti, eine Tänzerin aus dem DEFA Ballett, und sah voller Bewunderung, wie sie genau unter dem nebligen Dunst der Lampe ihre aufregend erotischen Bewegungen nach der nicht weniger aufregenden Musik von Janis Joplin zelebrierte. Kurz vor meiner Fete hatte ich von einem Freund ganze achtzehn verbotene Titel dieser einzigartigen Sängerin auf Band überspielt und sie in meinen Musik Mix eingebaut. Röhrend beendete J.J. gerade den Titel May baby, und nahtlos folgte der sechseinhalb Minuten lange, einschmeichelnde Song Work me, Lord.

      Alles um mich wurde zur Nebensache, verschwand geradezu im Nichts. Plötzlich war ich wie von Sinnen, fand es durchaus erregend nur der Musik zu lauschen und gleichzeitig wie hypnotisiert den Bewegungen dieser magischen Tänzerin zuzusehen. In ihrem eng anliegenden schwarzen Trikot glichen Gittis Bewegungen beinahe einer Cobra. Ihr schlanker Körper bog sich, machte schlängelnde Bewegungen, als wolle sie sich um einen Baum winden, zog sich wieder zusammen, um sich aber im selben Moment wieder blitzartig aufzurichten.

      Fasziniert konnte ich beobachten, mit welcher Hingabe sie jede ihrer anmutigen Bewegungen ausführte, wie perfekt sie ihren Körper beherrschte. Ich war mehr als beeindruckt von der Anziehungskraft dieser Gestik, die ihresgleichen suchte, und nahm mir fest vor, sie nach dieser überaus sinnlichen Darbietung unbedingt in irgendein Gespräch zu verwickeln. Die Gelegenheit dazu ergab sich unerwartet schnell, wenn auch anders als ich es vorhatte:

      Der nachfolgende Jazztitel löste unter der Besatzung meines Sofas eine kribbelige Unruhe aus. Wer nicht gerade knutschend an seiner Partnerin hing sprang auf, weil er sich von dieser Musik zwingend zum Tanzen animiert fühlte. Mir ging es nicht viel anders, und besonders als sich der Titel Take Five, gespielt von Dave Brubeck zu mir durchswingte, konnte mich keiner mehr davon abhalten, meinem Sofa augenblicklich den Rücken zu kehren. Es war und blieb einer meiner Lieblingstitel. Diesem Rhythmus wollte ich mich hingeben, wollte um alles in der Welt mit dieser einzigartigen Tänzerin und dieser Musik eins sein, sinnlich mit ihr verschmelzen.

      All meinen Mut zusammennehmend ging ich mit schlotternden Knien, halb in Trance, wie von Geisterhand geführt auf Gitti zu und bat sie, ohne dass auch nur ein Wort fiel, um diesen Tanz. Ihr Lächeln mit dem sie mich jetzt anstrahlte, dass ich nicht einmal im Traum erwartet hätte, war einfach bezaubernd, und für mich die personifizierte Einladung. Zum Greifen nahe stand jetzt ein Wunschtraum dicht vor mir, strich die langen schwarzen Haare schwungvoll nach hinten, kam mit großen leuchtenden Augen einen winzigen Schritt auf mich zu, um ganz behutsam ihre Arme um meinen Hals zu legen. Keinerlei Widerspruch duldend, drängte mich Gitti sehr bestimmend hinein in die swingende Tanzrunde. All meine anfänglichen Zweifel waren auf einmal wie weggefegt, hatten jegliche Blockade und sogar mein ängstliches Zögern von mir genommen. Mutiger geworden schlang ich meine Arme um ihren schlanken Körper, verschränkte sie nach unten gleitend um ihre zierliche Taille und hakelte meine Hände zu einem festen Verschluss zusammen. So ineinander verknotet, wollte ich das eingeschlossene Glück um nichts in der Welt mehr hergeben.

      Fest umschlungen, wie Liebende die nicht mehr voneinander lassen können, wiegten wir uns trunken zu den Takten des typischen Zwischenparts, der in dieser einmaligen Musik wiederkehrend ist. Obwohl bei diesem Titel das rhythmisch Swingende dominiert, lässt er, als sei es so gewollt, durchaus intime Nähe zwischen einem Tanzpaar zu. Trotz der lauten Musik und dem atmosphärischen Stimmengewirr ermöglichte mir die so entstandene Körpernähe fortan auch einen weitaus intimeren Gesprächsaustausch. Wir fühlten uns beide losgelöst von der Masse der Tanzenden und konnten uns all jene Gedanken ins Ohr flüstern, die unsere Gefühle gerade bewegten.

      Dass sie der DEFA Ballettgruppe angehörte, war mir ja bekannt, weniger aber, dass sie seit geraumer Zeit mit dem Schauspieler Gero Ziesche verheiratet war, der gerade das letzte Studienjahr in der Schauspielklasse der Babelsberger Filmhochschule absolvierte.