Serena S. Murray

Lost Spirit


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Nase kitzelten, zurück. Schließlich nahm sie andere Gerüche war. Der nasse Waldboden konnte den Geruch nach Wild nicht verdecken. Eine Zeitlang folgte sie der Spur, doch die Wölfin verlor bald das Interesse an der möglichen Beute. Nachdem sie ihren Lieblingsort im Wald erreichte, verwandelte sie sich schließlich zurück. Für alle Fälle hatte sie auch hier Kleidung deponiert. Eine Jeans und eine weiße Bluse schützen ihren nun wieder menschlichen Körper, als der Wind die Kälte brachte und die Sonne langsam an Kraft verlor.

      „Hallo, altes Mädchen“, sagte Maddie, während sie mit der Hand über den kühlen Stein fuhr. Mitten im Wald, der zum Territorium ihres Rudels gehörte, befand sich ein kleiner See, der nicht mehr als zehn Meter im Durchmesser maß. Das Wasser war glasklar und spiegelte die Baumkronen um sie herum wider. Und am Ufer, wenn man es denn so bezeichnen konnte, stand ein alter Wasserspeier. Die tanzende Ballerina war für Maddies Geschmack zu kitschig, doch sie hatte nie herausfinden können, wie die Steinfigur hierher gelangt war. Die Stille um sie herum beruhigte Maddie, bis sie sich schließlich mit dem Rücken an die Figur lehnte und die Augen schloss.

      „Ich verhalte mich kindisch, ich weiß“, sagte sie laut. Niemand war in der Nähe. Das hieß, niemand konnte sie wegen ihrer Selbstgespräche an diesem Ort auslachen. Hier gab es keine Rangordnung, keine zukünftigen Verpflichtungen und auch keine Mutter, die durch Abwesenheit glänzte. Vögel riefen sich mit ihren melodiösen Stimmen Nachrichten zu und Maddie öffnete schließlich die Augen, um in den Himmel zu schauen. Wolken schoben sich vor die Sonne und nahmen dem Ort somit das magische Aussehen.

      „Ich wünsche mir so oft, dass meine Mutter keine Alpha Wölfin ist, deren Verpflichtungen sie über ihre eigenen Kinder stellt. Selbst vor der Geburt der Zwillinge hat sie hart gearbeitet, aber am Abend war sie immer da. Es gab ein gemeinsames Abendessen und sie hat mir Geschichten vorgelesen. Wir haben gelacht und nicht wie jetzt gestritten. Es ist egoistisch, aber ich stelle mir oft vor, wie es wäre, wenn wir beide normale Menschen wären. Keine Orakel, sondern einfach nur wir, die Zeit füreinander haben.“ Sie wusste, dass ihr Wunsch nicht nur mit der permanenten Abwesenheit ihrer Mutter zu tun hatte. Nein, Maddie war immer ehrlich zu sich selbst. Das hieß, sie musste sich eingestehen, dass ein zukünftiges Leben als Alpha Wölfin wie eine Strafe für sie klang, der sie einfach nicht entrinnen konnte. Obwohl sie natürlich das Rudel verlassen könnte. Dann müsste sie sich nicht der Schande stellen, von allen ausgelacht oder mitleidig angesehen zu werden, wenn sie keine Dominanz zeigte. Denn nach der Schule wurde von ihr erwartet, sich mehr im Rudel und in die Geschäfte einzubringen.

      „Wir könnten abends gemeinsam essen und ich würde von meinem Tag an der Uni erzählen“, nahm Maddie ihre Gedanken wieder auf.

      „Meine Mutter würde mir aufmerksam zuhören und nicht ständig in irgendwelche Unterlagen schauen, oder in eine Zeitung oder in ihr Handy, nur um währenddessen vorzugeben, meine Worte auch wirklich zu hören.“ Maddie lachte leise.

      „Ist es nicht traurig, dass ich solchen Tagträumen nachhänge?“ Sie hatte die Frage eigentlich eher selbstironisch gemeint. Doch das jemand antwortete, damit hatte sie nicht gerechnet.

      „Nein, es ist menschlich. Denn der Teil in dir, der nicht auf die primitiven Instinkte hört, wünscht sich das, was jedem Kind zustehen sollte.“ Noch während die fremde Stimme an ihr Ohr drang, sprang Maddie auf. Panisch suchte sie die Umgebung ab, konnte aber niemanden sehen.

      „Wer spricht da?“

      Ein glockenhelles Lachen war die Antwort. Als der Wind auffrischte, stellte ihre Wölfin die Ohren auf. Irgendetwas stimmte hier nicht. Der Himmel verdunkelte sich durch eine herannahende Wolkenfront und vom Waldboden stieg Nebel auf.

      „Ich bin die, die im Nebel wandert. Hab keine Angst, Maddie. Ich werde dir nichts tun. Aber ich habe dich beobachtet.“ Der Nebel stieg schnell auf und schon nach wenigen Sekunden konnte Maddie nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen sehen.

      „Was wird das hier?“ Nur mit Mühe unterdrückte sie das Zittern in ihrer Stimme. Alles in ihr schrie geradedazu danach, die Flucht zu ergreifen oder ihr Rudel zu rufen. Vielleicht sollte sie beides machen.

      „Ich möchte dir einen Wunsch erfüllen.“ Maddie lachte trocken, was zweifelsohne ihre Angst verbergen sollte.

      „Ich glaube nicht an gute Feen.“ Ihre Wölfin konnte nicht stillstehen, also lief sie los. Der Nebel war bedrückend und strich kühl über ihre Haut.

      „Ich bin weder gut noch böse. Aber ich verfüge über Macht. Du hast dir etwas gewünscht. Ich beabsichtige, dir diesen Wunsch zu erfüllen.“

      Misstrauisch spürte Maddie, wie Magie sich vor ihr aufbaute und dann bündelte. Während im Nebel die Umrisse einer Frau in einem blauen Kleid mit schwarzen Haaren auftauchten, klingelten alle Alarmglocken in ihrem Kopf auf einmal los. Das war der Moment, in dem Maddie wirklich anfing zu rennen. Sie flog geradezu durch den Wald. Er war ihr so vertraut, dass sie die Gerüche und Gefahren kannte und über umgestürzte Baumstämme sprang. Doch gerade, als sie dachte, sie habe das Ende des Waldes erreicht, tauchte die Gestalt wieder vor ihr auf.

      „Lass mich in Ruhe“, stieß sie schnell atmend aus, als sie schlitternd zum Stehen kam. Sie hätte sich verwandeln können, doch eine innere Stimme sagte ihr, dass sie ihren gesunden Menschverstand brauchte.

      „Diesen Wunsch kann ich dir leider nicht erfüllen. Du wirst es verstehen. Nicht jetzt und nicht morgen. Aber bald.“ Der Nebel wurde immer dichter, bildete aber zwischendurch immer wieder Löcher, sodass sie sehen konnte, dass sie noch tiefer in den Wald gerannt war, statt das Ende zu erreichen. Schließlich umschloss der magische Nebel ihren Körper. Maddie spürte den Druck und die Feuchtigkeit auf ihrer Haut. Bald war ihre Kleidung klamm und klebte an ihr. Der Duft des Waldes wurde um ein Vielfaches verstärkt. Ihre Wölfin wollte raus und die Angst schnürte ihr mittlerweile die Kehle zu. Gerade, als die Panik vollends durch ihren Körper raste und die Verwandlung kurz bevorstand, schien die Zeit stillzustehen. Für einen Wimpernschlag sah sie einzelne kleine Tropfen um sich herum im Nebel klar und deutlich. Sie hörte die Tiere des Waldes und sogar lachende Teenager, die an der Straße entlangliefen, deren Stimmen Maddie aber eigentlich durch die Entfernung nicht hätte hören dürfen. Bis es auf einmal still wurde. Eine Hand streifte ihren Arm, obwohl Niemand zu sehen war. Etwas wallte in Maddie auf, doch sie wusste nicht was. Keuchend fiel sie auf die Knie. Ihr Nacken kribbelte und ihre Sicht verschwamm. Magie summte um sie herum und hüllte ihren Körper und schließlich auch ihre Seele ein. Und so schnell dieses Phänomen auch gekommen war, so schnell verschwand es wieder. Die Magie verpuffte in Funken um sie herum, während sich ihr Herzschlag nur langsam wieder beruhigte und die Tropfen schließlich zu Boden fielen. Sie hörte und sah wieder alles normal und der Nebel verschwand innerhalb weniger Augenblicke im Erdboden. Die Vögel fingen wieder an zu singen, als wäre nichts geschehen. Vielleicht war das auch so. Vielleicht hatte sie sich das Ganze nur eingebildet? Schwankend stand Maddie auf. Sie fühlte sich etwas benommen und ein leichter Kopfschmerz kündigte sich an.

      „Was…?“ Sie fasste sich unbewusst ans Herz, während sie versuchte, mit ihrer Wölfin Kontakt aufzunehmen. Doch nichts geschah. Keine Präsenz in ihrem Inneren forderte sie dazu auf, durch den Wald zu rennen oder Beutetiere zu jagen. Kein Instinkt sagte ihr, welche anderen Wesen sich in ihrer Nähe aufhielten. Selbst die Gerüche um sie herum waren um ein Vielfaches abgeschwächt. Sie fühlte nur ihre rein menschliche Seite und das jagte ihr eine Heidenangst ein. So schnell sie konnte lief sie nach Hause. Als Rudelführerin lebte Debbie mit ihrer Familie am Rand der kleinen Stadt, um ein Bindeglied zwischen den Menschen, Orakeln und Wölfen zu sein. Das Haus war geräumig und verfügte über einen großen Garten, der von dichten Büschen umgeben war, sodass man von außen nicht hineinsehen konnte. Maddie rannte zum Vordereingang und stieß ein erleichtertes Schluchzen aus, als die Tür sich auch ohne Schlüssel öffnete. Das hieß, ihre Mutter war zu Hause. Vergessen waren die Ehrung oder die Gefühle der Wut. Maddie war verwirrt und brauchte dringend den Rat ihrer Mutter. Sie fand Debbie schließlich in der Küche. Sobald Maddie ihre Mutter sah, blieb sie mitten in der Bewegung wie erstarrt stehen. Wie im Wald spürte sie augenblicklich, dass hier etwas nicht stimmte. Auf Debbies Stirn bildeten sich Falten, als sie ihre Tochter besorgt musterte.

      „Maddie, wo zum Henker bist du gewesen?