Serena S. Murray

Lost Spirit


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räusperte sich.

      „Ich werde dir etwas zeigen, das noch niemand zuvor gesehen hat. Nicht einmal meine Familie. Ich habe es vor drei Jahren durch Zufall entdeckt und denke, dass wir vielleicht hier einen Hinweis auf die Frau im Nebel finden.“ Nun hatte er ihre Neugierde noch mehr geweckt. Doch bevor Flynn sich umdrehen konnte, um weiterzulaufen, hielt sie ihn am Arm auf. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe, doch dann riss sie sich zusammen.

      „Ich muss dir noch etwas gestehen. Während ich dir gezeigt habe, was mir passiert ist, ist noch etwas geschehen.“

      „Was denn?“ Flynn zog fragend eine Augenbraue nach oben.

      „Ich weiß, dass du ein Nekromant bist.“ Erschrocken riss er sich von ihr los. Sein Kiefer malte und seine Augen verrieten so viele Emotionen, dass Maddie beschwichtigend sagte: „Keine Angst, ich werde es Niemandem verraten. Ich weiß nicht, warum ich das weiß. Diese Information war einfach da. Und in meiner Welt sind Nekromanten sehr selten und hoch angesehen. Ich gehe mal davon aus, dass das in dieser Version der Welt nicht so ist.“

      Nur langsam beruhigte sich sein Herzschlag. Irgendwo in der Nähe rief eine Eule, als sie erfolgreich ein Beutetier erlegte und Flynn war sich bewusst, dass sein Leben nun in den Händen eines Mädchens lag, das selbst einige Schwierigkeiten hatte. Bewusst lockerte er seine Schultern.

      „Kann ich auf dein Versprechen zählen?“

      Maddie nickte. Worte waren nun überflüssig. Er musterte sie so intensiv, dass sie am liebsten den Kopf gesenkt hätte. Aber hier ging es nicht um Dominanz. Nein, es ging um Vertrauen zwischen zwei jungen Menschen, die sich praktisch fremd waren. Flynn seufzte schwer und lief schließlich weiter. Zögernd folgte Maddie ihm. Hinter einer Reihe von sechs Bäumen, deren Rinde stellenweise abgeplatzt war, schimmerte die Luft. Kalte Luft traf auf warme und in ihren Gedanken hörte sie das Flimmern, auch wenn nichts an ihre Ohren drang.

      Flynn drehte sich um und sagte: „Keine Angst, mir ist bisher noch nie etwas passiert, wenn ich hindurch gegangen bin. Aber dieser Ort strahlt eine solch merkwürdige Energie aus, dass sich sonst noch Niemand näher herangewagt hat.“ Maddie nickte und beruhigte ihre Wölfin, die unruhig wurde. Die Verbindung zu ihr war schwach, aber zumindest war sie noch da. Mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen trat sie zusammen mit Flynn durch das Flimmern. Zu viele verschiedene Gerüche drangen an ihre Nase, sodass Maddie sich unbewusst an Flynn festkrallte. Ihre Haut kribbelte, während es sie heiß und kalt überlief. Die Sicht war anfangs schlecht, doch dann verschwand das Flimmern und Maddie traute ihren Augen kaum. Vor ihr befand sich eine Ruine, die schon lange zerfallen war. Der Wald hatte sich sein Recht zurückgeholt und auf dem Gestein wuchsen Schlingpflanzen, Moos und die Sprösslinge der Bäume, die hier viel größer und majestätischer aussahen.

      „Ich kenne den Wald, als wäre er mein zweites Zuhause. Aber diesen Ort hier gab es vorher ganz bestimmt nicht. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher.“ Flynn trat vor sie und machte eine Handbewegung, die die Ruine umfassen sollte.

      „Herzlich willkommen im Tempel der Lyconia.“

      Kapitel 2

      Alles in ihr schrie danach, zu fliehen. Doch wohin sollte sie fliehen? Das Flimmern war verschwunden. Stattdessen sah sie sich nun den Überresten eines Tempels gegenüber, der einmal sehr beeindruckend gewesen sein musste. Tempel kannte sie nur aus Geschichtsbüchern. Es gab keine mehr, seit die Wandlergemeinschaft beschlossen hatte, sie dem Erdboden gleichzumachen.

      „Was…? Wie…? Warum…?“ Flynn grinste und diesmal schlug Maddies Herz nicht auf Grund einer Gefahr höher. Er war unverschämt gutaussehend, das musste sie ehrlicherweise zugeben. Kopfschüttelnd vertrieb sie diesen Gedanken wieder. Sie hatte Wichtigeres zu tun, als einen Jungen anzugaffen. Zum Beispiel herauszufinden, warum er sie hierhergebracht hatte.

      „Ich weiß, dass das für dich sehr seltsam sein muss. Ich habe diesen Ort entdeckt und fast einen ganzen Tag hier verbracht, bis ich wieder hinausgefunden habe.“ Flynn ging zu einer umgestürzten Säule, aus der große Brocken herausgebrochen waren. Doch man konnte noch die liebevolle Arbeit auf dem weißen Gestein erkennen, obwohl auch hier die grüne Färbung des Waldes ihren Stempel hinterlassen hatte.

      „Warum hast du mich hierhergebracht?“ Flynn lachte unsicher auf und fuhr sich durch die kurzen Haare.

      „Tja, da wird es etwas komplizierter.“

      Maddie machte bewusst große Augen und schwenkte die rechte Hand durch die Luft.

      „Du meinst außer einem geheimen Tempel, der von Pfützen umgeben ist, die nach Schwefel riechen?“ Flynn lachte und Maddie konnte sich ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen.

      „Ja, das meine ich. Am besten du folgst mir einfach.“ Vorsichtig umrundete sie die erwähnten Pfützen, wobei der Geruch ihr schon fast körperliche Schmerzen verursachte. Flynn schien es weniger auszumachen. Das hieß, dass ihre Wandler Sinne noch geschärft waren. Das war gut, wenn auch genau in diesem Moment nicht sehr praktisch. Flynn führte sie über weitere zerbrochene Säulen, in die Mitte des Tempels. Die Decke fehlte und vertrocknetes Laub kratzte beim leisesten Windhauch über den Boden.

      „Da brennt ein Feuer“, sagte sie atemlos.

      „Ja, es brennt glaube ich die ganze Zeit. Oder es geht an, wenn ich komme, keine Ahnung.“ Flynn ging zum Feuer, das sich aus drei Holzscheiten nährte und hörbar knisterte. Er hielt seine Hand erst ein Stück oberhalb der Flammen in die Luft, dann fuhr er direkt durch die gold-gelbe Hitze. Maddie schrie auf, doch Flynn sagte gleich: „Keine Angst, das tut nicht weh. Ich verbrenne mich auch nicht.“

      Zögernd kam Maddie näher. Wieder hatte sie Herzrasen, aber sie zwang sich dazu, kein Angsthase zu sein.

      „Ich spüre die Wärme des Feuers“, sagte sie atemlos. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und auch hier spürte sie deutlich die Hitze. Nachdem sie die Hand zurückgezogen hatte, weil aus dem Feuer Funken nach oben sprangen, sagte Flynn nachdenklich: „Interessant.“

      „Und was genau ist interessant?“, fragte Maddie, während sie sich die Handfläche rieb, die rote Punkte durch die Funken aufwies.

      „Ich wusste nicht, dass nur ich die Hitze nicht spüren kann. Immerhin habe ich bisher Niemanden hierhergebracht, um es auszuprobieren. Ich habe mich bisher noch nicht ein Mal verbrannt.“

      „Was ist mit deiner Familie? Wenn mir so etwas gestern passiert wäre, dann hätte ich sofort meine Mutter um Rat gefragt.“

      „Es ist seltsam sich vorzustellen, dass deine Mutter eine Alphawölfin sein soll. Sie verhält sich immer so still und läuft mit gesenktem Kopf herum.“

      So wie sie selbst, wurde Maddie bewusst. Sie hatte die Angewohnheit, beim Laufen immer auf den Boden zu schauen. Es war seltsam, sich dessen bewusst zu werden. Flynn setzte sich auf den Boden, der nur hier und da Risse aufwies. Ernst sagte er: „Ich kann meiner Familie so etwas nicht verraten. Das würde sie in Gefahr bringen. Als Nekromant bin ich in der Lage, die Verstorbenen zu sehen. Ich kann rein theoretisch ihre Energie nutzen. Aber das macht mich auch zu einer Trophäe, die das Daemon Rudel sicher gern besitzen würde. Ich wäre nie wieder frei und würde meine Familie wahrscheinlich nicht wiedersehen, wenn das rauskommt.“ Als Maddie sich neben ihn setzte, schwieg sie betroffen. Sie kannte das fremde Rudel nicht. Aber das, was Flynn bisher erzählt hatte, machte ihr richtiggehend Angst. Als das Feuer wieder anfing zu knistern, sah sie überrascht auf. Die Funken flogen in die Luft, doch diesmal verbanden sie sich zu Zeichen, die sie nicht kannte.

      „Was ist das?“, fragte sie leise. Eine unbekannte Ehrfurcht packte sie.

      „Ich denke, das sind Botschaften. Ich habe in der Bibliothek nach Büchern über alte Orakel gesucht und habe in mehreren Bänden Hinweise zu Lyconia gefunden. Sie war ein mächtiges Orakel und versuchte sich an Magie, die zu unberechenbar war, um sie zu kontrollieren. Je länger ich hierbleibe, desto einfacher kann ich diese Zeichen deuten. Es scheint eine Sprache der Orakel zu sein. Wahrscheinlich kennen die Orakel in deiner Welt sie. Ich bleibe immer maximal eine Stunde, dann muss ich hier