Serena S. Murray

Lost Spirit


Скачать книгу

      „Normalerweise wäre ich das Risiko nicht eingegangen, dir das alles zu zeigen. Aber ich konnte ein paar Worte entziffern. Und da stand etwas von einer pinken Wölfin.“ Sein Blick wanderte unwillkürlich zu ihren gefärbten pinken Haaren. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte sie wohl lachen können.

      „Das ist ein Scherz, oder?“

      „Nein. Nicht wirklich.“

      Maddie runzelte die Stirn und starrte auf die seltsamen Zeichen, während sie alles noch mal im Kopf durchging.

      „Stand da noch was interessanteres als eine „pinke Wölfin“?“ Die Worte auszusprechen war lächerlich und sie brachte sie nur mit Mühe über die Lippen.

      „So Einiges. Aber um ehrlich zu sein möchte ich das selbst erst einmal für mich sortieren, ehe ich es laut ausspreche.“ Alles in Maddie drängte danach, zu erfahren, welche Botschaft Flynn bekommen hatte. Doch letztendlich war sie für ihn eine Fremde. Und er für sie noch mehr. Immerhin war er ihr in ihrer Realität nie aufgefallen. Also schwieg sie und versuchte auch ihre Wölfin zu beruhigen.

      „Einen Schritt nach dem anderen. Es sieht so aus, als wären wir jetzt ein Team. Das heißt, wir helfen uns gegenseitig.“ Maddie erwiderte schwach das Lächeln. Schließlich stand Flynn auf.

      „Komm, lass uns gehen. Wir brauchen beide noch etwas Schlaf, bevor du deinen ersten Tag in der Schule meisterst.“

      „Und wie genau kommen wir hier heraus?“ Misstrauisch sah sie sich um. Sie konnte das Flimmern von vorhin nicht mehr sehen.

      „Ich mein, es gibt hier offensichtlich nirgendwo eine Tür, durch die wir einfach so spazieren können.“

      Flynn lachte leise und kehlig.

      „Du bist ein Scherzkeks, richtig?“ Maddie legte den Kopf schräg und versuchte den kühlen Blick, den sie an ihrer Mutter so oft gesehen hatte. Doch das brachte Flynn dazu, vor Lachen zu gurgeln. Schnaufend stand sie auf und klopfte sich den Schmutz von der Hose. Flynn riss sich zusammen und deutete auf einen Punkt, den nur er sehen konnte.

      „Wir müssen genau zwischen diesem Strauch und dem Baum hindurch. Im Prinzip funktioniert es genauso, wie wir hergekommen sind. In der Luft schwirrt ein magischer Punkt, der selbst mir Gänsehaut beschert. Und durch den müssen wir hindurch.“

      Maddie nickte und straffte die Schultern.

      „Na dann los.“

      Der Wecker holte sie aus einem unruhigen Schlaf, sodass Maddie letztendlich froh war, in dieser verdrehten Welt Herr ihrer Sinne zu sein. Anders als in ihren Träumen. Mit schweren Gliedern schleppte sie sich ins Bad, nur um in einen Spiegel zu schauen, der ihr eingefallene Wangenknochen und leere Augen zeigte. Sie beugte sich nah an den Spiegel heran, kniff sich in die Wangen und sah zu, wie die Farbe in ihr Gesicht zurückkam. Ein Schwall kalten Wassers verscheuchte auch die letzte Müdigkeit. Sobald sie sich angezogen hatte, warf Maddie einen weiteren Blick in den Spiegel. Bisher hatte sie die Gedanken an die letzte Nacht verdrängt. An die Begegnung mit Flynn und dem, was er ihr erzählt hatte. Doch nun gab es dafür keinen Grund mehr. Sie konnte die Augen nicht vor dem verschließen, was geschehen war. In ihren schwarzen Strumpfhosen, dem kurzen Rock und dem übergroßen T-Shirt sah sie eigentlich wie immer aus. Und dabei war ihre Welt komplett auf den Kopf gestellt worden. Ihre Wölfin spürte sie wie gestern am Tag nicht mehr und das machte ihr wohl am meisten Angst. Als sie ihre Mutter aus der Küche nach ihr rufen hörte, straffte sie sichtlich die Schultern und nickte ihrem Spiegelbild zu. Ein Schritt nach dem anderen. Das hatte Flynn gesagt und er hatte recht damit.

      „Mom, ich muss los, sonst komme ich zu spät.“ Debbie packte gerade etwas Eingewickeltes in eine Dose, dann schenkte sie Maddie ein liebevolles Lächeln.

      „Ich habe dir dein Lieblingssandwich gemacht. Ich hoffe, du hast deine Hirngespinste von gestern vergessen.“ Debbie kam zu ihr und fuhr ihr liebevoll über die Wange. Solch eine mütterliche Geste war sie nicht gewohnt, weshalb sie sich wohl auch die Dose in die Hand drücken ließ. Und ihren Rucksack.

      „Sei pünktlich zu Hause. Du weißt, ich mag es nicht, wenn du nach der Schule noch unterwegs bist. Ich kann heute keine Sorgen gebrauchen. Immerhin steht der halbjährliche Hausputz an. Aber keine Angst, ich koche uns was Schönes und dann vergeht die Zeit bestimmt schnell. Viel Spaß in der Schule. Hab dich lieb.“ Debbie begleitete ihre Tochter noch bis zur Tür. Ungelenk umarmte Maddie ihre Mutter, wobei ihr das Stirnrunzeln nicht entging. Dann lief sie los. Erst, als ihre Mutter nach drei Häusern die Haustür geschlossen hatte, atmete sie wieder frei. Das war – ja, das war seltsam gewesen. Aber auch irgendwie angenehm. Es klingelte zur ersten Stunde und sie beeilte sich, in das Schulgebäude zu kommen. Zum Glück war hier alles so, wie sie es gewohnt war. Sie winkte ihren Freunden zu, verbrachte die ersten Stunden in Klassenräumen mit Lehrern, die sie kannte und deren Stoff sie tatsächlich die letzten Tage über durchgenommen hatte. Sobald die Pausenglocke ihr eine kurze Verschnaufpause gönnte, machte sie sich gleich auf die Suche nach Flynn. Sie fand ihn auf dem Hof. Er stand in einer Traube anderer Schüler und lachte über etwas, das ein Junge in seinem Alter gesagt hatte. Noch während sie direkt auf ihn zusteuerte, wurden seine Augen groß.

      „Flynn, kann ich dich kurz sprechen?“ Alle starrten sie überrascht an. Und da wurde ihr bewusst, dass sie sich wohl falsch verhielt. Normalerweise wäre es Niemandem aufgefallen, wenn sie Flynn angesprochen hätte. Immerhin war er ein Orakel und sie die Tochter einer Alpha Wölfin. Doch sie konnte nicht leugnen, dass sich eine seltsame Ruhe über die Gruppe gelegt hatte. Alle starrten sie an und das war tierisch unangenehm.

      „Ja. Ja, natürlich.“ Flynn ergriff ihren Arm und zog sie weg. In ihr Ohr zischte er: „Was machst du denn? Willst du mich umbringen?“ Maddie schüttelte den Kopf.

      „Wieso umbringen?“ Er brachte sie an einen Fleck, an dem es nur wenige Schüler gab. Äußerlich machte er nicht den Eindruck, angespannt zu sein. Doch Maddie konnte es riechen.

      „Du bist ein normales Mädchen, ohne besondere Kräfte und sprichst ein Orakel an. Und, was am schwersten wiegt: Du bist die zukünftige Misses Daemon.“

      Maddie knirschte mit den Zähnen und bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. Doch langsam begriff sie, dass ihr Verhalten gedankenlos war.

      „Es tut mir leid. Für mich ist das Ganze hier ziemlich anstrengend und verwirrend. Ich wollte mit Jemandem reden, der weiß, was los ist.“ Beschämt schaute sie auf den Boden. Flynn seufzte laut auf und heiße Röte stieg ihr in die Wangen. Sie verhielt sich wirklich kindisch. Doch ehe sie sich entschuldigen konnte, teilten sich die Schüler auf dem Hof. Ein Junge kam auf sie zugelaufen, dessen Blick so viel Dominanz ausstrahlte, dass sie sich am liebsten auf den Boden geworfen hätte, um ihren Bauch zu präsentieren Mit aller Kraft wiederstand sie diesem Wunsch.

      „Pete?“, fragte sie leise. Immerhin hielt er ihren Blick eisern gefangen und seine zusammengekniffenen Lippen ließen darauf schließen, dass er keine allzu gute Laune hatte. Flynn nickte unmerklich und neigte anschließend ehrerbietig den Kopf, als der Sohn des Rudelführers sie erreichte. Hinter ihm tauchten fünf muskelbepackte Kerle auf, die viel zu alt waren, um noch zur Schule zu gehen. Ein junger Kerl mit dicker Brille und fünf Büchern im Arm konnte nicht schnell genug ausweichen, als die Gruppe sich hinter Pete aufbaute. Er wurde einfach auf den Boden geworfen, kurz darauf landete ein Fuß auf seinem Rücken. Maddie knirschte mit den Zähnen.

      „Was soll das?“ Ihre Wut blendete sie. Heiß kroch sie durch ihren Körper. Normalerweise wäre ihre Wölfin in solch einer Situation deutlich zu spüren gewesen. Doch sie konnte nur einem schwachen Wiederhall nachspüren, der sie warnte. Sie musste vorsichtig sein und durfte sich nicht verraten.

      „Das wollte ich dich auch gerade fragen. Was machst du hier, an einem abgeschiedenen Platz mit einem Orakel?“

      Als ihre Wut nachließ, kehrte die Angst zurück. Mit aller Macht kämpfte sie dieses primitive Gefühl zurück. Schweiß lief ihren Nacken hinunter. Immer wieder wanderte ihr Blick zu den Gestalten hinter Pete, um sich von ihm abzulenken, die wiederum sie finster anstarrten. Fast meinte sie, ihre Knie würden so stark zittern, dass auch andere