Serena S. Murray

Lost Spirit


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Du brauchst keine Angst zu haben.“ Einer der Typen lachte, woraufhin ihm ein anderer den Ellbogen unsanft in die Seite stieß. Und mit einem Mal erkannte Maddie ihren Ausweg. Pete ahnte nicht, dass sein dominanter Wolf sie so einschüchterte.

      „Das ändert nichts daran, dass ich mich in ihrer Gegenwart nicht wohl fühle. Und wenn sie harmlose Schüler einfach so in den Dreck treten dürfen, trägt das nicht unbedingt dazu bei, dass ich meine Meinung ändere.“

      „Was ist los mit dir? So kenne ich dich gar nicht. Normalerweise machst du dir eher um deine Frisur sorgen oder dass ich dir keinen Kaffee zum Frühstück mitbringe.“ Kaffee? Sie hasste Kaffee. Und ja klar, ihr Aussehen war ihr bis zu einem gewissen Punkt wichtig. Aber bei diesem Wolf hörte sich das so an, als ob sie eine hirnlose Puppe wäre. Wieder knirschte sie mit den Zähnen, was sie überraschte. Die Wut kehrte zurück und brachte ihren zitternden Körper endlich dazu, still zu stehen. Der Schläger nahm endlich den Fuß vom Rücken des Jungen, woraufhin dieser so schnell flüchtete, wie es seine staubige Brille und das Gewicht der Bücher zuließ.

      „Ich habe eben andere Dinge im Kopf. Wie zum Beispiel ein Projekt in Physik. Du weißt, dass das nicht mein bestes Fach ist.“ Na ja, zumindest nahm sie an, dass er das wusste. Da kein Einwand von Pete kam, fuhr Maddie fort, wobei sie sich bemühte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben: „Und genau da kommt Flynn ins Spiel. Er hilft mir. Mister Kyle meinte, dass er mir helfen kann, in dem Fach nicht durchzufallen. Und genau das habe ich auch vor. Spricht irgendetwas dagegen, dass er mir hilft?“ Maddie überlegte, ob sie die Hände in die Hüfte stützen sollte, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Das würde lächerlich und unglaubwürdig aussehen.

      „Stimmt das?“, wandte Pete sich nun an Flynn, wobei er die Augen zu schmalen Schlitzen verzog.

      „Ja.“ Flynns Stimme war keinerlei Emotion anzuhören und Maddie beneidete ihn darum. Pete tippte mit dem rechten Fuß auf die Erde.

      „Na, dann sieh zu, dass du ihr auch wirklich eine Hilfe bist. Sonst weißt du, was dir blüht.“ Die Schläger hinter Pete lachten und nun schwappte die Angst der anderen Schüler direkt über Maddie hinweg. Anscheinend waren der Sohn des Rudelführers und seine Freunde keine gern gesehenen Gesellen hier. Und Maddie konnte diesem Gefühl nur zustimmen.

      „Wenn du offiziell zu mir gehörst, müssen wir darüber reden, mit wem du dich abgibst und mit wem nicht.“ Pete trat vor und beugte den Kopf so schnell herunter, dass Maddie keine Zeit hatte, auszuweichen. Sie glaubte, dass er sie küssen wollte. Doch stattdessen biss er sie in die Unterlippe, sodass sie blutete. Mit einem zufriedenen Lächeln stolzierte er mit seinem Trupp hirnloser Schläger davon.

      „Er hat mich gerade öffentlich als sein Eigentum markiert,“ stieß Maddie fassungslos hervor. Nun konnte auch Flynn seine Sorge nicht mehr verbergen.

      „Das verkompliziert dein Leben ungemein, würde ich mal sagen.“ Am liebsten hätte sie Flynn geschlagen. Wie dumm war da ihr Wunsch, mit ihm über das seltsame Verhalten ihrer Mutter zu reden? Zitternd ließ sie sich ins Gras sinken. Nach ein paar Sekunden setzte auch Flynn sich hin. Immerhin war er noch einmal mit heiler Haut davongekommen und seine Freunde hatten sich davongeschlichen, sobald es möglich war.

      „Sieh es mal von der Seite. Er hat deine Wölfin nicht wahrgenommen. Sonst hättest du jetzt noch ein weiteres Problem.“ Maddie legte den Kopf in den Nacken und schaute in den blauen Himmel hinauf. Nur vereinzelt zogen Wolken vorbei. Hier und dort waren sogar einige Vögel zu erkennen. Mit dem Zeigefinger wischte sie sich den Bluttropfen von der Lippe.

      „Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ich fühle mich regelrecht verloren ohne sie. Wir waren immer eins. Ich spüre sie, aber nur sehr verhalten. Es ist, als ob etwas meine Gedanken streift, aber ich es mir auch nur einbilden könnte.“ Zögernd sprach sie weiter: „Treffen wir uns heut Abend wieder?“

      Maddies Frage schien ihn zu überraschen.

      „Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte Flynn zweifelnd.

      „Wenn es so wie gestern Abend ist, dann werde ich um Mitternacht herum den Drang verspüren, mich zu verwandeln. Ich kann nicht durch die Stadt laufen, das ist klar. Und du wirst sicherlich auch in den Wald müssen, wenn ich das recht sehe. Was auch immer du da aus dem kleinen Garten holen wolltest, du hast es nicht mitgenommen und bist auch später nicht mehr hin, um es zu holen.“

      „Hast du mich verfolgt?“

      „Ich musste wissen, wo du wohnst. Ob du nicht doch zum Rudel läufst und ich in eine Falle gerate.“

      Wütend stand Flynn auf. Zum Glück achtete mittlerweile keiner mehr auf sie, sodass Maddie ebenfalls aufstand und Flynn sanft eine Hand auf den Arm legte. Sie war normalerweise von der schüchternen Sorte. Doch irgendwie fühlte sie sich in Flynns Gegenwart mutig.

      „Hättest du dich nicht genauso verhalten? Immerhin vertraust du mir ein Geheimnis an, dass nicht nur dein Leben betrifft. Deine Familie selbst und die gesamte Stadt wäre davon betroffen.“ In Gedanken hörte Maddie die Stimme ihrer Mutter, als sie ihr einen Vortrag über die Nekromanten hielt. Aus einer Zeit, in der sie noch mit Nachdruck gesprochen hatte und nicht mit dieser sanften Art.

      „Du kannst die Seelen der Verstorbenen sehen und mit ihnen kommunizieren“, flüsterte Maddie so leise, dass niemand sie hören konnte. „Deine Gabe ist selten und deinen Worten nach zu urteilen ist sie in dieser verkehrten Welt eher ein Fluch als ein Segen. Aber da du dich nicht verwandeln und mich heimlich verfolgen kannst, musst du mir blind vertrauen.“ Endlich beruhigte Flynn sich wieder und sie nahm ihre Hand herunter. Seltsamerweise vermisste sie die Wärme seines Körpers. Der junge Mann drehte sich um und schaute ihr in die Augen. Ein schiefes Lächeln lockerte die Situation auf.

      „Ich vertraue dir nicht blind. Du hast dich mir geöffnet und ich habe gesehen, was dir wiederfahren ist. Diese Bilder lügen nicht. Aber du hast recht, ich hätte mich wahrscheinlich genauso verhalten wie du. Außerdem, wer sagt, dass ich dir nicht unbemerkt hätte folgen können?“ Als die Schulglocke klingelte, bewegte sich die Masse der Schüler in das Gebäude.

      „Wir sehen uns heute Abend“, sagte Flynn, dann schloss er sich den anderen an. Maddie nahm sich noch einen Augenblick für sich, dann folgte auch sie den letzten Schülern, die wie sie getrödelt hatten. Bevor sie jedoch den Klassenraum betreten konnte, griff ein Mädchen sie am Arm und hielt sie auf.

      „Mensch, was ist da vorhin passiert? Ich habe ein Gerücht gehört, dass der Wolf dich markiert hat?“ Ungläubig schaute Maddie in das Gesicht von Cassandra Drew. Sie hatte einige Fächer zusammen mit Maddie und normalerweise warf Cassandra ihr immer ziemlich giftige Blicke zu. Zumindest, seit sie ihr als Welpe mal sprichwörtlich ans Bein gepinkelt hatte. Damals hatte sie natürlich nicht gewusst, dass ein Mensch das nicht so lustig finden würde wie die älteren Wölfe, die sie dazu angestachelt hatten. Seitdem hatten sie – vorsichtig ausgedrückt – ein etwas angespanntes Verhältnis. Cassandra warf ihre rote Haarmähne nach hinten und zog die Augenbrauen verwirrt nach oben.

      „Was ist los? Warum schaust du mich so seltsam an?“ Cassandra legte eine Hand auf ihre Stirn. Wie ihre Mutter einen Tag zuvor. Wirklich, das nervte.

      „Geht es dir nicht gut? Maddie komm schon, langsam mach ich mir sorgen. Du bist nicht mal zu mir gekommen, nachdem es passiert ist. Du machst mir echt Angst.“

      „Warum?“ Auf Maddies Antwort hin ließ Cassandra sie los und schüttelte verständnislos den Kopf.

      „Weil dieser Holzkopf dich markiert hat. Das ist schlimm. Das ist das Schlimmste, was hätte passieren können. Wir haben uns seit Wochen überlegt, wie wir dem entgehen können und nun ist es passiert.“

      Reine Panik überflutete sie, doch Maddie riss sich zusammen.

      „Um ehrlich zu sein, bin ich noch ziemlich geschockt. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich jetzt verhalten soll und was ich machen kann.“ Das war die Wahrheit. Und sie machte ihr tierische Angst.

      „Na sieh mal einer an, Cassy und Maddie. Wird Zeit, dass ihr eure innige Freundschaft begrabt. Immerhin wird Pete es nicht erlauben,