Irene Dorfner

Die Jagd nach dem Serum


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klappte über viele Monate perfekt, fast zu perfekt. Die Polizei hatte den vermehrten Drogenhandel mitbekommen, aber nichts wies auf die Kurowskis hin. Natürlich mehrten sich die Diebstahl-Meldungen von Heiligenfiguren, aber die Polizei hatte nicht den kleinsten Hinweis auf die Diebe. Es wurde zwar mehrfach ein heller Lieferwagen erwähnt, aber mehr nicht. Von diesen Lieferwagen gab es tausende. Wie sollten sie da den Richtigen finden?

      Vor drei Monaten wurde Gerhard Kurowski von einem Mann am Münchner Hauptbahnhof angesprochen, der ihm schon geraume Zeit gefolgt war. Er hatte den Schließfachschlüssel bereits in den Händen, wagte aber nicht, die Ware zu holen. Wer war der Mann? Gerhard setzte sich weit abseits auf eine Bank am Ende eines Gleises, auf dem in der nächsten Stunde kein Zug erwartet wurde. Dann kam der Mann in Begleitung eines Weiteren auf ihn zu und er setzte sich neben ihn. Der andere stand nur wenige Meter entfernt.

      „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Achmed Arsai. Bitte sind Sie nachsichtig mit mir, was mein Deutsch anbelangt. Ich bin gebürtiger Iraner und lebe erst seit wenigen Jahren in Deutschland,“ sagte der Mann freundlich. Gerhard spürte sofort, dass das nicht stimmen konnte, denn der Akzent und der Name passten nicht zusammen. Er war auf der Hut und gespannt darauf, was Arsai von ihm wollte.

      „Ich habe gehört, dass Sie alte Schnitzkunst mit interessantem Innenleben verkaufen?“

      „Wenn es so wäre?“

      „Ich bin an sehr alten Stücken interessiert. Sagt Ihnen der Begriff Reliquienkreuze etwas?“ Gerhard schüttelte den Kopf. Er war kein religiöser Mensch. Er konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, wann er das letzte Mal in der Kirche gewesen war.

      „Man hatte früher Reliquienkreuze gefertigt, um darin Andenken an Heilige aufzubewahren. Die Verehrung Heiliger ging so weit, dass man sogar winzig kleine Fragmente von Dingen aufbewahrte, die von Gegenständen des Heiligen berührt wurden, die wiederum auch nur berührt wurden.“

      Gerhard sah auf die Uhr. Das, was Arsai von sich gab, interessierte ihn nicht die Bohne. Was gingen ihn Verehrungskulte von längst verstorbenen Heiligen an?

      „Verstehen Sie mich nicht falsch Herr Arsai, aber wir verschwenden Zeit. Ich handele nicht mit Kreuzen, und schon gar nicht mit Reliquienkreuzen.“

      „Bitte schenken Sie mir noch fünf Minuten Ihrer Zeit,“ sagte Arsai freundlich und Gerhard willigte ein. Warum nicht? Fünf Minuten waren schnell vorbei.

      „Diese Reliquienkreuze waren eigentlich zur Erinnerung an Heilige gedacht. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde in dieser Form an Familienmitglieder, verdiente Bürger oder normale Geistliche gedacht. Zur Verdeutlichung zeige ich Ihnen ein solches Kreuz.“ Arsai zog ein Bündel aus seiner Tasche und wickelte ein Holzkreuz heraus. „Sehen Sie Herr Kurowski, das ist ein Reliquienkreuz.“ Arsai öffnete auf der Rückseite des Kreuzes ein Fach. „Das sind Haare des Verstorbenen, ein Stück Stoff vielleicht von seiner Kleidung, und das Stück Papier wurde vermutlich vom Verstorbenen beschrieben.“ Arsai behandelte das Kreuz wie einen Schatz.

      „Warum sehen Sie nicht einfach nach?“, sagte Gerhard.

      „Nein, das geht nicht. Diese Reliquien liegen seit ungefähr 1840 genau so in dem Fach und das soll so bleiben.“ Arsai war erschrocken über die rohe Art des Mannes, der offensichtlich nichts für antike Kunst und Brauchtum übrighatte. Normalerweise mochte er solche Menschen nicht.

      „Sehr schön,“ sagte Gerhard und sah erneut auf die Uhr. Die fünf Minuten waren gleich um.

      „Es gab damals nicht nur Reliquienkreuze, sondern auch Holzfiguren, die für denselben Zweck verwendet wurden. Ich suche nach solchen Holzfiguren.“

      Jetzt verstand Gerhard Kurowski.

      „Ich glaube, ich weiß, wovon Sie sprechen. Ich habe solche Figuren schon gesehen. Was wollen Sie damit machen?“

      „Ich bin Sammler und habe viele Freunde, die ebenfalls Sammler sind. Wir zahlen sehr gut. Sind Sie an einer Zusammenarbeit interessiert?“

      „Wenn ich Geld verdienen kann, bin ich immer dabei.“

      „Dann schlage ich vor, wir fahren zu mir und dort besprechen wir alles Weitere. Hier ist nicht der richtige Ort dafür. Wenn Sie erlauben, fahren wir mit meinem Wagen?“

      „Von mir aus.“

      Die Ware lag sicher im Schließfach, die konnte er auch später noch holen. Gerhard folgte Arsai und seinem Begleiter. Er war beeindruckt, als er vor der imposanten Limousine stand, deren Scheiben dermaßen getönt waren, dass man nicht hineinsehen konnte. Der Begleiter, der bis jetzt kein einziges Wort von sich gab, setzte sich hinters Steuer und fuhr die Trennscheibe nach oben. Gerhard und Arsai saßen im Fond des Wagens.

      Nach einer Stunde waren sie endlich angekommen. Arsai hatte Gerhard so geschickt abgelenkt, dass der nicht mehr wusste, wo sie eigentlich waren.

      Der Wagen fuhr in eine Tiefgarage und von dort ging es mit dem Aufzug in die sechste Etage, wobei der Fahrer sie wieder begleitete. Gerhard Kurowski war beeindruckt von der pompösen Ausstattung der Wohnung, die einen gigantischen Blick über München erlaubte. Allerdings konnte man von hier aus nicht erkennen, wo sie sich befanden. Der Fahrer stand in der Ecke. Er hatte bis dato kein einziges Wort gesagt. Was sollte der Mist? Das alles nur wegen der Figuren? Er glaubte Arsai nicht.

      „Bitte setzen Sie sich. Kaffee?“

      Ohne auf eine Antwort zu warten, schenkte der Fahrer Kaffee aus der Thermoskanne ein, die zusammen mit einem riesigen Teller süßer Leckereien auf dem Tisch stand. Gerhard langte kräftig zu, lehnte sich zurück und wartete auf Arsais Erklärung.

      „Ich kenne den wahren Hintergrund ihrer Kunstgeschäfte,“ sagte Arsai. „Ihre Neffen stehlen die Stücke, die sie dann präparieren und weiterveräußern. Ich muss Ihnen für die verschlüsselten Bilder und Angebotsecken im Internet meinen Respekt aussprechen, Sie verstehen Ihr Handwerk. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ihre Geschäfte sind mir völlig gleichgültig. Leben und leben lassen, das war schon immer mein Motto. Was mich interessiert: Wie werden die Stücke versandt?“

      Gerhard war überrascht, wie gut Arsai informiert war. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Der Mann schien stinkreich zu sein und der stumme Typ in der Ecke war sehr furchteinflößend. Arsai gab sich bisher sehr freundlich, fast unterwürfig. Mit dieser Art kam man sicher nicht zu Geld. Er musste höllisch aufpassen und entschied sich für die Wahrheit.

      „Die Figuren werden ganz normal per Post von verschiedenen Städten aus versendet. Dafür fahre ich gerne mehrere Stunden. Die Pakete werden mit einem geringen Wert angegeben und ich achte darauf, dass die Verpackung nicht perfekt aussieht. Die Absenderadressen sind erfunden. Die Paketaufkleber lasse ich nach einer Ausrede von alten Menschen beschriften. Ich schiebe eine Handverletzung oder einfach nur eine vergessene Brille vor. Ich habe sogar einige Postangestellte überreden können, die Paketaufkleber zu beschriften. Da die Absender alle erfunden sind, kennzeichne ich die Pakete mit einem kleinen, unscheinbaren Aufkleber. So weiß der Empfänger Bescheid, was in dem Paket drin ist. Wir sind noch nie aufgefallen und wurden auch nie kontrolliert,“ sagte Gerhard stolz. „Alle Pakete kamen immer ohne Probleme an.“

      „Sehr clever. Kommen wir nun zum Geschäftlichen. Wenn Sie eine Figur mit Reliquien finden, werden Sie mir die verkaufen. Wie gesagt, zahle ich einen guten Preis. Ich schlage vor, dass Sie die dann in gewohnter Weise an die Adresse senden, die ich Ihnen gebe. Selbstverständlich werden auch diese Figuren von Ihrem Neffen mit Blei versehen. Sind Sie damit einverstanden?“

      „Warum das Blei? Ich denke, Sie wollen die Reliquien in den Figuren belassen?“

      Arsai antwortete nicht, er lächelte nur. Er hatte nicht die Absicht, Kurowski dahingehend zu informieren.

      „Gut. Nehmen wir an, dass ich akzeptiere. So wie ich das verstehe, soll ich das ganze Risiko tragen? Ich besorge die Figuren und muss sie auch noch präparieren und versenden? Warum machen Sie das nicht selbst?“

      „Weil ich Sie sehr gut dafür bezahle. Sind wir uns einig?“

      „Bevor ich zustimme, möchte