Irene Dorfner

Die Jagd nach dem Serum


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Jungs erschraken. Onkel Gerhard war der einzige ihrer Verwandten, der immer zu ihnen hielt. Sie hatten Hochachtung vor dem Bruder ihrer verstorbenen Mutter, der es zu etwas gebracht hatte. Er kannte sich sehr gut mit Computern aus und arbeitete als IT-Spezialist. Kevin und Torsten waren sicher, dass ihr Onkel sehr gut verdiente, da er stets die neuesten Autos fuhr und immer Geld zu haben schien. Es kam nicht selten vor, dass er seiner Schwester Geld zusteckte. Nach deren Tod sah er immer wieder nach seinen Neffen und half auch ihnen finanziell aus.

      Jetzt stand Onkel Gerhard vor ihnen und sah sie an. Wie sollten sie die Situation erklären? Sie zögerten. Dann entschieden sie, ihm die Wahrheit zu sagen. Gerhard war zunächst angewidert, aber dann schien er von der Idee begeistert.

      „Du dealst mit diesem Teufelszeug? Wie lange schon?“

      „Spielt das eine Rolle? Ich nehme nichts davon, auch Kevin nicht. Ich verdiene viel Kohle damit. Und mit dieser Idee könnten wir sehr viel mehr machen. Allerdings wissen wir nicht, ob das funktioniert.“

      „Dann lasst es uns ausprobieren.“

      „Du bist dabei?“

      „Wir werden sehen. Vorher möchte ich testen, ob das Ganze funktioniert. Lasst etwas von dem Crystal Meth in der Figur.“

      „Was hast du vor?“

      „Ich möchte wissen, ob beim Durchleuchten des Paketes tatsächlich nichts gesehen wird und ob wirklich kein Geruch durchdringt. Denkt ihr, ich möchte im Gefängnis landen?“

      „Das ist zu gefährlich, Onkel Gerhard. Wenn du auffliegst, haben dich die Bullen am Arsch.“

      „Das lass mal meine Sorge sein.“

      Gerhard Kurowski hatte Blut geleckt. Nachdem er nach vielen Jahren seinen gutbezahlten Job als IT-Spezialist quasi von heute auf morgen verloren hatte, brauchte er Geld. Sehr viel mehr, als ihm das Arbeitsamt zahlte. Das hier war eine Möglichkeit, sein Einkommen aufzubessern. Allerdings musste das ohne Risiko ablaufen. Er nahm eine der Figuren mit nach Hause und legte sie in ein Paket. Es war klar, dass er nicht den richtigen Absender angab. Nichts durfte auf ihn oder seine Neffen hindeuten. Dann gab er die Adresse eines Hotels in Prag an, zu Händen Herrn Müller. Sofort nach Aufgabe des Paketes fuhr er in dieses Hotel und wartete. Das Paket wurde am nächsten Tag ohne Probleme ausgeliefert. Das reichte Gerhard Kurowski noch nicht. Er fuhr mit dem Paket zum Zoll in Furth im Wald, das als Nächstes auf seinem Weg lag. Seine Geschichte musste plausibel klingen.

      „Ich habe das Paket für einen Kollegen angenommen, der dies allerdings nicht wie vereinbart abgeholt hat. Da ich nicht weiß, was darin ist und ich mit dem Zoll oder der Polizei keine Schwierigkeiten bekommen möchte, bin ich hier. Ich habe das Paket im guten Glauben angenommen, ohne zu wissen, was es beinhaltet. Und dabei habe ich meinen guten Namen hergegeben. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, denn ich möchte in keine dunklen Machenschaften hineingezogen werden. Ich möchte das Paket nicht öffnen, schließlich gibt es ein Postgeheimnis. Verstehen Sie, in welchem Dilemma ich stecke?“

      „Ja, ich verstehe Sie. Man sollte sich zweimal überlegen, für wen man Post annimmt. Was wollen Sie jetzt von mir?“

      „Würden Sie das Paket für mich öffnen?“

      „Ohne triftigen Grund darf ich das nicht. Auch für uns gilt das Postgeheimnis,“ sagte die Frau. Gerhard wusste das.

      „Haben Sie die Möglichkeit, das Paket zu durchleuchten? Ich möchte lediglich sichergehen, dass ich nichts Verbotenes unterstützt habe.“

      Die Frau zögerte. Für sie gab es keine Veranlassung, das Paket zu durchleuchten. Allerdings verstand sie auch die Bedenken des Mannes. Wenn doch nur alle so ehrlich wären! Sie sah sich um. Außer ihr war im Moment niemand hier.

      „Geben Sie her,“ sagte sie und verschwand.

      Die nun folgenden wenigen Minuten kamen Gerhard Kurowski wie eine Ewigkeit vor. Was würde jetzt passieren? Dann erschien die Frau wieder.

      „So wie ich das sehe, ist eine geschnitzte Figur darin, die einen Stahlkörper oder ähnliches hat. Würde das Paket jetzt normal über unser Zollamt laufen, könnte es sein, dass wir uns den Inhalt genauer ansehen. Nichts an diesem Paket würde mich persönlich dazu veranlassen, dass ich es mir genauer anschaue.“

      Die Frau sagte KÖNNTE, was bedeutet, dass nicht jedes Paket kontrolliert wurde.

      „Mein Kollege sammelt alte Figuren, das ist richtig. Und wenn diese jetzt einen besonders hohen Wert hat?“

      „Normalerweise nicht. Es gibt für Auslandslieferungen eine Freimenge, die mit diesen Figuren erfahrungsgemäß nicht überschritten wird. Denken Sie sich nichts dabei und bewahren Sie das Paket solange auf, bis sich Ihr Kollege bei Ihnen meldet.“

      „Was passiert mit einem Paket, das im Inland versandt wird? Ich frage nur so aus Neugier.“

      „Da gehen solche Pakete normalerweise ohne Prüfung durch. Auch innerhalb der EU wird nur stichpunktartig durchleuchtet. Sagen Sie das nicht weiter. Wir möchten den Schmuggel bei Paketen nicht fördern.“ Die Frau lachte und Gerhard stimmte in das Lachen ein. Die beiden plauderten noch über Belangloses, bis ein Mann den Raum betrat. Gerhard bedankte sich überschwänglich und verließ zufrieden das Zollamt.

      Es war interessant zu wissen, dass Pakete, die innerhalb Deutschlands verschickt wurden, nicht geprüft werden. Es war zwar möglich, dass Pakete innerhalb der EU geprüft wurden, aber das schien nicht die Norm zu sein. Pakete, die außerhalb der EU verschickt wurden, waren ein Risiko. So, wie er die Frau verstanden hatte, nahm man sich nur verdächtige Pakete genauer vor. Das konnte man problemlos umgehen. Wenn man stümperhaft zusammengeschusterte Verpackungen verwendete und die Paketaufkleber mit der Handschrift eines alten Menschen beschriftet wurden, musste der Versand problemlos durchgehen. Das bekam er hin, das dürfte keine große Sache sein.

      Stimmte Kevins Aussage, dass der Drogengeruch nicht durchdrang? Er konnte selbst nichts riechen, aber das bedeutete nichts. Auch der Frau am Zollamt war nichts dergleichen aufgefallen. Es juckte ihn in den Fingern, das auszuprobieren. Er erinnerte sich daran, dass es auf dem Besucherpark am Münchner Flughafen Drogenspürhunde gab. Ob die gerade jetzt dort waren? Er fuhr los und war in knapp zwei Stunden dort. Er kam gerade recht, als einer der Polizisten in Begleitung eines Hundes auf dem Gelände einen Vortrag hielt. Das Paket hatte er in der Tasche. Er atmete tief durch und ging auf die Gruppe zu. Was der Polizist zu sagen hatte, interessierte ihn nicht. Gerhard behielt immer nur den Hund im Auge. Der Vortrag war vorbei und er ging absichtlich dicht an dem Hund vorbei. Dieser sah für einen kurzen Moment in seine Richtung. Das war alles. Kevin hatte Recht gehabt. Der Drogengeruch drang tatsächlich nicht durch. Zufrieden fuhr er zu seinen Neffen, um ihnen die frohe Botschaft zu überbringen.

      Die beiden Brüder warteten seit vorgestern unter Hochspannung auf ihren Onkel. Sie machten sich Sorgen.

      „Denkst du, er ist aufgeflogen?“

      „Nein, Onkel Gerhard ist clever. Wenn wir ihn mit an Bord haben, könnten wir ein Vermögen machen. Stell dir mal vor, wieviel wir verticken könnten? Dominik wird begeistert sein.“

      Torsten hatte vorsorglich einige Figuren geklaut. Anfangs zog er allein los, bis sich Kevin anschloss. Rasch hatten sie eine beachtliche Menge Figuren, die sich nun alle im Keller befanden. Beide malten sich aus, welche Summen damit zu machen waren, wenn sie jede Einzelne mit Crystal Meth befüllen könnten. Torsten hatte die Hofeinfahrt ihres alten Hauses stets im Auge und wippte nervös mit dem rechten Bein, während Kevin kleine Tiere schnitzte.

      Endlich fuhr Gerhards Wagen auf den Hof des alten, renovierungsbedürftigen Hauses, das die Brüder Kurowski von ihrer Mutter geerbt hatten. Ja, sie hätten das Haus renovieren können, aber sie waren viel zu faul dafür. Beiden war klar, dass sie in dem kleinen Kaff Sipplingen am Bodensee sowieso nicht bleiben würden.

      „Was ist? Hat es funktioniert?“

      „Und wie. Ich bin dabei. Von mir aus kann es losgehen. Die Frage ist, wo wir die Heiligenfiguren herbekommen?“

      „Das ist das kleinste Problem,“ sagte Torsten,