H. G Götz

Caromera


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es ihnen nichts ausmacht treffen wir uns hier in drei Tagen wieder, um die gleiche Zeit.“

      Bogwin ging zur Tür, Lampert schlich hinter ihm her.

      „Einen guten Abend noch.“

      Lampert schloss sich dem Abschiedsgruß seines Kollegen an.

      „Auch ihnen einen guten Abend meine Herren“, erwiderte

      Hauptman den Gruß.

      Hauptman stand allein in seinem Büro.

      Wenige Sekunden später, öffnete sich eine Tür an der Wand die, niemand hätte vermuten können. Herein kamen zwei Männer, die sich vor Hautpman hinstellten. Hauptman beachtete die beiden nicht, sondern ging hinter seinen Schreibtisch. Mit beiden Händen stützte er sich auf seinen Tisch und sagte: „Behaltet die beiden im Auge. Ich möchte über alles unterrichtet werden, was sie tun. Wohin sie gehen. Mit wem sie sich unterhalten.“

      „Ja Herr“, antwortete einer der beiden.

      Schon machten sie sich daran den Raum zu verlassen.

      „Noch etwas“, begann Hauptman wieder.

      „Wenn sie Anstalten machen sollten in das

      Polizeihauptquartier zu gehen, dann fangt ihr sie ab und bringt sie nach unten.“

      Die beiden Männer sahen sich vielsagend an. Sie wussten, was dieses unten bedeutete.

      Nicht erst einmal waren sie beide selbst es gewesen, die jemanden nach unten gebracht hatten. Doch noch nie, hatten sie jemanden von dort wieder nach oben gebracht.

      Zumindest nicht lebend.

      Bogwin ging mit langsamen Schritten durch die dunklen Straßen von Prudencia.

      Er, eines der Ratsmitglieder und sich seiner Stellung bewusst, sah man normalerweise nur mit wohl gemessenen selbstbewussten Schritten durch diese, seine Stadt zu gehen. Doch wie die Stadt, in der er aufgewachsen war, wie dieser, wenn auch kleiner Staat, sich verändert hatte, so hatte auch er sich verändert. Seine einst so selbstbewussten Schritte, waren zögerlich geworden.

      Wie auf Scherben ging er nun dahin. Vorsichtig einen Schritt nach dem andern setzend, so als gelte es, sich nicht die Füße an den imaginären Scherben zu verletzen.

      So vieles war in den letzten Jahren passiert.

      Zu viel!

      Nur manchmal hob er seinen Kopf. Sah auf den Unrat, der in den Straßen lag.

      Niemand kümmerte sich mehr um diesen. In manchen Ecken lungerten Menschen in kleinen Gruppen herum, die sich leise unterhielten. Diese warfen, als er an ihnen vorbei ging verstohlene Blicke zu.

      Selbst jetzt im Dunkel, konnte er den Schmutz sehen, der sich auf dem Gehsteig festgesetzt hatte. An manchen Stellen standen übelriechende Pfützen, die nur darauf zu warten schienen, dass jemand in sie tappte. Eingetrocknetes, welcher Art es war, konnte er nicht ausmachen, verunzierte den Gehweg.

      „Eine Schande“, dachte er bei sich selbst.

      „Was ist nur aus dir geworden!“

      Er hatte noch ein gutes Stück zu gehen, doch schon jetzt war ihm der Weg leid.

      Wo war sie nur hin? Die Freude am Gehen, am sich bewegen, am Schlendern durch die Straßen jenes Ortes, den er einst so geliebt hatte. An dem er aufgewachsen und zur Schule gegangen war, in der er seine politische Laufbahn begonnen hatte. Sie war ihm fremd geworden, diese Stadt, für die er viele Jahre seines Lebens geopfert hatte.

      Doch irgendwann, er wusste noch nicht mal, wann genau es begonnen hatte, war ein Wandel eingetreten. Schleichend zuerst. Kaum merklich hatte dieser stattgefunden. Hatte begonnen diese Stadt, dieses Land zu verändern.

      Ja, zu sorglos waren sie gewesen. Zu bequem waren sie geworden. Hatten die Zeichen nicht erkannt.

      Mit jedem Schritt wurde seine Stimmung düsterer. Niedergeschlagenheit schaffte sich Raum in ihm, die es ihm schwermachte einen Schritt vor den anderen zu setzen.

      Er versuchte, seine Gedanken mit irgendetwas zu beschäftigen, dass ihn von dem ablenken sollte, was erst vor Kurzem vorgefallen war. Wie konnte es nur geschehen, dass er sich in einem Raum mit diesem Menschen wiederfand, um sich dessen monströse Ideen anzuhören? Wie war es möglich gewesen, sich mit diesem darüber zu unterhalten, Menschenleben zu vernichten?

      Gott zu spielen!

      Es schien ihm, als würde er über und über mit Schmutz behaftet sein.

      Doch was ihn am meisten schockierte war die Tatsache, dass er selbst darüber nachdachte, ob er Teil dieses Plans sein sollte!

      Fast wäre er versucht, einen schnelleren Schritt anzuschlagen, doch mangelte es ihm dafür an Energie. Es war ihm, als würde er in einer zähen Flüssigkeit dahin waten, die ihn davon abhalten wollte, schneller nach Hause zu kommen.

      Er musste runter von der Straße. Es war ihm, als könnte jeder ihm ansehen, was er soeben noch getan hatte. Nur noch wenige Meter würde er zu gehen haben. Nur noch wenige Meter bis er …!

      Sein Blick fiel in die kleine Gasse die neben seinem Haus verlief und die in einen Hinterhof führte, an dessen hinterem Ende sich in früheren Zeiten eine Rutsche zum Keller befand, die dazu benutzt worden war, um Kohle hinein zu schütten.

      Dort, keine zwei Meter in diese Gasse hinein, wo sich die Mülltonnen befanden, sah er etwas liegen, dass er im ersten Moment für einen Müllsack gehalten hatte. Ein

      Hund mit zotteligem Fell machte sich daran zu schaffen. Das abgemagerte Tier zerrte an dem was er anfangs für einen Müllsack gehalten hatte. Erstaunt stellte er fest, dass das Bündel, das er vermeintlich für einen Müllsack gehalten hatte, sich bewegte. Die Bewegung wurde nicht von dem zotteligen Tier verursacht. So viel stand fest.

      Bogwin machte einen schnellen energischen Schritt auf den Hund zu, um ihn zu verscheuchen.

      Das Tier knurrte ihn an, begann die Zähne zu fletschen. Im ersten Moment erschrocken bemerkte Bogwin einen kleinen Stein, der zu seinen Füssen lag. Schnell hob er ihn auf und schmiss ihn auf das Tier. Er traf ihn am

      Kopf, woraufhin dieser ein erschrockenes und heiseres Aufheulen hören ließ. Der Hund drehte sich blitzschnell um und verschwand in die dunkle Gasse.

      Wieder bewegte sich das Bündel.

      „Da ist noch einer von diesen Kötern“, dachte er sich überrascht und sah sich nach einem weiteren Stein um. Er hörte einen Ton, der sich in seinen Ohren wie ein leises Stöhnen anhörte. Mit zwei, drei raschen

      Schritten war er an das Bündel herangetreten. Ein Mädchen, eingehüllt in einer Jacke, die ihm viel zu groß war, kauerte hinter den Mülltonnen. „Mein Gott, Kind“, sagte er erschrocken.

      Es reagierte kaum. Aus halb geschlossenen Augen sah es ihn an. Erst jetzt sah er die tiefliegenden Augen und die eingefallenen Wangen des Mädchens. Das Gesicht des Kindes war über und über mit Dreck beschmiert und beim Hinunterbeugen bemerkte Bogwin das von dem Kind ein säuerlicher Gestank ausging, der ihm bewusst machte, dass das Mädchen schon seit Längerem kein Badezimmer mehr gesehen hatte.

      „Gott Kind“, sagte er entsetzt zu dem Mädchen. „Was machst du denn hier?“

      „Bin so müde“, antwortete das kleine Mädchen in kaum verständlichem Ton.

      Bogwin ging in die Hocke, streckte beide Arme aus, um dem Mädchen aufzuhelfen.

      „Komm, steh auf“, forderte er das Mädchen auf. „Hier ist es doch viel zu schmutzig und zu kalt!“

      Er nahm das Mädchen bei den Armen und zog es vorsichtig an diesen hoch. Durch die ohnehin zu dünne Jacke konnte er die dürren Arme des Kinds spüren.

      „Wie bist du denn hierhergekommen? Wo sind denn deine

      Eltern?“

      Er hatte es soweit aus der Ecke herausgezogen, dass es auf den Knien aufkam. Schon wollte