sein mochte. Für heute genügte ihm der von der abendlichen Sonne beschienene Anblick. Thomas war erschöpft und musste seine Kräfte für Morgen sparen.
Er spannte sein Fell wie Planen an einen Baumast, aß einzig das entkernte Fruchtfleisch der Eibenfrüchte und legte sich schlafen.
Frühzeitig und ohne Träume erwachte er und rannte los. Er sprang kräftig durch Bäche, Heide und karge, aufgeheizte Steppenlandschaft. Leider erspähte er, wie im Schamanenlager, kein Tier. Von ein paar Beeren und Käfern wird er nicht satt. ‚Zur Siedlung hin!’, jagte er sich voran. Geschirr und Schwert klapperten im Rucksack. Er sah aus wie ein Flüchtling. Auch fühlte er sich so, wäre er nicht schon einmal vor dem Gesetz geflohen.
Umso näher er der breiter werdenden, mit Schießscharten beschlagenen Sandsteinmauer kam, desto mehr beschlich ihn Bange. Wie würde man ihn aufnehmen? Zerrüttet und bärtig, wie er aussah, würde man ihn einsperren. Das Spiegelbild der morgendlichen Bachwäschen erschrak ihn selbst. ‚Noch eine Meile.’
Ohne Trampelpfad und dem festgebrannten Blick folgend, sprintete er näher zur Stadt. Allein die Mauern erdrückten ihn. ‚Noch eine halbe Meile!’ Abgebrochene Fahnenstangen staken auf den massiven Ecktürmen des Tores. ‚Eine viertel Meile!’
Vor dem Tor erkannte er einen einführenden, zwanzig Meter langen und aus Granit geschlagenen Säulengang ohne Dach. Den breiten Anfangssäulen waren eine zugespitzte Stirn, auseinander stehende Augen, Nase, sowie ein breit grinsender Fratzenmund eingemeißelt. Unter dem Kinn legten sich zwei dicke Hände um den Steinleib. Der Rest war von Querlinien durchzogen, eingraviert mit Wellen, Dreiecken und Kreisen. Füße gab es nicht.
‚Noch hundert Meter!’ Da die letzten Säulen je einen Block obenauf hatten, erkannte er durch die Schatten nicht, was sich hinter dem Eingang verbarg. Die Anfangssäulen schienen die einzigen Wächter der Stadt zu sein.
Er stürmte übermütig an den massigen Idolwächter-Säulen vorbei, durch das Schattenspiel, hinein in die Stadt … stoppte abrupt und riss die Augen auf.
Neben zahlreichen, abzweigenden Sand- und Schuttwegen türmten sich reihenweise vierkantige Häuser. Sämtliche Bauten aus rötlichem Sandstein waren wie Ruinen ineinander gesackt! Die meisten besaßen weder Dach, noch Fenster.
Thomas befürchtete, in eine Totenstadt gestolpert zu sein. Sah er nicht – als er seinen Gang fortsetzte – Rinnen an den Straßenrändern. In ihnen floss schaumige Flüssigkeit, deren ätzender Gestank ihn an Urin erinnerte. Hinzu gesellten sich Kot und anderer Unrat. ‚Die Pest lässt grüßen’, bemerkte er, als er an menschengroße und schmutzige Leinensäcke auf einem Karren vorbei schritt.
Vor ihm schlich sich plötzlich das ‚erste’ Leben aus einem Haus – wenn man diesen Halbwüchsigen demnach bezeichnen konnte: Unter seinem halb zerrissenen Hemd und der Hose lugten Pickel und Ekzeme hervor. Sein Kopf war vernarbt und kahl. Ein Bein war nur dreiviertelst so lang wie das andere!
Trotz des Ekels trat Thomas auf ihn zu. Bevor er ihn ansprach, schrak der Junge zurück, jaulte ängstlich und stürmte in sein Ruinenhaus.
In Thomas fraß sich Schock in die Glieder. „Oh, mein Gott“, flüsterte er, während er benommen weiterlief. Woher bekam er ‚hier’ genießbares Essen?
Mit suchenden Augen traf er mehrfach auf Menschen, die – sobald sie ihn erblickten – flüchteten. Jeder einzelne hatte hässliche Verstümmelungen am Leib, wie verkrüppelte Hände, nach vorn überdehnte Rücken, verstellte Gesichtszüge oder auch elefantenartige Ohren. Da verging selbst Thomas das Lachen. Alle Merkmale schienen angeboren zu sein. War das Wasser verseucht, oder die Ernte und Tiere? Oder gab es nur Dämonenfleisch zu ihren Mahlzeiten?
Bevor er sich den Kopf zerbrach, vernahm er ein Wispern. Er hörte genauer hin: Es war der leise Singsang eines Chors. Er drang durch die Gassen und brach sich wie Geisterstimmen an den Häuserwänden.
Neugierig stolperte er in Richtung Stadtzentrum.
Nach wenigen Biegungen blieb er stehen. Vor ihm standen mehrere Dutzend Männer und Frauen in einem weiten Kreis, alle in zerschlissenen Klamotten und mit grausigen Verstümmelungen. Sie hielten sich gegenseitig an den Händen. Die, die keine hatten, lehnten an ihrem Nachbarn und schwangen im Singsang nach rechts und links. Alle schienen in Trance verfallen zu sein, krächzten abgehackte Ferse in das Rund: „Dämon der Finsternis, sei unser Gast.“ Thomas schritt verunsichert näher. „Fleisch und Darm sei geopfert für deine Rast.“ Niemand bemerkte ihn. Der Singsang schwoll an. „Senke die Flügel, wir sind bereit. Unser Leben sei dir verdingt, bis auf Ewigkeit!“
Er spähte durch den Menschenwall in das Rundum. Ein eisiger Rückenschauer ließ ihn zurückstolpern: Mittendrin staken zahllose, menschliche Totenköpfe auf Pfählen. Alle waren frisch und mit hinab getropften Blutrinnen darunter.
Er stürzte zu Boden und wollte sich panisch aufrappeln. Da packte ihn eine warzige Hand.
Schnell sprang er auf. Doch die Hand klebte, abgerissen vom Arm, an ihm. Der alte Krüppel neben ihm starrte ihn glanzlos an: „Was störst du unsere Ruhe, Fremder?“
„Wa-was geschieht hier?“ Vor Angst wunderte ihn, dass er ein Wort heraus brachte.
„Hinfort mit dir!“, schrie der Greis. Dann funkelten seine Augen. „Oder – nein. Die Phantomkönigin freut sich immer über frische Opfer.“
„Nein!“ Wo war er gelandet?! Stattdessen fragte er den Krüppel, um den sich zwei stämmigere Männer stellten: „Für wen?!“
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