Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


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heraus zu sein. Doch wohin sollte er jetzt?

      Da fiel ihm Laudanius Kartenskizze im Sand ein. Wenn seine Orientierung nicht zu sehr in der Irre lag, hielt er auf die Imperialstadt zu. Sie liegt hinter dem Gebirge. Da der Tank seines Motorrades halb voll war, käme er noch einige hundert Kilometer voran. Bloß fehlte ihm der Maßstab. Wie lang würde er noch durch das Gebirge fahren: Tage oder Wochen? Bevor er zu tief in Grübeleien versank, schüttelte er den Kopf. Er genoss seine Suppe.

      Nach der Gymnastik meditierte er eine Stunde und wickelte sich in die Felle. Die Nacht blieb ungewohnt warm.

      Im Sonnenschein erwacht, fuhr er weiter nach Nordwesten. Der Gegenwind rüttelte so stark an ihm, dass er die Schamanenkutte fester um seinen Leib band.

      Auf einmal wurden die Pfadränder breiter, die Felsen wichen zurück und machten üppig wachsenden Wiesen Platz. Schmetterlinge in jeglicher Farbe flogen auf, Eidechsen huschten und Adler schwangen sich durch die Lüfte. Einer schien mit Thomas Gefährt um die Wette zu fliegen.

      „Wow!“ Er beschleunigte und der Adler holte auf! Zudem galoppierte ein weises Pferd aus dem Gebüsch und an Thomas’ Seite entlang. Verblüfft erkannte er eine Spitze an dessen Stirn. „Ein Einhorn. Wahnsinn!“ Da plötzlich: Eine Riesenkröte … sprang mitten auf die Fahrbahn.

      Thomas bremste mit aller Kraft. Er wich aus und stob zwischen Einhorn und Kröte ins Brombeergebüsch. Nur Gras sehend, schlitterte er durch Rinnsale und Matsch, bis er derart schlingerte, dass er stürzte. Thomas selbst federte im Matsch ab und hörte ein lautes Scheppern. Noch etliche Herzschläge lang blieb er liegen.

      Halb durchnässt stolperte er durch die Schneise im Grasgebüsch. Keine zehn Meter vor ihm lag dann die zerschellte Suzuki an der Felswand. Kopfschüttelnd trat er darauf zu. Mit jedem Schritt versteifte sich seine Miene.

      Am Wrack tastete er daran herum: Über den verbeulten Tank, geknickten Lenker, platten Reifen und die gebrochenen Spiegel. Als er aus der Leitung tropfenden Benzin roch, ballte er die Fäuste. „Verflucht!“, und boxte auf den Sattel, bis er entkräftet niedersank.

      Das Motorrad war unrettbar zerstört. Seine Klamotten waren vom Schlamm durchnässt. Ihm schien auch sein klapperndes Kochgeschirr im Rucksack gebrochen zu sein. Als er den Kopf in den Nacken werfen wollte hielt er inne: Eine Wolkenfront ballte sich von Westen aus zusammen.

      Von schüttelnden Regengüssen in der einbrechenden Nacht wach gehalten, zeichnete Thomas in einer Höhle die Karte des Meisters in die Erde. Sooft er die Maße drehte: Er hat höchstens die Hälfte des Gebirges hinter sich. Wofür er mit dem Motorrad eineinhalb Tage gebraucht hatte, würde er nun mindestens zehn benötigen. Seine Verpflegung ging zur Neige!

      Während er sein rotes Haar zerwühlte, besprühte ihn nasser Regen. Er konnte in andere Höhlenecken flüchten, wie er wollte: Sie war zu klein und lag auf der dem Wind zugewandten Seite. Er würde keinen Schlaf finden, selbst wenn er die Felle vor sich spannte.

      Er tat es dennoch und hielt sich über die Nacht durch Gymnastik warm. Dabei zog er die halbnassen Klamotten an, damit sie an seinem warmen Körper trockneten.

      Mit dem ersten dämmrigen Morgenrot packte er die Sachen und marschierte im Nebel los. Augenringe legten sich auf seine Wangen.

      Die undurchsichtigen Schleier klarten nach und nach auf. Sonnenlicht ließ ein Lächeln auf Thomas’ Antlitz erstrahlen. Trotzdem fühlte er sich ausgelaugt. Seine Schritte traten schwer nach dem nächsten. Immer häufiger versperrten Geröllbrocken den Pfad. Hat er diese bestiegen, folgten Schlamm und Pfützen. Manchmal stolperte er über zwar herrlich blühende, aber wild verrankte Heidesträucher. Am ersten Tag legte er höchstens zwanzig Kilometer im Zickzack zurück.

      Der zweite verlief kaum besser. Immer wieder fluchte er, brüllte seine Energien unnötig heraus, blieb minutenlang im Schlamm liegen, um sich aufzugeben.

      Seine Nahrung war verbraucht. Von den wenigen Brennnesseln, die aus den Felsen ragten, knurrte sein überdehnter Magen ächzend weiter. Wasser hatte er im Überdruss, da sich die Wolken seit dem dritten Tag im Gebirge über ihm türmten.

      Der Regen strömte glitzernd die Felswände hinab, um sich in der engen Schlucht zu sammeln. Thomas versank – trotz zwei stützender Wanderstöcke aus Ästen – knietief in den Rinnsalen. An Schlaf war auf den feuchten Böden und Höhlen kaum zu denken.

      Am fünften Tag brachen zur Mittagsrast plötzlich einzelne Sonnenstrahlen durch die Wolken. Wie geläutert sog seine einfallende Haut die Wärme auf. Er legte sich auf den Fels, aalte sich … und schlief prompt ein.

      Statt sich zu entspannen, verkrampfte er … durch Schläge auf die Schulter!

      Als er herumsah, peitschen zwei Seile gegen sein Gesicht. Er schrie und fiel mit den Händen zu Boden. Die zwei stämmigen, mensch-pferdhufigen Minotauren hieben weiter die Peitschen gegen Thomas’ Freiseele. „Was ist deine Bestimmung?!“, rief einer.

      Thomas stöhnte gequält: „Zu sterben …“

      „Was ist deine Bestimmung?“, wiederholte der andere.

      „Lasst mich!“ Thomas riss sich hoch und wollte den Geistern ihre Geiseln entreißen, doch peitschten sie ihn unbarmherzig zu Boden.

      „Was bist du?!“

      „Hört auf!“, flehte Thomas.

      „Gebe dich endlich deiner Bestimmung hin!“

      „Suche deine Geister.“

      „Oder willst du diese Qual ohne Schutz ertragen?“, grinste ein Minotaurus.

      Da rief er bei einem Hieb auf die Stirn: „Laudanius!“

      Jedoch ertrug er die ins Fleisch fressenden Hiebe weiterhin.

      Kurz vor der Ohnmacht hörte er aus entrückter Ferne das Scharren von Hufen. „Schluss jetzt! Oder soll ich euch aufspießen?“, drohte unverhofft Laudanius’ Stimme. Nur klang sie kräftiger als die des alten Mannes.

      Als Thomas mühsam aufblickte hörten zwar die Hiebe auf, doch schrak er zusammen: Ein Zwei-Mann großer Hirsch – mit der Hälfte davon Geweih – bäumte sich neben ihm auf, scharrte und schnaubte wild: „Wird’s bald?!“

      Ein letzter Peitschenhieb knallte und erlöste Thomas’ Geist.

      Mit einem Prickeln im Gesicht schnellte er hoch. Es war nicht der Regen, der auf ihn hinabfegte, sondern stechender Schmerz.

      Noch glaubte er, in Trance zu sein. Als er seine Glieder streckte, schrie er auf. Alles zog und brannte. Rote Striemen, sogar Blutergüsse zogen sich über seine Arme, Beine und wer wusste, wo noch. Mit jeder Betastung stach seine Haut umso heftiger. Nicht einmal der Regen kühlte.

      Sich der Realität bewusst, sprang er vom Fels, über Pfützen und unter einen Felsvorsprung, schrie mit jedem Tritt auf. Wie war das möglich? Dennoch prangten die Peitschenhiebe der Minotauren auf seinem Leib. Was waren das für Geister? Was war das für eine Bestimmung?!

      Wie zur Folter streckten ihn die Schmerzen zu Boden. Er begann zu brüllen, die Fäuste zu ballen und zu schluchzen. Er presste sich an die Felsen und weinte mit den Wolken.

      Tagelang hielten ihn der Regen und die Schmerzen unter dem Vorsprung fest. Oft brachen Geröllmassen von den Hängen und verschütteten den Weg. Thomas plagten Hunger, zunehmende Schwäche und eine angehende Grippe, wie auch in jeder Nacht Albträume, in denen ihm Geistwesen weitere Verletzungen zufügten.

      Schließlich überzogen neben den roten Striemen Pusteln und offene, eiternde Ekzeme seinen Körper. Immer häufiger versteiften seine Arme. Oft erwachte er am Morgen in strömendem Regen, hunderte Meter vom Felsvorsprung entfernt und mit durchweichten Klamotten. Er hatte geschlafwandelt! Dazu warf er sich – wie unter Anfällen – unwissentlich hin, schlug den Kopf in den Schlamm, um kurz vorm Ersticken aufzutauchen.

      Er brauchte Hilfe. Neben dem Schutzgeist Laudanius stand ihm keiner bei. Er war allein, krank verweilend auf einem Pfad, den niemand entlang ging. Die Einsamkeit und Überlastung erdrückten