Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


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      Trotzdem zuckten bei jedem Geräusch seine Ohren. Nach wirrem Umherblicken fiel er resigniert in sich zusammen. Das Alleinsein hatte ihn nie etwas ausgemacht. Er liebte die Einsamkeit, die Stille des Insich-Kehrens. Oft hat er sich nichts sehnlicher gewünscht; auch bei Laudanius. Jetzt sah er ein, dass der Mensch ein Herdentier war. Ohne Hilfe, Worte und Gemeinschaft verzweifelte er. Anfangs halfen Zwiegespräche. Diese verstummten nach den ersten Tagen im Gebirge. Wer sollte ihn in dieser Trostlosigkeit stützen. Am liebsten hätte er zum Messer gegriffen. Ihm fehlte selbst dazu die Kraft. Er würde sterben – qualvoll und langsam. Vorher aber wurde ihm schlecht, er erbrach einige Liter Wasser und schlief ein.

      Diesmal duckte er sich instinktiv vor einer Attacke. Doch stand er plötzlich mit seinem Zwei-Meter-Hirschgeist auf einem Jenseitspfad. Der Bach vor ihm plätscherte gar friedlich im herbstlichen Buchenwald.

      „Diesmal“, raunte Laudanius, „habe ich dich sofort vor Dämonen bewahren können. Bloß schwinden meine Kräfte auch mit deinen. Bitte“, flehte er, „nimm deine Suche nach weiteren Hilfsgeistern auf. Allein mit mir wirst du die ‚Schamanenkrankheit’ nicht los.“

      „Ich werde sterben – so oder so“, antworte Thomas erschöpft. „Wozu sich noch abmühen?“

      Der Hirsch legte sich vor den Bach. „Dieses Wasser birgt einige Fisch-Geister. Sie sehen mich neugierig an. Knie dich zu mir. Wir können mit ihnen sprechen.“

      Thomas schüttelte den Kopf. Ihm fehlte die Kraft, seine Beine zu knicken. Er schloss die müden Augen.

      „So einfach wie ich macht es dir kein anderer Schutzgeist. Verstehe doch.“

      Endlich fiel Thomas an den Bachrand, riss die Augen auf und musterte das Wasser. Kurz vorm Einschlafen versteifte sich sein Hals. Vor ihm schwamm ein großer, kugeliger Laternenfisch im Wasser und beäugte ihn und Laudanius abwechselnd.

      Als der Fisch die Stimme erhob, glomm seine Kugel milchig auf. „Wat guck-uckst du?“

      „Wat begehrest du, Schimmerschpp-upp?“, flüsterte Laudanius rasch und abgehackt.

      „Ah bi-bislle Teischlinsen.“ Wieder glühte die Laterne auf.

      Endlich wusste Thomas, was ‚dieses’ Geistwesen meinte. ‚Eine Pflanze auf Teichoberflächen.’ „Wartet. Ich kom-omme bald zu-ück!“ Neues Feuer wallte in ihm auf.

      Mit aufwallendem Adrenalin sprang er durch den Buchenhain und suchte nach lichten Stellen. Er fand den Rand und spähte über eine weite, morastige Hügellandschaft.

      Rasch, aber vorsichtig, sprang er zwischen den Sümpfen auf Grasbüscheln umher. Dabei spähte er an jedes Ufer der Sümpfe.

      Plötzlich kniete er sich auflachend nieder … und fischte eine Hand der grünen, wie zusammenklebende Linsen aussehende Oberfläche heraus. Erfreut eilte er zum Hain zurück.

      Dort versuchte Laudanius den Fisch mit einem Gespräch hinzuhalten. Als Thomas sich niederließ und den Fund zum Bach hinstreckte, erschrak er: Vor Übermut waren ihm die Teichlinsen aus der Hand gerutscht. Es klebten nur noch wenige mit den Wurzeln darin.

      Die Kugel des Fisches leuchtete auf. „Welsch Köst-lischkeit. Gub-gub.“

      Thomas sah irritiert auf die fünf übrigen Linsen in der Hand, schob sie je auf eine Fingerspitze und hielt sie an die fließende Wasseroberfläche. Die Schwanzspitze des Glimmfisches zitterte, während sein Kopf aus dem Wasser lugte und die grünen, bewurzelten und klebrigen Linsen abnippte.

      Mit heller werdender Kopfkugel zog er sich ins Wasser zurück und schwamm zitternd einige Kreise, bis seine gesamten Schuppen durchsichtig wurden. Genau wie Laudanius, der zufrieden lächelte. „Glückwunsch“, und sich wie der Fisch in Licht auflöste.

      Planlos sah sich Thomas um. Alles verschwamm. Das Plätschern des Baches begann zu pochen, bis es ihn zu seinem echten Pulsschlag zurückführte.

      Trotz der körperlichen Schwäche biss sich Thomas während der Gymnastik die Zähne zusammen. Mental pulsierte jede Zelle in ihm. Wenn, musste er jetzt weiter, solang die Sonne schien. Seine Haut tankte die Wärme regelrecht auf.

      Noch einmal umgeblickt, dass er nichts vergessen hat, marschierte er los. Obwohl die ersten Kilometer an seinen Beinsehnen zerrten, gewöhnte er sich wieder ans Gehen. Hinzu kam, dass seine zwei Hilfsgeister seine Striemen und andere Wunden begannen, zu heilen. Ebenso linderten sie die Kopfschmerzen und Anfälle mit jedem tiefen Atemzug, bis sie im Verlauf des Tages ganz nachließen.

      Auch drangsalieren ihn keine bösen Geister mehr in seinen Träumen.

      Mitten in der ersten Nacht nach der Geistfindung gelangte er erneut ins Jenseits. Zum Glück war er an diesem Platz schon einmal gewesen. Nichts hat sich verschoben.

      Ihn packte das Verlangen, es erneut zu versuchen.

      Genau im selben Dickicht stöberte er die Schlange auf, die ihn vor längerem gebissen hatte. Sie schlief. Er wollte sie nicht wecken.

      Stattdessen rief er Laudanius. „Wasserpelz“, erinnerte er sich an das verfluchte Wort und deutete zum steilen Berg mit den weißen Gipfeln.

      Laudanius schnaubte: „Steige auf. Ich bringe dich hinauf, bis der Schnee beginnt.“

      Prompt galoppierten sie los. Das Hirschfell übertrug Thomas unnatürliche Wärme, die ihn entspannen ließ. Sie ritten tausende Herzschläge und sprangen die zerklüfteten Grate hinauf. Oft holperten die Steine in die Tiefe. Es war schwer, sich an Laudanius’ Hals fest zu klammern.

      Kaum haben sie die Schneefallgrenze erreicht, grub Thomas einen kalten Brocken Eis aus der Schneedecke. Er maß knapp einen Meter. Laudanius brach ihn mit dem Geweih heraus.

      Mit dem Eis vor der Brust, galoppierten sie rasch zurück. Der Schamanenadept verdrängte die Kälte mit einem Adrenalienschub. Mit dem zur Hälfte geschmolzenem Eis gelangten sie in den Wald zurück.

      Zum Glück war die Schlange nun wach. Beim Anblick des tropfenden Klumpens in Thomas’ Hand zischte sie: „Wassserlpelzz. Welch Freude bei dieser walllenden Sonnne.“

      Kaum legte er mundgerechte Stücke vor sie hin, schlang sie diese hinunter. Die Stücke dehnten ihren Leib, als hätte sie Blähungen.

      Zufrieden streckte sie sich vor ihnen aus und bedankte sich zischend. Damit gesellte sich ein weiterer Schutzgeist an seine Seite. Die Nacht war vorbei.

      Beschwerlich stampfte er über den Pfad weiter. Das Geröll, das Thomas übersteigen musste, war mit Rissen bedeckt. Seine Füße blieben oft in den Spalten hängen sodass er aufschrie.

      Obwohl die Schutzgeister die Wunden seines Körpers heilten, reichte ihre Kraft nicht für alles: Was er ihnen an Nahrung beschafft hatte, fehlte ‚ihm’ in der Realität.

      „Wann ist das vorbei?!“, schrie er den monotonen Bergen zu. Er begann zu Hyperventilieren. Die Enge in der Felsspalte erdrückte ihn. Der Pfad war eine Katastrophe. Neue, diesige Nebelwolken züngelten bereits um die Bergspitzen.

      Also kletterte er, kletterte und kletterte über den Tag weiter den Geröllpfad entlang. Nach Wutausbrüchen folgten innere Stille, Gleichgültigkeit und Grübeleien.

      Nach wenigen Meilen ohne Geröll stoppte er plötzlich. „Hä?“ Durch seine eingefallenen Lider blickte er zu beiden Seiten und ersah, dass die Grate des Gebirges kleiner wurden, umso näher sie sich zum Horizont erstreckten! Ebenfalls wichen sie neben dem Pfad zur Seite.

      Von innerer Unruhe gepackt, hob Thomas die Beine … und eilte los.

      Das Ende schien nah. Rasch wurde er langsamer. Ihm fehlte der Plan. Gut; er hatte drei Hilfsgeister. Aber wie ging es nach dem Gebirge weiter? Ja – erst einmal Nahrung finden; wenn es nach dem Gebirge überhaupt Wälder und Tiere gab.

      Mit leichter Bange folgte er dem Pfad gen Nordwesten. Wenigstens blieb er halbwegs eben, wurde breiter und weiter. Die Berge wichen zurück. Spähte Thomas darüber hinweg, erblickte er Frühabends andere Hügel und erhöhte Landschaften, die über dem Definio-Gebirge