Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


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‚Eins … Zwei …Drei …

      Vier …’ Einatmen, anhalten, ausatmen. Trotz der sich in den Schutt fressenden Flammen, beruhigte er sich und verharrte noch hunderte Herzschläge ... bis er nicht mehr einatmen konnte.

      Ohne Rücksicht stieß er sich aus der Dreckschicht und sprang in die sengende Freiheit. Obwohl alles um ihn loderte, erloschen die Flammenmeere wieder. Woher sollten sie sich auch in einer Wüste nähren?

      Hektisch blickte er sich um. Nirgends mehr war eine Spur von den Dominantoren. Dafür erstarrte er, als er die anderen vor sich auf dem gläsernen Boden sah: Achim, Cheviot und Laudanius waren halb verkohlt. Rasch eilte er zu ihnen. Jedoch atmete nur sein alter Mentor.

      Zusammenfahrend hörte er die Stimme von Laudanius, der hauchte: „Ich wünschte … ich könnte dir mehr beibringen … aber nicht in diesem Leben.“

      „Was soll ich tun?“ Erneut war eine Zukunft für Thomas zusammengebrochen, abrupt und ohne Respekt.

      „Am … Nordwest-Rand des Definio-Gebirges … steht ein Hain … aus toten Lärchen. Darin wachsen … einige Lebende.“ Der Alte hüstelte. „Begrabe uns darauf, wie es für Schamanen würdig ist.“ Um ihn zu ermutigen keuchte Laudanius zu seinem zitternden Schüler. „Wenn du den Hain … am Definio-Gebirge entlang … verlässt … kommt hundert Fuß Richtung Norden … Schlucht … Ausgang der Wüste.“

      Obwohl ihn die Erkenntnis erheitern sollte, resignierte er. „Und dann?“

      Ein Blick auf Laudanius’ offen gebliebene Augen reichte, um nicht erneut zu fragen. Sein Mentor war tot – nach dreihundert Jahren des Lebens, Kämpfens und Leidens.

      Um seinem Ableben Nachdruck zu verleihen, begann die Erde unter ihnen zu zittern. Thomas wollte aufspringen und fliehen, doch fiel er wieder hin. Alles schien zu wanken und zu donnern, selbst die Luft. Alle Sphären schienen dem Zerbersten nahe. Denn jeder Schamane verband die drei Welten mit den Menschen und hat sie zusammengehalten. Und Laudanius war ein wahrhaft Großer.

      Das Beben währte noch bis in die Nacht hinein.

      Als ihn die ersten Sonnestrahlen kitzelten, hatte Thomas sich wieder gefangen und zog die drei Schamanen auf einer steifen, selbst gefertigten Pritsche aus starken Ästen zum beschriebenen Hain. Nach vielen Pausen, einem Nachtlager in der offenen Wüste und mehrmaligem Übergeben, erreichte er den ebenso toten und vom Feuer verkohlten Rand des Lärchenwaldes. Innen aber standen ein Dutzend, wohl hundert Jahre alte Lärchen. Sie hatten derart dicke Stämme und Äste, die sogar Särge tragen konnten.

      Thomas stöhnte und übergab sich beim Rückblick auf die drei toten Schamanen. Obwohl er sich fragte, wozu er den Aufwand betrieb (man konnte die Leichen einfach vergraben), zimmerte er am nächsten Tag aus herumliegenden Stämmen floßähnliche Särge. Um den Gestank von verkohlter Haut ertragen zu können, hat er die Toten in übrig gebliebene Zeltplanen gewickelt. Sie wieder auszuwickeln, kostete ihn die meiste Kraft.

      Ja – er tat es vor allem für Achim. Die Vorstellung, bei ihm die Ausbildung weiterzuführen, hätte Thomas gefallen. Jetzt war er tot, ebenso wie Thomas’ Aussicht für eine Zukunft.

      Als er die verschlossenen Särge mit den Schamanen darin mit Seilen in die starken Äste gezogen hatte, vertaute er sie mit seiner letzten Kraft. Jeder Sarg bekam seinen eigenen Baum.

      Von der Prozedur erschöpft, lag er nun am Fuß der drei Lärchen, sinnierte und schlief ein.

      Vor ihm stand plötzlich Laudanius aufrecht und ohne eine Verletzung. Er schien vor Jugendlichkeit zu strahlen. Um sie herum herrschte Finsternis.

      Trotz insgeheimer Freude schrie Thomas: „Verschwinde! Du bist tot. Und ich auch bald.“

      „Gebe nicht auf, Adept!“ Laudanius schüttelte den Kopf. „Mit meinem Tod kann ich dir immerhin deine erste Aufgabe erleichtern, indem ich dein Schutzgeist werde.“

      „Dich, als Schutzgeist?“ Leichter Ekel wölbte Thomas’ Magen.

      „Ja. Mein letztes Geschenk und vielleicht Ermutigung genug, um weiterzumachen und den Sonnenpatron zu suchen.“

      „Wenn es sein muss.“

      „Du musst nicht zustimmen. Bedenke aber: Mein Opfer ist der Verlust ‚meines’ Seelenfriedens, und meiner ganzen Erinnerung. Ich werde ein helfendes Tier, wie jeder andere Geist. Glaube ja nicht, dass mir dieses Opfer leicht fällt“, aber für den Sonnenpatron und die Rache seiner getöteten Frau!

      Obwohl er sich sträubte, den Alten in seiner Seele zu verankern, nickte Thomas. Was hatte er zu verlieren? „Gut. Lasse es schnell gehen“, und öffnete ihm seine Freiseele.

      „So sei es, unserer Aufgabe Willen.“

      Wie Nebel verschwamm der Schamane vor ihm, während plötzlich Licht vor Thomas aufleuchtete. Schemen kristallisierten sich.

      Kaum verschwand das Stechen in seinem Herzen, sah er ein altes, einstöckiges Backsteinhaus in einer lila blühenden und wehenden Heidelandschaft. Alles war umsäumt von glitzernden Bächen und kuppigen Bergen.

      Bevor er auf das Haus zutrat, raschelten die weißen Kiesel des Weges. Erschrocken sah er weiße Hände, die sich aus dem Boden streckten. Innerhalb von Sekunden gruben sich gleichfarbene, gesichts- und faltenlose, menschliche Gestalten aus der Erde. Sie besaßen nur Augen und je einen Speer in den Händen. Bei seinem Anblick traten sie beiseite und verneigten sich vor dem neuen Schamanenadept.

      ‚Dies war mein Territorium im Jenseits, wo sich deine Seele zurückziehen und stärken kann. Es soll dein sein.’ So verklang Laudanius’ letzter Gedanke – vorerst.

      Kapitel 6

      Der Aufgabe Willen

      Als er wieder wach war, bemerkte er, dass sich die Rinde der Lärchen um die drei Särge geschlossen hatte. Nur die menschengroßen Knorpel erinnerten an die Begräbnisstätte.

      Von den Wundern allmählich überdrüssig geworden, suchte Thomas den Ausgang der sengenden Wüste. Kurz vor dem Zenit trat er den Weg zum ehemaligen Schamanenlager an.

      „Raus hier!“, rief Thomas laut. Er setzte sich eine improvisierte Holzkappe auf und drehte den Zündschlüssel. Die Suzuki jaulte auf, obwohl das Motorrad beinahe zwei Monate im Sand lag. Laudanius hatte es vergraben, da „Teufelsgerät nichts in unserer Welt verloren hat“. Obwohl Thomas gern ein paar Ablenkungsrunden gedreht hätte, war er froh über die Sturheit des Alten. Ansonsten wäre die Maschine mit den Feuerwalzen der Dominantoren explodiert.

      Er stak wieder in seinen alten Klamotten, der Schamanenkutte, hatte das Breitschwert an der Hüfte, und Verpflegung und Zeltfetzen im Rucksack.

      Mit einem letzten Blick auf die Wüste mit dem Fluss und der halb verbrannten Palmenhöhle, warf er den Gedanken daran fort. „Endlich!“ Sandwehen stoben nach hinten.

      Trotz des peitschenden Fahrtwindes lehnte Thomas sich zurück und genoss das weiche Polster, die Schnelligkeit, sein aufloderndes Temperament und die Vorfreude. Leider huschte alles zu schnell an ihm vorbei sodass er die Einzelheiten am Weg nicht aufnahm. Auch schien seine Seele ihm nicht rasch genug folgen zu können da er sich mit der Zeit völlig leer fühlte.

      Nach kurzer Zeit hielt er sich nördlich am Rand der spitzen Felsen, bis sich eine gut drei Meter breite Lücke offenbarte. Mit einem Grinsen schoss Thomas hinein.

      Trotz des Echos vom jaulenden Motor konzentrierte sich Thomas auf den Pfad. Er war halbwegs eben, von fester Erde, Kies und selten auch Geröll gezeichnet.

      Obwohl er bei unübersichtlichen Stellen und Kurven das Tempo drosselte, pendelte der Tacho zwischen sechzig und achtzig Kilometer je Stunde. Ihm blieb genug Konzentration, um die Formen der Berge zu mustern, sich nach Sonne und Monden umzuwenden und um durchzuatmen.

      Abends vom drückenden Hintern und tränenden Augen mürbe geworden, schob er das Motorrad unter einen Felsvorsprung. Es war genau rechtzeitig, da eisiger Gegenwind durch den Spalt des Gebirgspfades zu pfeifen begann.

      Kaum