sich immer drastischer – trotz der geistigen Stütze der Schamanen. Laudanius’ zerstochene Schulter trieft vor heißem Blut. Er verzweifelt mit jedem Schlag. Seine Gefährtin springt dafür wie ein Reh von einer Bestie zur nächsten, um zu ihm zu gelangen.
Als sie ihn erreicht und seine Wundheilung unterstützen will, hebt Laudanius verneinend die Hand. „Spare deine Geistmächte für Wichtigeres“, und deutet auf das tobende Schlachtfeld, worüber ein riesiger Rabe kreist. „Macha dreht bereits die Runde. Wir müssen den Fluch aussprechen, bevor ihre Vision wahr wird.“
„Ein Fluch“, flüsterte Laudanius vor sich hin.
Thomas hob die Braue. „Wozu ein Fluch?“
Kurz aufgezuckt, blinzelte der Alte ihn an. „Um die Waffen der Tyrannen nicht mehr anzuheben, ohne dass sie zerbersten.“
„Wow“, pfiff Thomas. „Wieso habt ihr sie dann nicht vertreiben können?“
„Sie sind zu stark – auch ohne Schild und Schwert!“, schreit Laudanius die Klippe hinab, wo die Dämonen mit bloßen Fäusten auf die Menschen einschlagen.
Ihn lässt ein schriller Schrei herumwirbeln: Eine vierbeinige Bestie mit Löwenkopf und Skorpionschwanz liegt sabbernd auf seiner Gefährtin. Kaum hat sie die Tatze zum Hieb ausgeholt, brüllt sie die Frau an.
Bevor Laudanius sie erreicht, schlägt der Dämon zu. Er stößt ihn wuchtig weg und tötet ihn mit dem Schwert. Als er aber hinab blickt, sieht er in die matter werdenden Augen der Frau, deren Bauch aufgeschlitzt ist.
Hastig kniet er sich zu ihr und versucht sie mit seinen Hilfsgeistern zu retten. Diese aber meinen: ‚Es ist zu spät.’
Sich der Tatsache bewusst werdend, haucht die Schamanin Laudanius ein letztes Mal an: „Verbanne die Dominantoren in die … Unterwelt – mit allen Mitteln. Versprich es mir.“
Laudanius’ Blicke werden starr. „Ich schwöre es, auf alles, wofür wir gelitten haben. Sie sollen deinen Bruder und dich nicht umsonst bezwungen haben.“
„Diese verfluchte Schlacht“, raunte der Alte plötzlich.
„Welche Schlacht?“, fragte sein Adept.
Laudanius fuhr verwirrt auf, schüttelte den Kopf. „Wie geht es dir?“, und blickte lächelnd auf das Dämonenschwert in Thomas’ Hand. „Na, Kraft hast du ja wieder.“
„Was für eine Schlacht?“, drängte er.
„Hast du schon etwas gegessen?“
Thomas schüttelte den Kopf. „Von welcher Schlacht redest du?“
„Unglaublich. Die Eichenwurzeln müssen das Schwert wieder zutage gefördert haben.“
„Wer hat es denn vergraben? Liegt unter der Wüste ein Schlachtfeld?“ Thomas wurde mulmig bei dem Gedanken, jede Nacht über hunderten Gerippen zu schlafen.
Sein Mentor zerschnitt mit der Hand wild die Luft. „Schluss mit den Fragen! Das ist uninteressant. Du musst dich auf deine Ausbildung konzentrieren. Erhole dich, dann sehen wir weiter.“ Plötzlich stieß er die Klinge aus Thomas’ Hand. „Rühre das Ding nie wieder an!“
Bevor Thomas knurrte, drehte sich der Alte um und trat zurück in sein Zelt. Thomas tat es ihm gleich. ‚Warum verschweigt er soviel?’
Laudanius ließ sich erschöpft an seinem Mittelbaum sinken. Der Schweiß drang ihm heiß aus jeder Pore. „Wie soll ich diesen Schwur erfüllen?“ Er erhob sich und ging auf und ab. „Ich habe den Sonnenpatron nicht gefunden. Und Thomas bringt mich zur Weißglut!“ Wie gehetzt schritt er um den Pfahl und torkelte. Dann stürzte er bäuchlings auf die Decken.
Sehnsüchtig betrachtete er die Holzfiguren neben sich. Sein Blick brannte sich auf eine kleine Wildkatze fest, die in einem anderen, rötlichen Holz schimmerte. „Wie bringe ich dich zurück an meine Seite. Hilf mir, Schamanin meines Lebens. Hilf mir, Alena – meine Frau!“, und fiel zurück in tiefen Schlummer.
„Was willst du?“, fragte Laudanius. Er wollte Thomas mit einer Handbewegung aus seinem Blickfeld scheuchen und im Schneidersitz in Meditation versinken. „Es gibt Augenblicke, wo auch ich meine Ruhe haben will!“
Doch Thomas grinste ihn argwöhnisch an. „Ich muss dir etwas zeigen. Komme mit mir.“
Stöhnend erhob er sich. Sein Adept nahm ihn an die Hand. Laudanius wollte sich losreißen. Ihm fehlte dazu jedoch die Kraft. Auch sein Inneres war zermürbt: Von den Herausforderungen und offenen Aufgaben in seinem langen Leben. Er ertappte sich bei dem Gedanken, mit Thomas zu tauschen und von vorn zu beginnen.
Wie von einer Mutter geführt, traten sie vorsichtig aus dem Zelt. Der Eichenwald war verschwunden! Neben der Traurigkeit irritierte Laudanius, dass nicht einmal die Wüste existierte: Um sie erstreckte sich wehendes Grasland. Wind pfiff ihm in die Ohren. Fast verlor er den Halt. Thomas zog ihn weiter. „Komm. Es bleibt nicht ewig hell.“
Sie marschierten los. Manchmal stolperte er über Grasbüschel. Dennoch war das Gelände flach und windig.
Auch die monotone Idylle nahm kein Ende.
Da zeigte Thomas plötzlich in die Ferne. „Er steht da hinten.“
Laudanius erschrak: Vielleicht hundert Meter vor ihnen ragte urplötzlich ein mächtiger Nadelbaum auf, als stünde er dort seit Jahrhunderten. „Wo kommt der her?“
„Weiter“, drängte sein Adept.
Als sie an den stacheligen, im Wind wankenden Monolith der Einsamkeit traten, runzelte Laudanius die Stirn. An den Ästen der Lärche hingen all seine Schamanenrequisiten, die er in seinem Leben angefertigt und über die Zeiten gerettet hatte: Seine Kostüme – von prächtig bis plump –, seine Trommel mit Schlegel, Kräutersack-Gürtel, Zeremonialstab, Brustspiegel, Tiermasken, die ihn bedrohlich anfunkelten, Ketten und Rasseln, Messer und Schwerter, sowie Kleinigkeiten, wie die Tierfigürchen, die eigentlich in seiner Jurte verweilten.
Ein weiteres Requisit war die kunstvoll bestrebte Leiter, die am Stamm der Lärche hinaufführte. Neben ihm hob Thomas seine Hand zum Ende. Statt Finger sah Laudanius jedoch zwei spitze Hufe!
Er drehte den Kopf zu Thomas’ Gesicht und schrak auf. Neben ihn hielt nicht sein Adept, sondern ein aufrecht stehendes, zottig behaartes Ren seine Hand. Sie blickten sich gegenseitig an, bis Laudanius begriff: Vor ihm stand seine Tiermutter, die gleichzeitig sein Schutzgeist war. Nur selten war er ihr auf zwei Beinen begegnet.
Laudanius amüsierte der Anblick beinahe, deutete die Renmutter nicht erneut zur Lärche. „Sieh und begreife.“
Der alte Schamane blickte zum Ende der Leiter. Auf drei mächtigen, abzweigenden Lärchensträngen wuchs knirschend ein plumpes Gebilde heraus. Es ähnelte einem Kasten, der seine Körperlänge maß. „Ein Sarg?!“, rief Laudanius.
„Und begreife“, wiederholte seine Renmutter.
Laudanius fuhr auf. Das Tageslicht drang nur noch rötlich gedämpft durch den Zeltabzug und beruhigte ihn. Er blickte sich ängstlich um. Erleichtert darüber, dass weder seine Tiermutter, noch jemand anderes im Zelt stand, ließ ihn zurücklehnen. Trotzdem flatterte sein Herz.
Kapitel 5
Überfall
„Bereit?“, rief Thomas Laudanius zu.
Als dieser nickte, schnellte der Junge vor und traf den Alten sanft an der Schulter.
Dieser drehte erst nach langen Herzschlägen seinen Kopf zur Spitze. „Oh“, meinte er. „Ich war kurz woanders.“
Thomas hob amüsiert die Brauen. „Wer ist wohl jetzt der Träumer?“
Der Alte wehrte barsch die Klinge ab. Wieso dachte er immer an diesen Traum? „Hör her“, lenkte er sich ab. „Ich erwarte morgen Abend zwei Schamanen. Der eine kommt durch die Felsspalten des Definio-Gebirges, der andere von der Ozeanküste den Fluss hinauf.“
„Herauf?“,