Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


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Motorrad, womit der Beamte auf ihn zuhielt.

      Panisch nahm Thomas den Sprint auf. Schlimmer durfte es nicht werden.

      Wie magisch angezogen, stürmte Thomas zur Baustelle am großen Parkplatz, den rot-weiße Absperrzäune abgrenzten. Er sprang darüber und stolperte über aufgerissenen Asphalt. Vor ihm lag ein Tümpel.

      Thomas blickte nach hinten. Der Beamte schoss auf ihn zu. Thomas rannte schneller; zum Teich. ‚Wenn er darin rutscht, entwische ich und verschwinde.’

      Noch wenige Meter Abstand lagen zwischen ihnen.

      Als Thomas ins Wasser sprang, verlor der Polizist die Kontrolle und fiel auf den Schutt. Thomas rannte weiter durch das Nass.

      Die Bauarbeiter brüllten und beobachteten, wie die Suzuki auf Thomas zuschlitterte, und ihn traf.

      Der Polizist schaute verdutzt auf. Der Junge war im Teich verschwunden.

      Thomas sprang weiter durch das Wasser. Ihm wurde heiß.

      Erst als die Suzuki an ihm vorbeischrammte, hielt er inne und blieb stehen: Das Motorrad schlug über das Ufer hinaus, bis es im Sand zum erliegen kam. ‚Sand?!’ Schockiert blickte er sich um.

      Rechts, links, vor und hinter ihm knisternde Sand. Mittendrin verharrte er in einem glasklaren, grünen Teich und umzingelt von wenigen Palmen.

      Er begann zu keuchen, zu zittern und zu schreien: „Was zum …?!“ Er erinnerte sich an diese Wüste aus dem Traum. Er sah nirgends eine Seele, und keine Polizei! „Ein neues Leben“, flüsterte er hysterisch. Er konnte das Geschehen hinter sich lassen. Bloß: Wo war er?

      Der Flüchtling watete halb durchnässt zum Ufer und ließ sich erschöpft auf den Sand sinken. Dieser brannte derart heiß, dass Thomas aufsprang.

      Erneut blickte er sich um. „Ich träume doch. Oder die haben mich erschossen.“

      „Nichts von beidem, Junge.“

      Thomas schrak herum … und sah einem alten Mann mit schlohweißen, langem Haar an. Neben dem Schock nahm er kaum die dreckfarbene Kutte wahr, die den Alten umhüllte. Ein Krächzen entrann Thomas’ Kehle: „Wer sind Sie?“

      Der Alte lächelte nur.

      Kapitel 3

      Legende

      So standen sie sich gegenüber: Der Mentor mit dem im Wind wehenden, weißem Haar; und sein Schüler, grimmig und verkrampft zugleich. Beide – Laudanius und Thomas – trugen braune, bis zum Sandboden reichende Kutten, und je ein Schwert in der Linken.

      Unter den tiefen, kantigen Narben in seinem Gesicht wirkte Laudanius gelassen. Mit geschlossenen Lidern raunte er zum angespannten Thonas: „Am Anfang gab es weder Krankheit noch Tod … bis böse Geister sie dem Erdenleben brachten. Da sandten die Götter einen Adler zur Hilfe. Doch verstanden die Menschen weder seine Sprache, noch seine Absicht. Die Götter schickten den Adler zu einer Frau, die unter einer Lärche saß. Er schenkte ihr ein Kind, das zum ersten Schamane wurde.“ Laudanius atmete tief durch und schrie: „Bereit?!“

      Die Stille verpuffte, als der Mentor nach vorn sprang. Mit gehobenem Schwert stürmte er auf Thomas zu. Der stemmte sich vor. Klingen klirrten. Kaum hat er den ersten Schlag pariert, erschütterte ein neuer Thomas' Glieder. Trotz des Alters seines Mentors war dieser stark wie ein Wrestler.

      Der Lärm schallte weniger als hundert Herzschläge über die Wüstenebene, bis Thomas erschöpft in die Knie sank.

      Laudanius legte ihm abfällig die Klingenspitze ans Herz. „Na ja. Besser als zuletzt. Mehr Konzentration beim nächsten Mal.“

      Würden Thomas’ Sehnen nicht zerren, wäre er aufgesprungen und hätte den Alten zu Boden geschupst. Er hechelte ihm ein grimmiges „Mh“ zu.

      Laudanius ließ das Schwert sinken und trat zu seinem nahen Zelt.

      Während Thomas sich daraufhin auf einem verkohlten Holzstamm ausruhte, betrachtete er die Landschaft. Eine Frage verunsicherte ihn im glühenden Kopf. Denn es ergab alles keinen Sinn, sooft er es drehte und wendete:

      Mitten in einer leicht hügeligen, von wehenden Sanddünen und Heide übersäten Ebene befand er sich nun. Das einzige Leben tummelte sich im quer hindurch fließenden Fluss Ranus. Ohne großartig anzuschwellen oder sich zu verzweigen, donnerte er im Südosten die Küste hinab. Selbst von hier hörte er das Peitschen des zwanzig Kilometer entfernten Ozeans, der tödlicher nicht sein konnte – wie Thomas bei einer Selbsterkundung vor zwei Wochen erfuhr. Den Geschmack konnte Laudanius nur mit einer leicht ätzenden Lauge lösen.

      Wie lang meinte der Alte, sollte Thomas hier bleiben, ohne auch innerlich zu vertrocknen? Alles, was er sah, ekelte ihn an: Nur Berge des umkesselnden Definio-Gebirge, das sie von der West- zur Nordküste vom Rest des Landes abschnürte. Etwas Zerklüfteteres hatte Thomas nie in seiner Welt gesehen. Zudem warf dieses Stachelschwein – wie er es nannte – nicht einmal kühlenden Schatten!

      Eine Flucht schien aussichtslos. Immerwährend raschelte der Sand; selbst in seinen Träumen. Dennoch befand er sich an einem Ort voll wilder Magie: Um die hundert Quadratmeter breite Oase, von der er sich vor einem Monat in diese Welt gerettet hat, hatten sich über Nacht verzweigte Wege von der Insel zu den Ufern gebildet. Danach konnte Thomas sogar zusehen, wie sich die Palmen über die Insel bogen, die Kronen darüber zusammensteckten und sich ein Wurzelgeflecht von einem zum anderen Baum hinauf zog.

      Über Nacht war eine dichte Höhle aus Palmen um den Teich entstanden. Nicht einmal die beiden Eingänge, die Laudanius und er hineinhackten, reichten, um das Innere zu beleuchten.

      Dennoch war Thomas fasziniert von der wilden Natur: Eine lebendige Grotte. Wie Laudanius sagte, passieren derartige Wunder in „Soladum“ öfters. Würde er nicht darüber nachdenken, könnte ihm diese Welt ein Zuhause werden.

      Ihm fehlte das normale Wetter. Denn trotz des Ödlandes stoben oft und ohne Vorwarnung monsunartige Schauer, Hagelklumpen oder Schnee vom Himmel. Innerhalb von Herzschlägen waren die Wolken abgezogen. Dafür folgte umso drückendere, tagelange Hitze. Stürmen gelang es, selbst die Palmengrotte zu biegen.

      Daneben gab es auf dem Wüstenplateau keinerlei Leben! Nichts zischte und fleuchte neben dem endlos rieselnden Sand. Die Kröten aus seinem Traum schienen nur Trugbilder gewesen zu sein. Gab es denn nur den alten Mann und ihn in dieser Trostlosigkeit?

      Was ihm noch stärker ins Mark griff, war die Nacht, wenn die Stimmen wisperten.

      Ein Klappern riss Thomas aus dem Wahn: Statt mit dem Schwert kam der Alte mit zwei Holzschalen, worauf der Dampf von Brennnessel-Tee Thomas’ Nase kitzelte.

      Was wie eine Teepause aussah, wurde von Laudanius’ grimmigem Blick vereitelt. Er setzte sich im Schneidersitz seinem Lehrling gegenüber. Als er ihm das Gebräu reichte, vernahm er Thomas’ Schnauben. „Nimm, wenn du nun das Wissen aufarbeiten willst.“

      Widerwillig fasste er die Schale und nippte kurz. Das Gebräu schmeckte herb.

      „Zur Wiederholung“, rief Laudanius. „Was weißt du soweit über den Aufbau unserer Welt?“

      „Vom Boden zum Himmel hinauf ist die Mittelwelt – das Diesseits. Darunter erstreckt sich die Unterwelt. Das Firmament ist das Zeltdach, über die sich die Oberwelt ausbreitet.“

      „Hast du die Herkunft der Schamanen begriffen?“

      Thomas spannte sich an. „Dass der erste Schamane … von einem Adler gezeugt wurde?“

      „Genau. Um Krankheits- und Todgeistern ins Handwerk zu spielen.“ Seine Gesichtsfalten zogen sich zusammen. „Doch galt es immer mehr zu bewältigen.“ Er erläuterte seinem Adept nun langwierig die Aufgaben, Anschläge von Geistmächten zu verhindern, Zelte vor dem Bezug rituell zu reinigen, zu heilen und deren Verursacher zu beschwichtigen, gefährdete Seelen in die Oberwelt zu führen, sowie kinderlosen Frauen zur Seelenfindung ihres Embryos zu verhelfen. „Mit rituellen Opfergaben konnten wir Ren-, Elch- und andere Wildgeister milde stimmen oder ihnen helfen. Da wir einmal