Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


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versehen. Der Kontrast zwischen Lila und Blau ekelte ihn. Seine starken Wangenknochen knackten wie Mühlsteine. Genauso schmerzte es auch in seinem Kopf. Er betastete einige Kratzer. Seine Haut war ein Gebilde aus Hügeln.

      Er hatte Schulz provoziert, um Christine vor Schaden zu bewahren. Auch wusste er, dass Christine danach tagelang nicht zur Schule gekommen wäre. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit.

      „Wenn ich früher gekommen wäre“, unterbrach sie seine Gedanken, „hätte ich das verhindern können. Tut mir Leid.“

      Thomas schüttelte barsch den Kopf: „Es ist nicht deine Schuld. Eigentlich sollte sich jeder um seinen eigenen Kram kümmern.“

      Sie schien ihn nicht gehört zu haben. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte …“

      „… wäre das Sackgesicht nie in unser Leben eingedrungen. Aber das kann man nicht. Man muss die Welt nehmen wie sie ist.“

      Christine nickte nur. „Kommst du allein nach Hause oder soll ich helfen?“

      „Das schaff’ ich schon. Ich bin in wenigen Tagen wie neu.“

      Als er mit Schwung aufstand, knackte sein Rücken. Ein Schmerzensschrei und er fiel zurück.

      „Wirklich nicht?“

      Er sah sie grimmig an. Ihm wurde schwummrig und er verlor das Gleichgewicht. Christine umklammerte ihn, bis er sich fing. Am liebsten hätte sie ihn noch länger umarmt.

      Da drückte Thomas sich von ihr ab und musterte sie grimmig. „Den Rest mache ich allein. Kümmere dich um dich … und pass mit Schulz auf. Er hat Andeutungen gemacht.“ Thomas schnappte seinen Rucksack neben dem Bett, hinkte mit den pochenden Knien zur Tür hindurch.

      Christine folgte ihm, doch war er bereits im Treppenaufgang. Sie rief über ihm über das Geländer gute Besserung zu.

      Thomas lächelte hinauf und verschwand auf dem Gehweg des Wohnblockgebietes Am Oelschweg. Durch ein Aufgangsfenster seufzte sie ihm nach. ‚Ein Danke wäre das einzige, was ich erwartet hätte.’ Sie wusste jedoch, dass mit Schulz’ Erscheinen vor fünf Jahren, Thomas’ Temperament keine Achtung mehr geschenkt wurde. Seither verbarg er seine Gefühle und Hilfsbereitschaft.

      Vorbei an einigen Einbiegungen, einem Elektrowerk und über einen Feldweg gelangte er zur Schleizer ‚Glücksmühle’ – seinem Familienhaus. Von außen ‚wirkte’ es wie ein einigermaßen hergerichteter Bauernhof mit Pferdeweide.

      Hinkend trat er durch die Tür. Der Weg war schmerzhafter, als alles, was er je erlebt hat. Nach den ersten Metern des Marsches warf er sich vor, Christines Hilfe nicht angenommen zu haben. Jetzt war es neun Uhr abends und morgen stand eine Klassenarbeit an. Er stöhnte, beugte sich vornüber und stürmte aufs Klo, um sich zu übergeben.

      Als er erleichtert auf den Flur trat, hörte Thomas laute Knallereien aus der Wohnstube. Er wollte in Deckung springen. Da merkte er, wie sein Vater ein James-Bond-Video ansah. Neben dem Sessel türmten sich Bierflaschen in die Höhe.

      „Schon zurück, Söhnchen?“, rief Thomas’ Vater mit kratzender Stimme, ohne sich umzudrehen. „Sei so lieb und hol’ mir noch eine Flasche.“

      Thomas roch die saure Bierfahne, ohne näher zu kommen. „Hol’ sie dir selber, Saufbold!“

      Dieser drehte sich verdutzt um und beugte sich über die Lehne. „Hast gefälligst zu tun, was ich sage, sonst …“, und stürzte auf die scheppernden Bierflaschen.

      Thomas winkte nur ab und torkelte die Treppe hinauf.

      So tief war die einst so ehrbare Bauernfamilie gesunken. Statt ihr Feld zu bestellen, Kühe zu melken und Pferde als Geldeinnahme (für einen Reithof) aufzuziehen, verwahrlost alles auf dem Hof. Selbst das Gemäuer bröckelte bereits.

      Seit sein Vater vor einigen Jahren wegen eines Wutausbruches im Agrarbetrieb entlassen wurde, trank er täglich in der Kneipe, und abends daheim. Thomas’ Mutter ging ihm meist aus dem Weg. Deshalb hat sie die Stelle als Reinigungskraft angenommen. Sie arbeiteten meist nur in Spätschichten, und trat so der unerträglichen Zeit mit Thomas’ Vater aus dem Weg.

      Allein konnte er die Arbeiten auf dem Hof nicht übernehmen. Genauso fehlte ihm die Bezugsperson, mit der er einst über alles (sogar über die Pubertät) reden konnte. Seine Mutter sah er nur ab und zu, wenn er nachts zur Toilette musste und sie am Kühlschranke kauerte. Wo sollte das hinführen? Sein eigenes Leben geriet nun ebenso aus den Bahnen: Er stand kurz vor der Abiturprüfung, aber war zu unkonzentriert beim Lernen. Aussichten auf einen interessanten Beruf hat er nicht. Zum Studieren fehlt ihm Geld und Geduld.

      Während des Duschens bemerkte er weitere Druckstellen, die schlimmer schmerzten als sein Gesicht. Alle offenen Wunden brannten unter dem Wasser.

      Den Rucksack in die Ecke geworfen, setzte Thomas sich – im finsteren Zimmer – aufs Bett. Sein Kopf qualmte; der Körper schmerzte. Er stand vor einem Wutausbruch, setzte die Hände auf die zerzausten Haare und wollte sie raufen! Stattdessen atmete er tief ein ‚Eins, Zwei, Drei, Vier’, hielt die Luft an ‚Eins, Zwei, Drei, Vier’ und atmete aus ‚Eins, Zwei, Drei, Vier’ – und immer wieder. Seine Muskeln entspannten sich. Er konzentrierte sich nur auf das Zählen. Der Schmerz und alle Sorgen schoben sich weit vom Bewusstsein fort. Er fühlte sich leichter, entspannter und allein auf die Meditation bedacht.

      Keine Viertelstunde später schlief er ein.

      Kapitel 2

      Flucht

      Thomas erschrak. Allein in Unterhosen stand er auf derbem Boden. Er hat nicht gemerkt, wie er aufgestanden war. Um ihn erstreckte sich eine Ebene aus umherwirbelndem Sand. Darüber schwelte nicht die Sonne, sondern eine dunkel schattierte Wolkenbank. Sie plusterte sich auf. Es war heiß.

      Obwohl er sich umgeblickt hat, erspähte Thomas plötzlich drei wankende Palmen und einen glitzernden Teich in der Mitte. Seine Kehle wurde trocken und er stampfte zwanzig Meter zur Oase hin. Seine Füße brannten mit jedem Schritt. Ein kräftiger Windstoß drückte ihn nach hinten.

      Am Rand der sich kräuselnden Nässe ließ er sich nieder. Er wollte hinein springen und trinken, als er plötzlich sein Gesicht spiegeln sah. Er betastete die Schwellungen und blutigen Abschürfungen. Sie brannten, als züngelte das Höllenfeuer daran; und er verfluchte ihren Verursacher: Sebastian Schulz. Dieser sah das Leben als Spiel – er war der Spielmeister. Jeder hatte ihm zu huldigen. Nur Thomas widersetzte sich seit jeher, zollte ihm weder Respekt und winkte ab.

      Wie oft wünschte Thomas sich, dass Schulz sich das Genick brach.

      Plötzlich knurrte etwas vor ihm. Er blickte auf und sah zwei Kröten, die nebeneinander quakten. Dann aber sprachen sie abwechselnd zu ihm: „Du hasst ihn.“ „Willst du Genugtuung?“ „Willst du Respekt?“ „Willst du das Mädchen?“ „Willst du Schamane werden, Thomas Ortwig?“

      Genau das waren seine Sehnsüchte. Die letzte Frage ignorierte er: Bereits vor seiner Pubertät hatten sich ihm Eulen, Hirsche, einmal sogar ein verstorbener Verwandter gezeigt, die ihm ähnliche Fragen ins Ohr hauchten. Jedes Mal war er schweißgebadet aus dem Bett hoch geschreckt. Warum heute nicht?

      Er legte seinen Kopf in den Nacken und brüllte: „Ja! Das alles steht mir zu! Und ich will es!“

      Wie zur Bestätigung quakten die Kröten und sprangen ins kalte, glitzernde Nass.

      In Thomas loderte die Wut auf und er presste die Finger gegen seine Wange. Er spürte weder Schmerz, noch die Wellen, die über den Rand auf seine Füße schwappten. Dann brüllte er aus aller Inbrunst!

      Plötzlich stiegen Blasen aus dem Wasser. Er schrie weiter und schlug seine Fäuste in den Sand. Über dem Teich sammelte sich heißer Dunst, der zu brodeln begann. Hitze schlug in sein Gesicht.

      Endlich hielt er inne. Ein Anflug von Panik überrannte ihn. Heißes Wasser schwappte auf seine Füße. Vor Schmerz hätte er flüchten sollen. Doch beobachtete er weiter, wie sich die Wellen ballten, höher stiegen und immer höher. Was geschah hier?!

      Eine