Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


Скачать книгу

mit dem Element. Er konnte sich frei bewegen und fühlte, wie das Wasser seinen Leib rein wusch.

      Dann zerschellte die Welle auf dem Sand.

      Keuchend schrak er hoch. Er lag auf seinem Bett. Einzelne Sonnenstrahlen wanderten über den Horizont und die letzte Wolke löste sich am Himmel auf.

      Jetzt erst bemerkte er den Wecker, der unentwegt schellte. Hektisch schlug er ihn aus und sprang auf: Sieben Uhr. In dreißig Minuten begann die Schule und in zwanzig fuhr der Bus ab!

      Während er seine Sachen überstülpte, stoppte er und trat an den Spiegel. Was er sah, verwirrte ihn: Sein Antlitz war mit Rissen und Beulen übersät. Bloß glänzte bereits wieder gesunde Haut darauf. Hat ihn der Schlaf derart geheilt?

      Egal; er musste sich beeilen!

      Nach aller Hast erreichte er den Bus. Auch Christine saß darin, betrachtete ihn kurz, sah aber wieder weg. Thomas setzte sich vor sie und bemerkte ihre Blicke, die sich auf ihn legten.

      Als Thomas in den Klassenraum marschierte, vernahm er allerhand Gequassel: „Guckt mal, was ich gestern gekauft habe.“ Übertriebenes Staunen auf eine Halskette folgte bei den Mädchen. Allein Christine, die sich an Thomas vorbeizwängte, interessierte das nicht.

      Oder: „Habt ihr vom Rohrbruch auf dem Neumarkt gehört? Da entsteht zurzeit ein Tümpel.“

      Sein Blick fiel auf Sebastian Schulz, der mit hochgelegten Beinen am hinteren Tisch saß. Dieser flüsterte zu seinen Glatzkopf-Nachbarn: „Ortwig müsste im Krankenhaus liegen.“

      Thomas setzte sich grinsend neben Sascha, der ihn beunruhigt musterte. „Die haben dich ja zugerichtet.“ Er begann sich zu entschuldigen, da er Thomas nicht helfen konnte. Er selbst verfiel in seine Tagträume.

      Die Geografie-Stunde begann. Der Lehrer kam grüßend herein, knallte den Koffer auf den Tisch und rief ebenso launisch: „Zettel raus. Heute nun die Arbeit über die endogenen und exogenen Vorgänge Japans.“

      Kaum war die Stunde um, skizzierte Thomas mit Bleistift eine 6 auf die Unterkante seines Blattes. Der Lehrer sammelte alles ein und verschwand.

      Keine Minute später nahm Thomas einen Schluck Wasser. Es schmeckte wie das, an dem er heute Nacht fast erstickt wäre. Er schüttelte den Kopf.

      Der Albtraum folgte, als sich plötzlich Schulz neben ihn stellte. „Du müsstest aussehen, wie eine gerupfte Gans – oder hast du einen Zwillingsbruder?“ Thomas nahm ungestört einen zweiten Schluck.

      Schulz aber packte seinen Arm und drückte ihn zusammen. „Das holen wir hinterm Schulhof nach. Mitkommen!“

      Er riss Thomas vom Stuhl. Der wollte sich losreißen, lähmte ihn nicht das Zerren im linken Arm. Christines Aufruf betäubte den Schmerz. „Hör auf, Basti! Du übertreibst langsam!“

      Die Wasserflasche fiel zu Boden und lief aus. Schulz war abgelenkt, und Thomas riss sich los.

      Schulz stampfte auf ihn zu: „War wohl gestern nicht genug? Heute bestelle ich dir persönlich den Sarg.“

      Thomas versuchte an Schulz vorbei zu springen. Hektisch ballte er seine Fäuste und verpasste ihm einen Kinnhaken. Schulz taumelte zurück, stieß aber sein Knie in Thomas’ Magen. Er fiel zu Boden und prallte mit dem Kopf gegen eine Tischkante.

      Schulz wankte zornig auf ihn zu. Neben Thomas lief das Wasser aus der Flasche. Es plätscherte, als flute neue Kraft seine Seele. Die braunen Augen wurden von einem Orange aus Flammen übertüncht.

      Thomas kam Schulz zuvor, schwang sich auf und packte ihn am Kragen. Sein Kopf dröhnte vor Schmerz. Heute musste er dem Irrsinn ein Ende setzen. „Entschuldige dich oder ich bestelle ‚dir’ einen Sarg … Richtung Hölle.“

      Schulz zischte: „Du wirst dir wünschen, gestern gestorben zu sein.“

      Der Hass vermehrte sich. Er erinnerte sich an seine Wunden. Erinnerte sich, wie er im Traum geschrieen hat. Und spürte die Hitze des Wassers.

      Abrupt warf er Schulz zu Boden. „Nie wieder!!“

      Der grinste und wollte sich hoch stemmen – begann nicht plötzlich die Luft vor ihm zu flimmern. Ein eigenartiges Pochen drang durch den Raum, wie Trommelschläge. Es wurde heiß. Thomas stieß seine Faust vor. Ein Hitzeschwall packte Schulz und katapultierte ihn wie einen Kanonenschuss gegen die Tafel. Sie brach aus der Schiene und schrammte Schulz’ Schädel. Schlagartig verklang das Pochen.

      „Oh Gott“, rief jemand. Keiner rührte sich.

      Christine löste sich als erste und rannte zum steifen Sebastian. Sie griff mit den Fingern an seinen Hals. Es verstrichen rasende Pulsschläge, bis sie den Kopf hob. Sie betrachtete Thomas, der regungslos auf seine Hand, dann auf Christine sah. Sie rief mit bebender Stimme: „Er ist tot!“

      Thomas stockte der Atem. Leere durchrann seine Augen: Er hat einen Menschen umgebracht!

      Entsetztes Wimmern drang durch das Zimmer und steckte jeden mit Panik an. Thomas wirbelte herum und rannte durch die offene Tür.

      Er stürmte auf den Korridor, zu den Ausgängen und die Treppen hinab. Die Schüler auf dem Gang huschten zur Seite.

      Fast hat er den Ausgang erreicht. Da rammte er plötzlich gegen eine aufschwingende Klassentür.

      Es wurde dunkel, endlos dunkel.

      Wieder erwachte er mit einem Dröhnen ihm Kopf. Ihn regten die irrealen Träume auf. Am liebsten wollte er gar nicht mehr schlafen, sondern meditieren.

      Wieder ähnelten die Umstände denen von gestern: Er lag auf einer Liege. Christine saß neben ihn und bemerkte, dass er bei Bewusstsein war. Wärme breitete sich in seiner Seele aus. Christine aber war aschfahl, wie eine verwelkte Blüte. „Sie wollen dich abholen.“

      Seine Erinnerung schwebte im Nebel. „Wer?“, krächzte Thomas.

      Ihre Miene wurde steif, während sie einen kalten Lappen auf Thomas’ Stirn tupfte. „Die Polizei.“

      Der Nebel verpuffte schlagartig.

      „Sie wollen dich auf Arrest stecken“, fügte Christine leise hinzu. „Dann kommt die Verhandlung. Aber wer glaubt einem jungen Mann, der vorgibt, mit unnatürlichen …“ Sie erstickte im Satz. Zu konfus schien ihr das Geschehen.

      Barsch wurde die Tür geöffnet. Die Direktorin kam mit zwei groß gewachsenen Männern in beiger Uniform und Handschelle am Gürtel herein. Thomas zuckte und rief: „Das habe ich nicht gewollt!“

      Einer verzerrte die Miene: „Das sagen die meisten“ Er musterte Thomas’ zerschlissenes Gesicht. „Für solche wie dich gibt es lebenslänglich.“ Kurzer Hand klemmte er Thomas die Handschellen an. Als er sich nicht von der Liege erhob, zog ihn der Polizist hoch und nach draußen.

      Aneinander gereihte Schüler – wie auch Sascha – gafften dem Mörder des skrupellosen Sebastian Schulz entsetzt, aber auch mit Genugtuung an.

      Thomas selbst verzieh sogar seinem Vater, der im Gegensatz zu ihm nur sein eigener Mörder war. Seine Augen wurden glasig. Die Muskeln erschlafften. Bevor sie ihn in den Polizeiwagen drückten, blickte Thomas auf Christine zurück, die ihm aufgelöst nachsah. „Es tut mir Leid.“ Er hob den Kopf … und riss sich los, und hetzte davon!

      Er war frei, trotz der Handschellen. Hinter sich hörte er die Schüler schreien und die Polizisten jaulen. Einer startete den Wagen, der andere setzte Thomas nach.

      Er rannte zur – von einer langen Waldinsel geteilten – Hauptstraße; entgegen der Fahrtrichtung, wo ihm der Wagen mit heulender Sirene nicht folgen konnte. Der tat es dennoch. Die Autos hupten und ließ den Polizist stoppen.

      Doch folgte ihm der andere noch und kam immer näher. „Bleib’ stehen!“

      Ein Stau bildete sich. Thomas quetschte sich durch eine Lücke, um auf die andere Seite zu stürmen und bog in eine Gasse zum ‚Neumarkt’ ab. Der Beamte schaffte es nicht mehr. Rasch rannte dieser