Danny Fränkel

Soladum - Suche des Sonnenpatrons


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wir ein Ritual praktizieren, das ich lange Zeit vernachlässigt habe …“

      „Weiter geht’s“, unterbrach Thomas ihn. Ihm waren die theoretischen Lehrstunden zuwider geworden. Außerdem gefiel ihm, dass er im Kampf besser wurde.

      Über den ganzen Tag blieb Laudanius halbherzig bei der Sache. Thomas’ Übermut stieg, und als er den Alten unverhofft zu Boden schlug, wurde dieser fahrig. „Übereifriger Rabauk!“, und eilte fluchend in seine Jurte.

      Trotz des Hochgefühls reichte es dem ‚Rabauken’: Die ständige Strenge des Alten, die Vorurteile und Beleidigungen, die gesamte Schamanenausbildung! Sollte bei Thomas’ Geburt sonst etwas schief gelaufen sein.

      Mit seiner beinahe täglichen Meditation beruhigte Thomas sich meist. Doch heute wallten die Gedanken rasch wieder auf.

      Er sprang auf, nahm das Schwert und wirbelte kräftig mit der Klinge umher. Entkräftet, aber noch zu aufgeregt, knurrte er die geschlossene Truhe mit den Schamanenbüchern neben sich an: „Was will ich hier?!“, und schlug mehrfach gegen das Holz. Der Schmerz in seiner Faust ließ ihn niedersinken. Seine Schläfen pochten.

      Als würde ihn ein Kinnhaken treffen, fiel er plötzlich längs zu Boden – und erwachte neben dem Teich, wie er zur Ankunft in Soladum aussah: Mit drei wankenden Palmen darum, und den zwei Kröten! Sie sprangen auf dem Wasser umher, als wäre es fest wie Eis. Statt zu quaken, flüsterten sie düster und fahrig zugleich: „Du hast uns versprochen, Schamane zu werden.“ „Halte es.“ „Oder du wirst unsere Rache spüren.“ „Hältst du es nun?“

      Thomas’ Stimmbänder begannen zu vibrieren, als würden sie platzen. „Niemals! Ihr habt mein Leben zerstört. Verschwindet!“, und wollte die Kröten in den Teich treten. Diese sprangen dafür in sein Gesicht und an den Bauch. „Du bist ein Schamane, ob du willst oder nicht!“ Seine Atemwege schnürten sich zu, er schmeckte Galle und Schleim. „Wir werden es dich lehren!“ Zudem verkrampfte sich sein Magen. Alle Eingeweide prickelten und stachen plötzlich … bis die Schmerzen ihn hochfahren ließen.

      Zurück im Zelt presste Thomas die Hände auf den Bauch. Der Schmerz malträtierte ihn noch immer, ebenso real und intensiv wie im Traum. Er wollte schreien, aber sein Hals drückte. Die Luft wich kaum heraus, noch hinein.

      So schnell wie er schnauben konnte, rannte er hektisch zur Wasserschüssel neben dem Teppich. Als er auf die spiegelnde Oberfläche sah, erschrak er: Sein Hals war um das Doppelte angeschwollen. Träumte er noch, oder reichte das Martyrium in die Realität?!

      Bevor er hechelnd in Panik verfallen konnte, trank er einen Schluck. Das Wasser glitt drückend seine Kehle hinab und löste die Verschnürung etwas. Rann es jedoch in den Magen, begann es zu stechen.

      Mit vorgehaltenen Händen sprang er zur Zeltöffnung. Er hielt inne, bevor er hinaus stürmte. Denn der Alte würde nur seine Geister auf ihn hetzen.

      Tief durchatmend setzte er sich verschränkt hin, ignorierte den Schmerz und zählte von Hundert rückwärts. Bei der Hälfte zerdrückte die Spannung seine Bronchien, dass er zusammenbrach.

      „Du wirst uns erliegen“, quakte eine Kröte. Die andere fügte bedächtig hinzu: „Früher, oder später.“

      Mit einem Schal um den Hals, beging Thomas den neuen Tag. „Ich glaube, dass ich was ausbrüte“, gab er den Blicken Laudanius’ zu verstehen.

      So gut es der zuschnürende Druck in Hals und Magen zuließ, versuchte er der Theorie des Alten zu folgen und zu begreifen. Es schien ihm Ablenkung genug zu sein, um bis zur Abenddämmerung wieder frei atmen zu können. Sein Bauch drückte weiter.

      Am frühen Abend saßen die beiden nebeneinander und warteten. So vergingen viele Stunden. Die Sterne blinkten bereits in der anziehenden Kälte. Auch die drei Monde verstärkten den Frost des Wüstenabends. Ungeduld breitete sich auf den beiden Männergesichtern aus. Sie saßen da wie Götzen, die darauf warteten, zu versteinern.

      Plötzlich blinkte etwas neben der untergehenden Sonne auf.

      „Das Signal“, rief Laudanius. Es kam aus den unteren Graten der Berge. „Cheviots Spiegel“, und sagte Thomas, bevor er sich erhob und in die Wüste eilte. „Warte hier. Achte auf den Fluss.“

      Stöhnend drehte Thomas sich in Richtung des Ozeans. ‚Du willst bloß nicht, dass ich den Ausgang der Wüste entdecke.’ Trotz des Grams war er auch froh. Was wollte er in einer unbekannten Welt, die von drei Wahnsinnigen regiert wird? Er war noch nicht bereit für diese Reise – oder?

      Der Warterei müde praktizierte er seine Gymnastik. Mitten in den Übungen jedoch wurde das Rauschen des Flusses verstärkt. Kaum sah er auf, erspähte er keine hundert Fuß stromabwärts ein Floß, das ‚gegen’ die Strömung steuerte!

      Auflachend stürmte er darauf zu. Er erreichte das Ufer und staunte erneut. Die Gestalt darauf – von Kopf bis Fuß in schwarze Leinen gehüllt – saß wie auf einem fliegenden Teppich, ohne zu paddeln. Neben und hinter ihm stapelten sich angetaute Kisten, mit einer gespannten Lederplane darüber, die sich im Wind wellte.

      Die schwarze Gestalt sprang vom Floß, pflockte einen Stab in den Sand und taute das Floß fest. Nach einigen Knoten wandte sich die Gestalt zu Thomas und rief mit rauer, aber schneller Stimme: „Hilf mir, das Floß an Land zu ziehen.“

      Nach einigen knirschenden Zügen ruhte das Gefährt durchnässt im Sand. Endlich enthüllte der Fremdling seinen Kopf, um sich den Schweiß von der schwarz-braunen Stirn zu wischen.

      Thomas glaubte zu träumen: Genauso hatte er sich als Kind die Szenen zu ‚Tausend und Einer Nacht’ herbeigewünscht. Heute stand solch eine Gestalt vor ihm: Ein muskulös wirkender Afrikaner mit stählernem Gesicht, einer breiten Nase und etliche goldene Ohrringe, sowie einen schwarz geflochtenen Zopf. Zugleich strahlten seine braunen Augen etwas Offenes aus. Vor allem, als er Thomas anlächelte und die Hand aufs Herz legte. „Sei mir gegrüßt, Adept von Laudanius. Ich hoffe, du bist frohen Mutes“, und reichte ihm die Hand. „Ich bin Achim, Schamane eines Nomadenvolkes, das zurzeit am Fjord Salmus verweilt.“

      „Thomas Ortwig“, entgegnete dieser und reichte ebenfalls die Hand. Kaum berührten Sie einander, durchdrang eine fremde Wärme Thomas’ Herz. „War die Reise zu uns angenehm?“ Was interessierte ihn das plötzlich?

      Aufatmend blickte Achim zum Ozean. „Zurzeit ist stürmische See da draußen. Aber meine Geister beschützen mich sehr gut.“ Bevor Thomas bei dem Geist-Wort fröstelte, fragte Achim. „Ist Laudanius nicht da?“ Plötzlich klarte sein Blick auf, als er zum Gebirge sah. „Ah, da kommt der große Meister – zusammen mit Cheviot. Komm’, lasse uns zu ihnen gehen.“

      Gesagt, getan, wurde Cheviot – ein ebenso alter Greis wie Laudanius – vorgestellt; mit einem zerrissenen Ohr, einem halb vernarbten, kahlen Scheitel und stark verbrannter Gesichtshaut. Er war das Gegenstück zum strahlenden Achim. Cheviot wirkte auf Thomas noch unsympathischer, als er grimmig murrte: „Der Kleine soll Soladum retten? Viel Spaß, Meister.“ Insgeheim gab ihm Thomas Recht. Der Kerl schien hellzusehen.

      Nachdem die Neuankömmlinge ihre Zelte neben das von Laudanius errichteten, sammelten sich die Schamanen um ein knisterndes, Funken wehendes Feuer.

      Als Thomas zu ihnen stieß, schrak er zusammen: Drei knorpelige Holzstäbe staken – rot beleuchtet – neben den Schamanen. Darauf kauerten daumengroße, unmaterielle Schemen – mit Gesichtern von Eulen, Hirschen, Ziegen, Wildschweinen und anderer Geister. Sie starrten ihn an, und er fühlte sich von den Blicken der Lichtgestalten erstochen. ‚Hilfsgeister!’ Als dass sie ihm nicht bereits im Traum auflauerten, sah er sie direkt vor sich.

      „Komm’, setze dich zu mir“, empfahl Achim ihm. Seine Stimme verjagte Thomas’ Unbehagen.

      Kaum hat er sich zu ihnen gesellt, reichte Cheviot eine qualmende Pfeife herum, von der jeder einen Zug nahm. Nach dem bitteren Geschmack meinte Achim: „Jetzt kommt erstmal mein Präsent“, und hob eine verkorkte Holzflasche mit vier Bechern. „Wir wollen doch ins Gespräch kommen und nicht vor uns hin gucken.“

      Rasch