Um zwanzig Uhr beginnt die Vernissage. Wir haben uns mehrfach darüber unterhalten. Und du hattest mir versprochen, mitzukommen.«
Ihr Freund krauste unwillig die Nase und stellte das Glas so schwungvoll ab, dass unzählige Tropfen auf der polierten Glasfläche landeten.
»Stimmt, erzählt hast du mir davon. Aber das ist doch unwichtig. Solche Veranstaltungen gibt es immer wieder. Wollen wir nicht hierbleiben? Diese bunten Bilder interessieren doch keinen. Hier ist es viel gemütlicher.«
Meike schluckte. Sie wollte ihm eine geharnischte Antwort geben, doch in ihrem Hals steckte ein dicker Kloß. Enttäuscht und sprachlos starrte sie ihn an. Seine Ablehnung tat ihr fast körperlich weh.
»Also hör mal«, rief Patrick und blickte sie vieldeutig an. »Das ist ja ein Ding. Du sagst deiner süßen Freundin ab? So ein Abend in netter Gesellschaft, das würde ich mir nicht entgehen lassen.«
Michael sah ihn wütend an. »Halt du dich da raus, ja?«
»O.k., o.k.« Beschwichtigend hob Patrick die Hände. »War ja nicht so gemeint.«
»Das will ich auch hoffen.« Michael nahm das Glas und trank in wenigen Schlucken aus.
Erneut öffnete sich die Glastür am Eingang des Restaurants. Herr Evers trat ein, blickte sich flüchtig um und kam an den Tisch.
»Hallo, darf ich kurz stören?« Er sah Michael an. »Herr Steiner haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.«
Meike sackte regelrecht auf ihrem Stuhl zusammen. Noch einer, der ganz versessen aufs Tennisspiel war. Den geplanten Besuch der Vernissage konnte sie langsam abschreiben.
Jürgen grinste vielsagend. »Etwas ausgefressen, Kollege? Ja, ja, wenn die Götter zürnen ...«
Michael wusste selbst nicht genau, was los war.
»Hier?«, fragte er verwundert.
»In meinem Büro, wenn es recht ist.«
»Natürlich. Sofort.« Er erhob sich und riss dabei fast den Stuhl um.
Meike überlegte fieberhaft, was Michael angestellt wohl hatte. Garantiert wollte Herr Evers ihn wegen seines unverantwortlichen Verhaltens beim Gewitter zur Rede stellen.
Sie griff nach Michaels Arm. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich muss mich noch umziehen. Und wenn ich mich richtig erinnere, sind wir mit deinem Wagen da.«
»Sorry. Ich weiß zwar nicht, was los ist, aber es kann ein paar Minuten dauern.«
»Ich nehme dich gern mit in die Stadt.« Überraschend bot Patrick seine Hilfe an.
»Ja, genau. Das ist doch die Idee.« Kumpelhaft schlug Michael ihm auf die Schulter.
»Danke, das ist sehr nett von dir.« Meike versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Doch ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.
»Dann ist ja alles geklärt«, meinte Michael zufrieden und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Bis nachher, mein Schatz.«
*
In rasanter Fahrt schoss der weinrote Wagen die Landstraße entlang. Viel zu flott, wie Meike fand. Vorsichtshalber vergewisserte sie sich noch einmal, dass der Gurt stramm saß.
»Von Null auf Hundert in zehn Sekunden. Spitzen Wert - oder?« Verliebt streichelte Patrick das Lenkrad. »Der Wagen liegt wie eine Eins auf der Straße.«
»Ah ja?« Meike starrte gebannt auf den regennassen Asphalt. »So eilig habe ich es auch wieder nicht.«
»Das beruhigt mich. Hat dir jemals einer gesagt, was für traumhafte Augen du hast? Wenn du wütend bist, tanzen Tausende kleiner Teufelchen darin.«
»Hast du mich überhaupt schon einmal wütend erlebt?« Meike vermied es, auf das Kompliment einzugehen. Für Typen, die jede Minute mit einer Frau benutzten, um billige Sprüche zu klopfen, hatte sie nicht viel übrig. Beim Tennisspiel, da hatte er ihr noch imponiert. Aber jetzt?
»Ja, vorhin, als du Michael an die Vernissage erinnert hast.« Er nahm die rechte Hand vom Lenkrad und schaltete. »Wo findet sie eigentlich statt?«
»In einer entzückenden Galerie im Zentrum«, antwortete sie ausweichend. Patrick sollte gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen.
Er tat nicht, als bemerkte er ihre Ablehnung. Seine Hand kehrte nicht zum Lenker zurück, sondern näherte sich ihr langsam und scheinbar unabsichtlich. Und plötzlich lag sie auf ihrem Oberschenkel.
»He, spinnst du?«, verärgert schubste Meike die Hand herunter. »Benimm dich, ich bin kein Freiwild.«
»Hat auch keiner behauptet. Also reg dich wieder ab.« Seine Hand kam erneut herüber und lag schwer auf ihrem Schenkel. Dieses Mal versuchte sie vergeblich, seine Pfote wegzuschieben. Seine Finger krallten sich schmerzhaft in den Oberschenkel.
Entschlossen packte sie den Mittelfinger und bog ihn nach oben.
»Ich werde das nicht auf sich beruhen lassen«, zischte sie wütend. »Du wirst aus dem Club fliegen und bekommst obendrein noch eine Anzeige von mir.«
Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie kannte Patrick nicht gut genug, um ihn einschätzen zu können. Auf keinen Fall durfte sie sich eine Blöße geben.
»Aua.« Er zog die Hand weg und pfiff anerkennend durch die Zähne. »He, unser braunhaariger Engel zeigt Temperament.« Übermütig fuhr er ein paar Schlangenlinien. »Es stimmt also, Brünette sind voller Pfeffer!«
Ein entgegenkommendes Fahrzeug hupte. Der Fahrer gestikulierte heftig. Vergnügt lachte Patrick auf und riss erneut am Lenker, sodass Meike unsanft gegen die Tür geschleudert wurde.
»Hör auf. Du bist ja betrunken.«
Noch immer ging ein kräftiger Regen nieder. Die Büsche und Bäume am Wegesrand tropften und glitzerten. Ein romantischer Anblick, den sie sicher genossen hätte, wenn sie nicht in dieser brenzligen Lage gewesen wäre.
»Ich bin nüchtern und weiß genau, was ich tue.«
Wie ein unersättliches Monster glitt die Hand erneut nach rechts, diesmal deutlich höher. Meike schnappte nach Luft.
»Blöder Grapscher. Ich wusste gar nicht, dass du so primitiv bist.«
Das grenzte eindeutig an Nötigung. Ohne zu zögern, holte sie mit der Handtasche aus und schlug auf Patrick ein.
Die Attacke brachte ihn aus dem Konzept. Einen Augenblick lang verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug. Er trat auf die Bremse. Der Wagen rutschte über den nassen Asphalt, brach einen Leitpfosten ab und schlitterte auf dem Gras neben der Straße weiter.
Meike hielt sich krampfhaft am Türgriff fest. Patrick kuppelte und schaltete. Mit einem hässlichen Ratschen legte er den zweiten Gang ein und trat das Gaspedal durch.
Meike bemerkte seinen verkrampften Gesichtsausdruck und die zusammengepressten Lippen. Sie fasste einen Entschluss. Bevor Patrick völlig durchdrehte, musste sie hier raus. Egal, ob es draußen in Strömen goss oder nicht.
Sie griff nach der Handbremse und zog den Griff ganz nach oben. Patrick wollte beschleunigen, aber der Wagen setzte sich zur Wehr. Der Straßengraben tat ein Übriges. Die Räder drehten durch und gruben sich in den matschigen Boden. Statt schneller wurde der Wagen rasch langsamer und kam zum Stehen.
Den Gurt öffnen und die Tür aufstoßen, war eins. Die Handtasche fest in der linken Hand, sprang Meike hinaus in den Regen.
»He, was soll das?«, brüllte Patrick. »Bleib doch hier. War doch alles nur ein Scherz. Ich tu dir doch nichts.«
Aber Meike hörte nicht auf ihn. Wie von Furien gehetzt, rannte sie davon. Nach zwanzig Metern warf sie einen Blick zurück. Was, wenn er ausstieg und ihr folgte?
Zu ihrer Erleichterung sah sie, dass der Wagen langsam auf die Straße kroch und dann rasch beschleunigte. Das Blut pochte in ihrem Hals, und sie atmete hektisch.