nach der Figur in der Zauberflöte. Das war das einzige Mal gewesen, dass sich sein Vater gegen seine Mutter auflehnte und durchsetzte. Auch deshalb hasste seine Mutter die Oper, weil ihr Mann sie so sehr liebte. Das wusste Tamino, deshalb hatte er die Oper vorgeschoben und benutzte sie als Alibi. Dass er an diesen Abenden in seinem besten Anzug außer Haus ging und sehr spät wieder zurückkam, wunderte seine Mutter daher nicht.
Das da hinten war also die Frau, der er den Umschlag übergeben musste. Ein Kinderspiel. Dieser kleine Job würde ihm im Kolibri mehrere entspannende Abende ermöglichen. Er grinste, ohne es zu bemerken.
„Dieser Tamino ist ein Trottel,“ sagte Lutz Bräu zu Daniel Thalhammer. Sie waren dem Bus gefolgt, um Tamino bei der Umschlagübergabe zu beobachten.
„Deshalb habe ich ihn ausgewählt. Ich finde, er ist perfekt für den Job. Ein unbeschriebenes Blatt ohne soziale Kontakte. Außerdem ist auch er ständig pleite.“
„Ich weiß, obwohl ich das nicht verstehe. Er lebt bei seiner Mutter und hat einen Job. Er wird zwar beim Staatstheater nicht gut bezahlt, aber ohne Miete und ohne Auto müsste er eigentlich prima über die Runden kommen.“
„Er hat eine kleine Schwäche: Der Idiot verprasst sein Erspartes im Puff.“
Lutz Bräu verzog das Gesicht. Er mochte keine Bordelle, die widersprachen seinen moralischen Grundsätzen.
Bräu und Thalhammer fuhren nach Hause. Thalhammer bewohnte eine kleine, schäbige Wohnung in einem miesen Wohnviertel am Rande Münchens; mehr konnte er sich nicht leisten. Er nahm ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich auf die alte, ramponierte Couch. Er war zufrieden mit der Auswahl der beiden Personen, der Test hatte reibungslos funktioniert.
Bräu fuhr in seine Wohnung der gehobenen Mittelklasse und las bei einem guten Glas Rotwein nochmals mit Genuss den Artikel in der heutigen Tageszeitung. Das überraschende Treffen der EU-Energieminister in München passte hervorragend in den Plan. Ihm war klar, dass der Bayrische Ministerpräsident nur aus Prestigegründen eingeladen hatte und bei den speziellen Fragen komplett überfordert war.
„Der macht sich doch nur wichtig. Die Wahlen stehen bevor und er möchte Punkte sammeln,“ lachte Bräu und schenkte nochmals nach. Ihnen hätte nichts Besseres passieren können. Die Polizei war abgelenkt und somit konnte er mit Thalhammer in Ruhe arbeiten.
Was ihm zu schaffen machte, war die geplante Sperrung der Zufahrtsstraße zur A94, die schon seit Wochen angekündigt wurde. Das wäre nicht so schlimm, wenn nicht auch die B304 mit unnötigen Baustellen behindert wäre. Noch war die Zufahrt zur A94 offen, aber wie lange? Eine Fahrt durch die Innenstadt Münchens kam nicht in Frage, das war zu gefährlich. Zum Glück hatten sie einen Plan B, auf den sie im Notfall zurückgreifen konnten. Die Frau, die Thalhammer ausgewählt hatte, war perfekt. Wenn er ehrlich war, hatte er auch mit dem Mann ein glückliches Händchen bewiesen, aber persönlich hatte er etwas gegen ihn. Bräu wischte den Gedanken daran weg. Noch war die Zufahrtsstraße zur A94 offen und alles würde glatt laufen, ganz sicher.
Der lange geplante Coup konnte endlich beginnen. Nächste Woche war es endlich so weit.
3.
Die Kriminalbeamten der Mühldorfer Polizei murrten und waren sauer. Ihr Chef Rudolf Krohmer hatte ihnen eben offenbart, dass sie sich einem ganz besonderen Einsatz anschließen mussten: Dem Treffen der EU-Energieminister in der Bayrischen Staatskanzlei in München.
„Was sollen wir dort? Gibt es nicht schon genug Einsatzkräfte?“ maulte Hans Hiebler, der solche Jobs überhaupt nicht mochte. Der 55-jährige, 1,80 m große Lebemann roch heute wieder fantastisch. Allerdings war er müde, denn er kam direkt von einem Date mit einer jungen Frau, die er erst heute Nacht in einer Disco kennengelernt hatte. Hans war nicht verheiratet und genoss sein Leben in vollen Zügen. „Sind die Minister nicht erst kürzlich in Brüssel zusammengesessen?“ hakte er nach.
„Richtig. Aber unser Ministerpräsident hat eingeladen, um die noch offenen Fragen zu klären. Nach meinen Informationen wurden noch nicht alle Punkte für die Umsetzung der EU-Klima- und Energieziele für das Jahr 2030 sichergestellt. Seien Sie unserem Minister-präsidenten dankbar, dass er sich dafür einsetzt, die Umwelt geht uns schließlich alle an,“ sagte Krohmer, für den es selbstverständlich war, dass sich seine besten Leute bei der Sicherung des Treffens beteiligten. „Ich weiß, die Sache ist kurzfristig, aber das schaffen Sie schon.“
„Wann soll das stattfinden?“ sagte Leo Schwartz. Der 51-jährige gebürtige Schwabe hatte schlecht geschlafen und war mies drauf. Der 1,90 m große Mann hatte heute wieder eines dieser schrecklichen T-Shirts an, deren Leuchtfarben nicht nur in Krohmers Augen schmerzten.
„Lesen Sie keine Zeitung? Die Energieminister treffen nächste Woche Dienstag den 15. März in München ein. Das ganze dauert zwei Tage bis zum 17. März. Am Freitag nach dem Frühstück reisen die Minister ab, dann ist der Spuk vorbei.“
„So kurzfristig? Was ist unsere Aufgabe?“ sagte Tatjana Struck gelangweilt. Auch sie mochte diese Aufpasser-Jobs für hochrangige Personen nicht, dafür hatte sie sich nicht für ihren Job entschieden. Sie wollte Verbrechen aufklären und nicht Kindermädchen spielen. Die 38-jährige Tatjana war seit einem knappen halben Jahr in Mühldorf am Inn und hatte sich trotz der Enge des Landlebens schon sehr gut eingelebt. Sie kam aus Frankfurt am Main und Mühldorf war anfangs ein Schock für sie gewesen.
„Sie sind für die Staatskanzlei vorgesehen, und zwar alle vier. Sie werden die Energieminister im Auge behalten und für deren Sicherheit sorgen.“
Nun stöhnte auch der 40-jährige Werner Grössert auf, der darauf gehofft hatte, dem Job entgehen zu können, indem er sich freiwillig meldete, in Mühldorf die Stellung zu halten. Er war verheiratet und seit einem Jahr Vater einer kleinen Tochter. Natürlich wollte er gerne jede freie Minute mit ihr verbringen, und danach sah es mit dem Job in München nicht aus. Werner Grössert stammte aus einer sehr angesehenen Mühldorfer Anwaltsfamilie und schlug mit der Wahl seiner Polizeilaufbahn komplett aus der Art. Auch optisch passte er nicht zu seinen Kollegen. Werner trug sündhaft teure, moderne Anzüge. Krohmer sah ihn streng an.
„Was ist mit deren Begleitern und den Dolmetschern?“ wollte Leo wissen.
„Nur die Minister. Um die anderen kümmern sich separate Einheiten.“
„Das heißt, wir sind für die Sicherheit der Minister in der Staatskanzlei und im Hotel eingeteilt? Ist ein Kulturprogramm geplant?“ Leo bohrte nach und würde am liebsten sofort jede Kleinigkeit erfahren.
„Das erfahren Sie alles vor Ort. Der Einsatzleiter ist Wilfried Totzauer. Der Name ist Ihnen hoffentlich ein Begriff.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Alle kannten den Chef der Münchner Polizei, der fast täglich in den Medien auftauchte.
„Liegt irgendetwas Wichtiges an, das gegen den Einsatz spricht?“
Die Kriminalbeamten schüttelten die Köpfe. Seit diesem unsäglichen Märchen-Fall war es ruhig geworden, es gab nur Routinearbeiten. Leider.
„Gut. Am Montagabend treffen Sie in München ein und bleiben dort bis Freitag. Ihr Dienst ist erst beendet, wenn alle Energieminister abgereist sind.“ Krohmer hatte zwar einen gewissen Unmut seiner Leute erwartet, aber nicht mit so viel Gegenwind gerechnet. „Als besonderes Zuckerl wurden für Sie Zimmer im Hotel König Maximilian reserviert. Auch, weil dort die Minister untergebracht werden.“
„Nobel, nobel,“ sagte Hans Hiebler und grinste. Er hatte das vor drei Jahren eröffnete, sehr moderne 5-Sterne-Hotel bereits mehrmals von außen gesehen, könnte sich aber dort eine Übernachtung nie im Leben leisten. Unter diesen Gesichtspunkten sah der Job sehr viel besser aus und er freute sich auf nächste Woche.
Leo Schwartz dachte anders darüber. Das Hotel interessierte ihn überhaupt nicht, er brauchte keinen Luxus und legte keinen Wert darauf. Der Schutz der EU-Energieminister war eine hohe Verantwortung und nicht ohne Risiko.
„Warum wurden wir für den Job ausgewählt? Meines Wissens nach gibt es speziell ausgebildete