bemerkbar, wurde aber von Tamino nicht wahrgenommen. Er schien sich verändert zu haben. Täuschte er sich, oder kam ihm Tamino gelöster, fast fröhlicher vor? Bräu hatte Recht: Tamino war ein richtiger Trottel!
Jenny und Tamino wurden den ganzen Montag über beobachtet. Bräu und Thalhammer waren zufrieden, wie sich die beiden verhielten. Beide verhielten sich wie immer. Wohlwollend hatten sie registriert, dass Jenny trotz ihrer offensichtlichen Erkältung zur Arbeit ging. Sie und Tamino funktionierten perfekt. Der nächste Testlauf konnte heute Abend starten.
Die Baustellen auf der B304 machten beiden Sorgen, denn die Behinderungen wurden nicht kleiner, sondern größer. Noch war die Zufahrtsstraße zur A94 offen und konnte problemlos befahren werden. Bräu und Thalhammer hatten die leise Hoffnung, nach dem Coup doch noch ungehindert die Stadt verlassen zu können.
Aber darauf konnten sie sich nicht verlassen. Die Sperrung der A94 war seit langem angekündigt und die Gerüchteküche brodelte: Die Sperrung stand offenbar kurz bevor.
5.
Auch der nächste Test verlief reibungslos. Tamino Steinmaier übernahm den Umschlag, den ihm Bräu vor dem Staatstheater übergab, und stieg in den Bus. Klar hatte er sich erschrocken und war nervös, aber er wusste schließlich, was von ihm verlangt wurde. Den letzten Kurierdienst hatte er wie angegeben ausgeführt und das würde er auch heute tun. Den Umschlag hatte er wieder sofort nach der Übergabe in die Jackentasche gesteckt. Er war sich sicher, dass niemand etwas mitbekam und benahm sich wie immer. Während der Busfahrt sah er aus dem Fenster. War das aufregend! Bereits der zweite Kurierdienst in kürzester Zeit. Wann bekam er seine Belohnung? In Holzkirchen angekommen stieg er aus dem Bus und überquerte die Straße zusammen mit vielen anderen Fahrgästen, die nach Hause gingen oder wie er in einen der nächsten Busse umstiegen. Er steckte Jenny den Umschlag zu und ging zu seiner Haltestellte, um dort auf seinen Anschlussbus zu warten. Er sah der jungen Frau an, dass sie Angst hatte, aber das ging ihn nichts an. Für ihn war der Job erledigt. Wie viele dieser Umschläge würden noch kommen? Und was würde es dafür geben? Für den Inhalt interessierte er sich nicht. Ohne es selbst zu merken, pfiff Tamino ein fröhliches Lied.
Jenny war erschrocken, als der Fremde plötzlich neben ihr auftauchte und ihr abermals einen Umschlag zusteckte, den sie rasch in ihrer Manteltasche verschwinden ließ. Hatte diesmal jemand zugesehen? Flog sie jetzt auf? Wie aus dem Nichts tauchte ein Streifenwagen der Polizei auf und sie rechnete fest damit, dass er wegen ihr hier war. Sie hielt den Atem an, aber nichts passierte. Der Streifenwagen fuhr einfach an ihr vorbei. Dann kam endlich die Linie 12. Sie stieg ein und setzte sich wieder in den hinteren Teil des Busses. Sie konnte es kaum erwarten, endlich diesen Umschlag loszuwerden. Instinktiv griff sie in ihre Manteltasche und tastete den gepolsterten Umschlag mit den Fingern ab. Sie fühlte nichts. War da überhaupt etwas drin? Anfangs dachte sie an Drogen oder an Geld, aber dafür war der Umschlag zu klein. Verdammt nochmal! Was war in dem Umschlag?
Hedwig Berenz saß ganz hinten und hatte Jenny im Blick. Was war mit der jungen Frau nur los? Sie konnte die Gesichtszüge der Frau gut erkennen und sah ganz deutlich, dass sie irgendetwas beschäftigte. Aber was?
Magnus hatte diese Woche Frühschicht und ein anderer Fahrer saß hinter dem Steuer, der sich niemals mit Fahrgästen unterhielt. Hedwig mochte diesen Peter Hinzler nicht. Er war einsilbig, unfreundlich und anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber ungeduldig. Es kam nicht selten vor, dass er lautstark schimpfte, wobei er alle möglichen Schimpfwörter benutzte, die zur allgemeinen Belustigung der Fahrgäste beitrugen. Aber heute war Hinzler still, was Hedwig auf die vernünftige Fahrweise anderer Verkehrsteilnehmer zurückführte.
Der Bus war an der Haltestelle in Wolfratshausen angekommen. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, vor allen anderen auszusteigen, hielt sich Hedwig heute zurück. Sie nestelte an ihrer Tasche herum, wodurch Jenny sich genötigt fühlte, vor ihr auszusteigen. Verdammt! Gerade heute musste sie vor der neugierigen Frau Berenz aussteigen. Jenny kannte die Frau, alle in der Nachbarschaften kannten Hedwig Berenz und ihre Neugier. Hannah und Oskar hatten oft erzählt, dass die Frau sie ausfragte und Jenny gab Anweisung an ihre Kinder, zu ihr freundlich zu sein, aber nicht zu viel zu verraten.
Jenny war nicht mehr weit vom Papierkorb entfernt und befand sich in einer Zwickmühle. Alle anderen Fahrgäste waren schon weg, nur Frau Berenz war hinter ihr. Sie drehte sich um und sah, dass sie sich die Schuhe zuband. Auch das noch! Was jetzt? Sie zögerte einen Moment. Dann griff sie in ihre Jackentasche, warf den Umschlag in den Papierkorb und lief über die Straße. Sie wollte nur noch weg. Was machte Frau Berenz? Sie hörte Schritte hinter sich, das musste sie sein. Oder holte sie den Umschlag aus dem Papierkorb? Verdammt nochmal, was musste diese Frau auch gerade heute hinter ihr trödeln. Verrückte Gedanken schossen ihr durch den Kopf, bis sie sich schließlich mahnte, ruhig zu bleiben. Was hatte sie schon getan? Sie hatte lediglich etwas in den Papierkorb geworfen, wie tausend andere auch. Warum auch nicht? Sie lief zur Schule und holte ihre Kinder ab, die schon gelangweilt auf sie warteten. Beide waren sauer, dass ihre Mutter sie dazu zwang, in diese ätzend langweilige Betreuung bei Frau Adomeit zu gehen. Was hatten sie ihrer Mutter getan? Die letzten beiden Jahre hatten sie doch bewiesen, dass sie allein zurechtkamen. Nie war etwas passiert, und jetzt das. Sie ließen ihre Mutter spüren, dass sie mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden waren, aber ihre Mutter blieb unerbittlich. Sie mussten in die Schulbetreuung gehen, ob sie wollten oder nicht.
Als Jenny mit ihren maulenden Kindern zuhause ankam, schloss sie die Tür hinter sich und atmete tief durch. Natürlich verstand sie den Unmut ihrer Kinder, aber was sollte sie anderes tun? Die Lösung war genial. Mehrmals war sie kurz davor, ihren Kindern die Wahrheit zu sagen, hielt sich dann aber zurück. Sie konnte ihre Kinder mit der Wahrheit nicht konfrontieren, das ging nicht. Mit zitternden Händen bereitete sie das Abendessen zu. Ihr wurde bereits der zweite Umschlag übergeben, den sie weitertransportierte. Sie war für so etwas nicht geschaffen. Wie viele dieser Umschläge würden noch auftauchen? Lange würde sie das nicht mehr durchhalten.
Hedwig Berenz hatte Jenny genau beobachtet. Die Tatsache, dass sie etwas in den Papierkorb warf, war für sie nicht wichtig. Warum auch? Für Müll hatte sie sich noch nie interessiert. Ihr Interesse galt einzig und allein Menschen. Warum war Jenny so hektisch und nervös? Sie rannte ja geradezu zur Schule und dann nach Hause. Warum hatte sich Jenny dazu entschlossen, die Kinder in Obhut zu geben? Hedwig war ihr in sicherem Abstand gefolgt und hatte die Umgebung immer im Blick. Außer Jenny, den Kindern und ihr war nur noch der alte Kranz mit seinem Dackel unterwegs. Zuhause angekommen, ging sie auf den Balkon und lehnte sich so weit vor, dass sie in Jennys Küche sehen konnte. Sie bereitete das Abendessen zu, während die Kinder den Tisch deckten. Alles war wie immer. Gerade, als sie wieder ins Haus wollte, bemerkte sie eine Person auf der Straße, die das Haus zu beobachten schien, in dem Jenny lebte. Täuschte sie sich, oder sah der Mann geradewegs zu Jennys Wohnung? Hedwig hatte den Mantel noch an und ging zur Tür. So schnell sie konnte rannte sie die drei Etagen nach unten. Sie musste herausfinden, wer das war. Als sie unten angekommen war, war die Person weg. Verdammt, sie hätte schneller sein sollen. Sie beschloss, nicht nur Jenny, sondern von nun an auch die Straße im Auge zu behalten.
„Hat der Test funktioniert?“ fragte Bräu.
„Alles lief glatt. Der Mann macht keine Probleme. Aber die Frau hat Angst.“
„Das ist gut, das ist sehr gut. In zwei Tagen ist es endlich so weit. Du hast sehr gute Arbeit geleistet, mein Freund. Nur noch wenige Tage und wir haben für alle Zeiten ausgesorgt.“
6.
Während Jenny und Tamino zum zweiten Mal an diesem Montag getestet wurden, fuhren die Mühldorfer Kriminalbeamten Leo Schwartz, Hans Hiebler, Tatjana Struck und Werner Grössert gemeinsam nach München ins Hotel König Maximilian. Die Stimmung war gut, obwohl keiner von ihnen scharf auf den Job war.
Die Freude auf ein feudales, luxuriöses Zimmer wurde gedämpft, als ihnen das enge, dunkle Viererzimmer im Keller des Hauses zugewiesen wurde.
„Das ist nicht Ihr Ernst!“ sagte Hans zum Hotelmanager, der ihnen den Weg und auch das Zimmer