Roland Roth

Geheimnisvolle Unterwelten


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Jede Erkundung ist eine spannende Entdeckungsreise in Richtung Mittelpunkt der Erde. So am Beispiel der faszinierenden Unterwelt der Carlsbad Caverns:

      Der Nationalpark in New Mexiko, USA, beherbergt eines der spektakulärsten Höhlensysteme der Welt. Der „Big Room“, der große Saal, 230 Meter unter dem Besucher-Zentrum gelegen, ist etwa einen halben Kilometer lang und 25 Stockwerke hoch. Tausende von Stalagmiten, Stalaktiten und anderen Formationen finden sich in seinem Inneren.

      Im Jahre 1960 waren die Höhlensysteme idealer Schauplatz des Hollywood-Films Reise zum Mittelpunkt der Erde („Journey to the Center of the Earth“) mit James Mason, über den wir hier noch berichten werden. Hier fand man perfekte Bedingungen, um den Jules-Verne-Klassiker auf die Leinwand zu bringen.

      Doch für die Wissenschaft waren die Höhlensysteme in New Mexiko ebenfalls interessant. Hier entdeckten Forscher 1986 die Lechuguilla-Höhle. Sie ist eine der längsten und tiefsten Höhlen der Welt. Derzeit sind lediglich 200 Kilometer des bizarren Labyrinths kartiert, doch das gesamte Höhlensystem ist vermutlich viel größer. Die Höhle gab den Wissenschaftlern Rätsel auf, denn sie wurde offensichtlich nicht vom Wasser geschaffen.

Carlsbad Caverns, Höhlen, Tropfsteinhöhle, Stalagtiten

      Abb. 9: Carlsbad Cavern, Tropfsteinhöhle (© Pixabay, 12071)

      Viele Höhlen haben sich im Kalkstein gebildet. Ihr Baumeister war zum einen die Erosionskraft des Wassers. Zum anderen nimmt das versickernde Regenwasser dabei im Boden Kohlendioxid auf. Es entsteht Kohlensäure. Die Säure löst den Kalkstein auf und so bilden sich im Laufe der Zeit gigantische Hohlraumsysteme, unterirdische Labyrinthe mit bizarren Formen, die sich stetig verändern. Eine beeindruckende, aber auch eine lebensfeindliche Welt. So dachte man bisher jedenfalls.

      In der Lechuguilla-Höhle dominieren weiße Kristalle, die aus Gips bestehen. Gips entsteht aber nur in Verbindung mit Schwefelsäure. Die Forscher vermuteten, dass die Baumeister lebende Organismen waren: Bakterien. Doch wie könnten winzige Bakterien Höhlensysteme von solchen Ausmaßen herstellen?

      Durch bestimmte chemische Reaktionen steigt Schwefelwasserstoff aus der Tiefe hoch, von dieser Schwefelverbindung ernähren sich die Bakterien und scheiden Schwefelsäure aus. Doch zunächst war noch unklar, was aus den Bakterien geworden ist, die diese gigantischen Unterwelten geschaffen hatten.

      Die Antwort fand sich in den größeren Tiefen der Höhle, denn hier entdeckten die Forscher nicht nur die Urheber der Schwefelsäurestrukturen, sondern stießen auch auf einen unerwarteten Artenreichtum an Bakterien und Pilzen. Einige Wissenschaftler vermuten sogar, dass sich hier, ähnlich wie in den Tiefen der Weltmeere, ein weitaus größerer biologischer Reichtum verbirgt, als auf der Oberfläche unseres Planeten.

      Mit Blick auf die aktuelle Planetenforschung zeigt uns der vielfältige Artenreichtum an Leben in diesen unterirdischen Welten, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, in tiefen Höhlensystemen wie auf dem Planeten Mars oder auf den Top-Favoriten für extraterrestrisches Leben, den Monden Europa oder Titan, auf extraterrestrisches biologisches Leben zu stoßen.

      Höhlen dienen als Zuflucht und Biotope für Lebensformen, die an der Oberfläche der Erde längst ausgestorben sind. Auf den Planeten und Monden in unserem Sonnensystem besteht daher ebenfalls die Möglichkeit, dass die tiefen Kavernen und Höhlen auf diesen Welten als Zuflucht und Schutz vor der kosmischen Strahlung dienen.

      Im Laufe von Jahrmillionen hat sich in den Tiefen unseres Planeten ungestört eine einzigartige Lebenswelt entwickelt. Welche Lebensformen haben sich wohl während dieser Zeitspanne auf den Monden des Jupiter und Saturn oder in den Höhlensystemen des Mars entwickelt?

      Doch in den Höhlen herrscht ewige Dunkelheit. Wie kann Leben unter diesen Bedingungen überhaupt existieren, und woher kommt die Nahrung für ihre Bewohner? Wer im Dunkeln lebt, muss über spezielle Sinne verfügen. Fledermäuse beispielsweise senden Ultraschall-Laute zur Orientierung aus.

      Das Muster der Reflektionen vermittelt ihnen ein genaues Bild der Umgebung. Und die Fledermäuse können damit sogar ihre Feinde orten, wie eine Schlange, die auf Beutezug ist. Doch auch die Schlange schnappt im Dunkeln nicht blind zu. Ein Rezeptor in ihrem Kopf registriert die Körperwärme ihrer Beute, zielsicher stößt sie auf ein Tier zu.

      Die Evolution hat auf der Erde Lebensformen hervorgebracht, die glatt als Aliens durchgehen könnten. Selbst Wirbeltiere, wie der Cave Angle Fish („Cryptotora thamicola”), haben die Unterwelt erobert. Er lebt in den Wasserfällen von Höhlen, wo er sich mit winzig kleinen Haken an der abgeflachten Flosse am Fels festhält. Seine Nahrung besteht aus Bakterien, die ihm das Wasser heranschafft.

      Ein anderer Überlebenskünstler der Unterwelt ist ein weißer Salamander. Wie alle echten Höhlenbewohner in diesem Dunkel ist er blind. Im Gegensatz zu seinen Verwandten an der Erdoberfläche bildet er keine Pigmente, denn im Finsteren haben sie keine Bedeutung. Optische Tarnung ist hier nicht gefragt.

      Aber die unwirtlich anmutende Umgebung bietet den Bewohnern den wichtigen Vorteil der Kontinuität. Die Temperatur in der Lechuguilla-Höhle liegt ständig bei etwa acht Grad, die Luftfeuchtigkeit konstant bei 95 Prozent. Der weiße Salamander musste also nie flexibel auf sich verändernde Bedingungen reagieren. Dadurch spart er Energie in seinem Stoffwechsel. Das ist überlebenswichtig, denn er ist oft gezwungen, mehrere Monate lang zu hungern. Im Extremfall kann der Salamander bis zu sechs Jahre von einer ordentlichen Mahlzeit zehren.

      Welten, die für die Wissenschaft bisher als lebensfeindlich galten, gewinnen so wieder mehr Aufmerksamkeit, denn Leben findet seinen Weg und hat überall im Kosmos die gleichen Absichten: Es ist expansiver Natur, es breitet sich aus und vermehrt sich, und das an den schier unmöglichsten Orten. Man denke in diesem Zusammenhang an die „Oasen der Tiefsee“, wo Bakterien an 350 Grad heißen Quellen in der Tiefsee existieren.

      Das Erstaunliche dabei ist, dass diese Mikroorganismen Photosynthese betreiben - und das an einem Ort, zu dem niemals auch nur ein einziger Sonnenstrahl vordringt. Sie nutzen als Energiequelle das schwache „Glimmen“, das von heißen Quellen des Meeresgrundes ausgeht. Diese für das Auge unsichtbare Strahlung, das sogenannte geothermische Licht, gibt der Wissenschaft allerdings immer noch Rätsel auf.

      Auf das geheimnisvolle Licht der Tiefsee ist Ende der achtziger Jahre die amerikanische Biologin Cindy Lee Van Dover aufmerksam geworden. Sie hatte bei Krebsen, die an Thermalquellen auf dem dunklen Meeresboden leben, eigenartige Lichtsinnesorgane entdeckt. Sie befinden sich auf dem Rücken. Bei der Suche nach dem biologischen Sinn dieser „Augen“ stieß die Forscherin auf das geothermische Licht.

      Es handelt sich dabei um Strahlung vorwiegend im tiefroten bis nahezu infraroten Bereich. Das heiße Wasser, auch wenn es mit mehr als 300 Grad aus dem Boden schießt, kommt nicht als alleinige Strahlungsquelle in Betracht.

      Die Intensität bei manchen Wellenlängen ist viel zu hoch, als dass sie mit Wärmestrahlung erklärt werden könnte. Möglicherweise entsteht „Licht“, wenn das heiße Wasser auf das kalte Meerwasser, dessen Temperatur nur zwei Grad beträgt, trifft und dabei Mineralien auskristallisieren. Zu den weiteren Erklärungsversuchen gehören Sonolumineszenz, hervorgerufen durch kollabierende Bläschen, und bei chemischen Reaktionen auftretende Lumineszenz.

      Die Entdeckung von Leben tief unter der Erde bricht derweil nicht ab. Anfang 2021 entdeckten Forscher erstmals Lebensformen unter 800 m dickem Schelfeis. Unter dem antarktischen Filchner-Ronne-Schelfeis (benannt nach Wilhelm Filchner und Finn Ronne) leben diese schwammartigen Lebewesen putzmunter auf Felsblöcken, sogenannte sessile (festsitzende) Filtrierer-Organismen. Diese Entdeckung beweist, wie sich Leben auf unglaublich spezielle Weise an das Leben unter gefrorenen Welten anpassen kann.

      Polarforscher Huw Griffiths vom British Antarctic Survey ist begeistert von dieser Terra incognita. Bereits der 1996 unter einem 3.600 m dicken Eispanzer entdeckte Wostoksee in der Nähe der russischen Station Wostok sorgte für Aufsehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich in diesen tieferen Wasserschichten ebenfalls Leben befindet. Auch die subglazialen Seen Lake Whillans und Mercer Lake im Marie-Byrd-Land wurden untersucht. Bei diesen Beprobungen fand man unter der rund 1.000 m