Daniela Christine Geissler

Fluch aus vergangenen Tagen


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Klassenzimmers hatte. Musste sie sich ausgerechnet diesen Orden aussuchen? Es gibt sicher freundlichere, überlegte er und betrachtete die vergitterten Fenster.

      Die beleibte Mutter Oberin saß vor ihnen, die Hände vor der gewaltigen Brust verschränkt. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Ruth und mit strengem Ton, betont würdig, begann sie „Sie haben sich also entschlossen, unserem Orden der Karmelitinnen beizutreten und Ihr Noviziat hier anzutreten.“ Dabei nickte sie selbstzufrieden und ein Redeschwall über die Ordnung im Kloster ergoss sich über die beiden. Nach fünf Minuten konnte er kein Wort mehr ihres diktatorischen Vortrages vom „Dienst an dem Herrn“, mehr hören. Ihm wurde übel vor so viel Selbstherrlichkeit, doch Ruth hing an ihren Lippen. Bald würde auch sie eine von ihnen sein und ihre Persönlichkeit wird bis ins kleinste Detail, aus ihr herausgeschält werden, um sich diesem Leben anpassen zu können.

      Er hielt es nicht mehr aus, erhob sich und unterbrach so abrupt den monotonen Monolog der Nonne, die entrüstet zu ihm aufblickte. Aus seiner trockenen Kehle entfuhr ihm „Ich werde mich wieder auf den Weg machen. Also dann, Ruth, bye.“ Seine Augen brannten, seine Stimme klang heiser. Die Tür öffnete sich und Schwester Agnes trat ein. Es war ihm nicht mehr möglich sein Umfeld zu erfassen, so sehr schmerzte ihn dieser Augenblick. Ein weißer Lichtstrahl fiel auf Richards kantiges Profil.

      An seiner Wange konnte Schwester Agnes eine Träne sehen. Mit einer heftigen Geste zog er Ruth zu sich, umarmte sie, löste sich schnell wieder und wandte sich zur Tür.

      Eingehüllt in ein gleißendes Sonnenlicht, welches vom Gang ins Zimmer fiel, verstellte ihm eine zierliche Gestalt den Weg und wie er an ihr vorbei näher zur Tür schritt, traf ihn ihr Blick. Noch nie zuvor hatte sie einen Mann weinen gesehen. Für einen kurzen Moment versenkten sich ihre staunenden Augen in seinen Schmerz und ein kühler Hauch kam auf ihn zu. Ihre bernsteinfarbenen Augen umgaben dichte, schwarze Wimpern. Selbst jetzt noch in seinem Schmerz war er ganz Künstler, erfasste das ebenmäßige Gesicht und ihren geraden Blick. Er glaubte Reinheit zu sehen, vermengt mit einer überirdischen Sinnlichkeit. Sie kann kaum Dreißig sein, fuhr es ihm durch den Sinn.

      Sie fühlte seine Energie, seinen Trotz der Welt gegenüber. Er senkte seinen Kopf und schloss die Tür hinter sich. Mutter Elisabeth, von dieser Szene mehr peinlich, als traurig berührt, fuhr schnell mit ihrer Ansprache an ihren neuen Zögling fort. So war es Ruth gar nicht mehr möglich an Richard zu denken und schon bald versank sie ganz in der neuen Rolle der Novizin, als Gehorchende.

      Mit hängenden Schultern marschierte Richard stereotyp Richtung Wagen. Sein Zynismus war ihm vergangen. Er hatte nicht gedacht, dass es so bitter sein würde. An seinem Rücken spürte er Kälte und er begann, trotz des sonnigen Tages, zu frieren.

      Ihre Aura erreichte seinen sensitiven Sinn, ihre Schritte waren kaum zu hören. Er blieb stehen, drehte sich um und betrachtete sein Gegenüber. Die Regelmäßigkeit ihres ovalen Gesichts wurde unterstützt von dem einrahmenden Ordensschleier. Ihre schön geformten Lippen und ihr Blick gaben Schwester Agnes das Flair eines überirdischen Wesens.

      „Es tut mir leid.“, hörte er ihre klare Stimme.

      Richard schüttelte den Kopf und bellte „Was tut ihnen leid?“ Gleich darauf bereute er seinen schroffen Tonfall. Sie ging einen Schritt zurück und sagte bestimmt „Weil es Ihnen nicht möglich ist, sie zu verstehen!“

      Er war zu müde, ihr zu widersprechen, um ihr das Gegenteil klar zu machen. Er drehte sich einfach um und ging weiter. „Kommen Sie wieder und besuchen Sie Ruth.“, rief sie ihm sanft nach. Leichter Zorn erfasste ihn und barsch rief er zurück „Oh ja, ich werde sie mir in einem Monat ansehen, werde sehen, was ihr dann aus ihr gemacht habt!“ Sie entfernte sich. Nochmals bereute er seinen Tonfall, denn dieses Verhalten entsprach nicht seiner charmanten Art. Er rief ihr nach „Gut, ich werde wieder kommen!“

      Sie unterbrach ihren sicheren Schritt und blickte kurz zurück

      „Sie wird sich sicher freuen.“

      „Und Sie? Werden auch Sie sich freuen?“

      Sie blickte auf den Boden, richtete sich auf und sprach wie ein gut ausgebildeter Soldat „Es würde mich freuen, wenn es Ihnen dann wieder besser geht.“ Daraufhin drehte sie sich um und entfernte sich raschen Schrittes.

      Er starrte ihr nach, bis er nur mehr ihre Umrisse erkennen konnte.

      Kapitel 3

      Philadelpia 1967

      Im Haus der Nelligans wohnten drei Generationen unter einem Dach. Der Familie wurde der Reichtum in die Wiege gelegt. Der Großvater wollte, dass Joe Nelligan, der Vater von Phil und Richard, den Sägebetrieb weiterführte. Seinem Vater zuliebe, arbeitete Joe bis zu dessen Tod im Betrieb. Nach dem Tod des Vaters verkaufte Joe das Werk und sämtliche Grundstücke, legte einen Teil des Geldes in Aktien an und handelte unter anderem auch mit Immobilien. Alles in allem hatten sich im Laufe von Jahrzehnten durch erfolgreiche Transaktionen Werte von etwa hundert Millionen Dollar angehäuft.

      Das Haus war ein nachgebauter Villentyp im britischen Kolonialstil. Es war ein sauberer, nicht zu pompöser Anblick, inmitten eines herrlichen Obst- und Gemüsegartens. Phil Nelligan studierte Betriebswirtschaft. Er war der Realist der Familie, während sich Richard in seinen Studien mit Kunstgeschichte, Psychologie und Architektur befasste. Vor allem aber studierte er das Weib. Nicht, dass er etwa ein Narziss gewesen wäre, der Frauen sexuell ausnützte und dann fallen ließ. Er war tatsächlich fähig, sich in nur wenigen Tagen dreimal zu verlieben. Richard schätzte eine geschmackvolle Kleidung, eine schöne Umgebung und Reisen. Mit siebenundzwanzig Jahren reiste er für zwei Jahre um die ganze Welt und hatte so ziemlich alles gesehen, und jeden Typ Frau geliebt.

      Man schätzte seine Gesellschaft wegen seiner seelischen Wärme, die er ausnahmslos jedem Menschen entgegen brachte. Das lag wohl daran, dass er auch einige Semester Theologie belegte, doch ein religiöser Fanatiker war er deshalb noch lange nicht, denn er war eigentlich nicht gläubig, weder in christlicher, noch in einer anderen Weise. Ruth sah ihren Onkel selten. Richard war ständig unterwegs, doch wenn er bei ihr war, ging in ihr, wie bei jedem weiblichen Wesen in seiner Nähe, die Sonne auf.

      Es war ihr zehnter Geburtstag. Ruth öffnete das Fenster und sog die Frische des Aprilmorgens an diesem Sonntag, tief in ihre Lungen ein. Seit dem Unfall waren acht Monate vergangen. Sie bemühte sich heute nicht daran zu denken und doch gelang es ihr nicht, die inneren Bilder zu verdrängen. Der nette Mann, der sich eigentlich nicht wie ein Arzt benahm, obwohl ihn alle „Doktor“ nannten, kam anfangs zweimal wöchentlich zu Besuch, um mit ihr über den Unfall zu sprechen. Anfangs weigerte sie sich, aber er war so freundlich, dass sie ihm schließlich den Gefallen tat. Am Ende seines Besuchs stellte er immer wieder dieselbe Frage „Wie fühlst du dich jetzt?“, und sah sie dabei erwartungsvoll an. Sie wusste mit der Zeit, was er hören wollte. „Gut, es geht mir wirklich gut.“ Anfangs fiel es ihr schwer zu lügen, aber mit der Zeit stellte sie fest, dass Erwachsene eben glücklicher sind, wenn man ab und zu schwindelte. Sein altes Gesicht hellte sich dann auf und sie fand das sehr lustig, weil seine Haut im Gesicht dann viele Falten bildete, die sich wie ein Kranz um seinen Mund legten. Nach drei Monaten sagte der Psychologe der Pädiatrie zu Richard „Ich glaube sie ist jetzt so halbwegs darüber hinweg. So werde ich nur mehr alle zwei Monate einmal vorbeikommen müssen.“

      Sie stand immer noch am Fenster und überlegte, ob er nächste Woche wiederkommen würde. Sie hoffte nicht, denn sie fand, dass er viel Unsinn daherredete. Außerdem spuckte er beim Reden und hatte Mundgeruch, aber darauf durfte man Erwachsene ja nicht hinweisen.

      Nur Onkel Richard erzählte sie ihre Abneigung und er meinte „Liebes, du musst ihn nicht heiraten, höre ihm nur zu und sei bitte artig!“

      Sie machte alles was Onkel Richard sagte. Man konnte ihm nicht widerstehen, wenn er jemanden so anlächelte. Er hob dabei eine Augenbraue und an seinen Wangen bildeten sich zwei Grübchen. Er sah dann richtig jung aus, fand sie. Richard war seit dem Unfall nicht mehr verreist. Erst später, wenn sich alles wieder beruhigt hatte, wollte er wieder wegfahren. Sie hörte seine Schritte. Er hatte eine besondere Eigenart sich zu bewegen, wenn er lief. Er holperte