Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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      „Das Licht kann ohne Schatten nicht sein“, Teil I:

      Zu Anbeginn der Zeit gebar das Universum Zwillinge, das Licht und die Finsternis. Obwohl grundverschieden, verstanden die beiden einander gut. Doch als sie älter wurden, beanspruchte ein Jedes immer mehr Raum für sich. Sie drängelten und suchten, noch freundschaftlich, bis sie in die hintersten Winkel des Universums vorgedrungen waren. Derart mächtig und groß geworden, breitete sich nun Langeweile bei ihnen aus. Bald schon nahmen die Zwillinge getrennte Wege. Während das Licht mit den Sternen spielte, brütete die Finsternis übellaunig vor sich hin.

      Ein Stern hatte es dem Licht besonders angetan, dort lebten Wesen in vielerlei Arten. Gerne wollte es diesen einen Stern für sich allein besitzen. So verdrängte es heimlich die Schatten der Finsternis von dort.

      Grausam waren die Folgen! Das Wasser verdampfte, die Luft glühte, die Wesen litten schlimme Qualen und viele starben. Das Licht wich voller Entsetzen, Trauer und Scham zurück.

      Der Finsternis war das heimliche Treiben beileibe nicht entgangen und das grausige Ergebnis verschaffte ihr große Genugtuung. Mit Macht breitete sie sich nun allein über den Stern aus.

      Aber genau wie das Licht musste die Finsternis erfahren, dass der Stern unter ihrer Allmacht starb. Sie beobachtete das elendige Siechen mit unverhohlener Neugier. Endlich flehte ihr Lichtzwilling, dem Leid gemeinsam ein Ende zu bereiten. Die Finsternis gab nach.

      Nun aber herrschte Misstrauen zwischen den Zwillingen, weshalb die Finsternis den kalten Mond um ewige Wacht bat. Das Licht hingegen wählte die wärmende Sonne mit ihren goldenen Strahlen.

      Zwar gab sich die Finsternis fortan versöhnlich, schmiedete jedoch insgeheim Pläne. Es dürstete sie nach Vergeltung. Der Menschenseelen auf dem Stern wollte sich die Finsternis bemächtigen, jener einzigen Wesen, die ihr mit großer Furcht begegneten.

      Obwohl das Licht dieses schreckliche Geheimnis gewahrte, zögerte es lange. Hatten doch die menschlichen Geschöpfe zuerst das Licht fürchten gelernt. Grausam wurden die Menschen in den brutalen Bann der Finsternis gezogen. Sie hetzten sich gegeneinander auf und führten Kriege. Denn Neid und Missgunst, Hass und Selbstsucht, Wut und Mordgelüste vergifteten ihre Herzen.

      Da das Licht aus falscher Scham nichts dagegen unternahm, sprachen andere Sterne bekümmert zu ihm: „Wir wollen dir Sternelben geben, sie sollen die Menschen mit neuer Hoffnung und Freude erfüllen.“

      „Bloß ein Märchen, unzählige Male in hundert verschiedenen Varianten erzählt. Was für eine Enttäuschung.“ Ich gähnte herzhaft.

      „Lilia, das ist kein Märchen.“

      „Na ja, Gut und Böse existieren natürlich wirklich. Und weil sich Menschen nun mal vor der Dunkelheit fürchten, verkörpert sie immer das Böse, logisch.“

      „Sekunde mal“, stutzte ich. „Kleine Denkpause einlegen. Also dieser Chor in meinem Kopf, soll ich mich mit dem ernsthaft unterhalten? Ich könnte versuchen ihn auszutricksen, quasi den OFF-Knopf suchen.“ So wie ich manchmal gerne eine Fernbedienung für die nervende Dudelei in diversen Geschäften hätte. Oder sollte ich vielleicht mal im Lexikon unter dem Stichwort „Schizophrenie“ nachlesen? „Übertreib nicht.“ Dann also die hohe Schule der Konversation? Umgehend brach ein kämpferischer Schlagabtausch zwischen Kopf und Bauch los, den mein Hirn knapp für sich entschied. Tiefem Luft holen folgte ein trotzig gedachtes „Hallo“.

      „Wir grüßen dich, Lilia.“

      Unsortiert sprudelte ich los: „Warum nennt ihr mich Lilia und wer seid ihr und was wollt ihr in meinem Kopf und was hat es überhaupt mit dem Buch auf sich und das Licht habe ich das geträumt und – okay, so wohl eher nicht. Tschuldigung.“

      „Keine Ursache.“

      Aber anstatt noch einmal in Ruhe von vorne zu beginnen, führte die nervöse Zappeligkeit meines Denkorgans zu der restlos durchgeknallten Frage: „Könntet ihr etwas für mich tun?“

      „Was immer du möchtest.“

      „Schön, reich, gesund und berühmt sein! Nein, das Berühmtsein wieder streichen“, platzte es einfach dümmlich aus mir heraus. Purer, entlarvender Egoismus. Kein Weltfriede? Ende der Hungersnöte? Glück für jedermann auf Erden? Gedacht war gedacht, außerdem musste die ganze Geschichte möglichst schnell für mich überprüfbar sein. Schließlich pendelte mein Verstand ultimativ zwischen Klapse und Delirium. Diese ziemlich dürftige Rechtfertigung versetzte meinem Selbstwertgefühl einen deutlichen Knacks. Auf jeden Fall aber müsste sich schnellstens, wie ich hoffte, die Stunde der Wahrheit nähern. Nämlich der große Showdown mit dem Off-Knopf. Himmel, war ich damals naiv!

      Montag, 7 Uhr. Dachte ich. Gähnend schleifte ich mich durch das morgenmuffelige Pflichtprogramm von der Küche ins Bad. Gut für die Nachbarn, dass der gellende Schrei von meiner eigenen Kehle erwürgt wurde. Auslöser: mein Spiegelbild – oder wessen? Zu Tode erschreckt wagte ich dennoch einen Blick hinter mich. Da stand niemand. Immerhin, ich fiel nicht in Ohnmacht. Was hätte das auch genützt? Aber mein Gehirn ratterte los wie ein PC beim Virencheck. „Schlafe ich? Träume ich? Spinne ich?“

      „Guten Morgen, Lilia.“

      „Bin, bin ich das?"

      „Gefällt es dir?“

      „Oh, äh, na ja, also ...“ Stammeln, mal ganz was Neues.

      „Wir haben dir sämtliche Wünsche erfüllt.“

      Dann wussten sie mehr über mich als ich selbst. Zeit für eine Bestandsaufnahme. „Na los, guck hin, ist doch sowieso nur ein Traum.“ Tiefblaue Augen, in denen sich eine Kakophonie widersprüchlicher Empfindungen spiegelte, blickten mir aus einem jungen, irgendwie zeitlosen Gesicht entgegen. Das engelhafte Mädel mochte höchstens 20 Jahre alt sein. Goldenes, gelocktes Haar fiel über schmale Schultern. Und da hatte ich geglaubt, ein Look à la Barbie wäre out. „Was, bitteschön, spricht denn gegen meine haselnussbraunen Haare?“ Trotzdem zog ich meinen Pyjama aus und schaute erwartungsvoll an mir hinunter. Um es klar zu betonen, in Erwartung meines eigenen Körpers. Will sagen, nicht mehr ganz straff, ein wenig Hüftgold, mit Muttermalen, Narben und sonstigen Spuren auf der Haut, die das echte Leben mit sich brachte. Stattdessen: Makellose, samtweiche Haut, eine traumhafte Taille, und … genug, Neid zu provozieren lag mir schon immer fern. Da huschte ein klitzekleiner, abscheulicher Gedanke heran. „Im Märchen hätte der Spiegel jetzt doch sagen müssen: Du bist die Schönste im ganzen Land.“ Augenblicklich stieg mir Schamesröte ins Gesicht. „Dies ist kein Märchen und du tätest gut daran, wieder kalte Fliesen unter deine süßen Füßchen zu bekommen“, appellierte ich streng an meine Moral. „Süße Füßchen? Geht’s noch?“, echote mein Alter Ego.

      Die nüchterne Realität holte mich eine Minute später wieder ein, nur völlig anders als gedacht. Slip, T-Shirt, Hose, Pullover, alles schlabberte und rutschte an „mir“ herum. Die erste Tasse extra starker Tee war eindeutig überfällig.

      Tränen tropften in die Teetasse, während zu viele Gedanken und unzählige Fragen durch meinen Kopf schossen. „Das ergibt alles keinen Sinn. Wie da wieder rauskommen? Alltag, geh einfach zum Alltag über. Konzentriere dich auf diejenigen Dinge, die normalerweise montags um 7.30 Uhr anstehen.“

      „Lilia, heute ist Samstag.“

      „Nein!“, bockte ich. Heute musste ganz eindeutig Montag sein.

      „Du hast lange geschlafen.“

      „Ich gehe jetzt zum Bäcker, wie immer montags.“

      Drückte dieser Summsingsang etwa Stimmungen oder Gefühle aus? „Später – wenn überhaupt. Ab zum Bäcker, nein, erst einen passenden Gürtel für die Hose finden.“ Angesichts des plötzlichen Bekleidungsnotstands, aber vor allem, weil ich fest auf einen reinigenden Kälteschock für meinen Gedankenkorks setzte, zeigte ich ausnahmsweise