Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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Ihre Gesichter präsentierten sich mir als offene Bücher ihrer Emotionen, ihres Charakters und so mancher Gedanken. Zwangsläufig empfand ich es als schlimme Belastung, ständig solch Übermaß an ungebetenen Einblicken aufzunehmen. Eine halbe Stunde in der vollen S-Bahn konnte mir ernsthaft den gesamten Tag versauen.

      Nach reiflichem Nachdenken gab ich mich kopfschüttelnd geschlagen. „Ich bin nun mal ich!“ Plötzlich schoss durch meinen Kopf die alles entscheidende, hartnäckig abgeblockte Frage: „Was wollen sie von mir?“ Seltsamerweise überfiel mich bleierne Müdigkeit. „Morgen reicht ja wohl auch noch dafür.“

      Weit nach Mitternacht wankte ich ins Schlafzimmer.

      „Lilia, lass die Vorhänge offen, damit wir wachen können.“

      „Wieso wachen?“ Langsam entwickelte ich mich zur Quizkönigin der unbeantworteten Fragen.

      Ein herrlicher Tag! Dick eingepackt genoss ich die Sonne bei einem ausgiebigen Spaziergang an der Spree. Träge trieben Eisschollen den Fluss hinunter. Nachdenklich ließ ich die Ereignisse der letzten Tage en detail Revue passieren. Mein Gehirn hatte die körperliche Verwandlung, ehrlich betrachtet, weder verdaut noch akzeptiert. Vor dem Badspiegel wütete regelmäßig das Ignorantentum. „Verfluchte Wünsche!“ Verdrossen stürzte ich mich auf das Auge des Wirbelsturms, die unheimlichen „internen“ Gesänge. „Nein, ach nein, der Brocken ist eindeutig zu groß.“ Mit fest umklammerter Gedankenbremse blockte ich den Angriff des riesigen Fragengeschwaders ab. „Plan B, bitte.“ Vielleicht ließen sich nachher im Internet ein paar hilfreiche Informationen über Elben recherchieren. Prompt motzte mein Alter Ego: „Sicher doch, immer hübsch vom Thema ablenken.“ „Gar nicht wahr, in Geschichte bin ich schon immer eine Niete gewesen. Und über Elben sollte ich besser mehr in Erfahrung bringen.“ „Na gut, gewonnen – vorerst.“

      Endlich bemerkte ich es. „Wieso ist es dermaßen still in meinem Kopf?“ Anscheinend hörte ich die Geistgäste ausschließlich in meiner Wohnung. Hieß das etwa, wenn ich das magische Buch beseitigte, würde ich in meinem alten Leben aufwachen? Wollte ich das? Kläglich leise Ja-Rufe scheiterten gnadenlos am Nein-Orchester aus der Neugierzone.

      Zurück daheim, suchte ich Literatur über Elben. Neben zahllosen, erwartbaren Treffern bei Sagen, Märchen und Fantasy existierten kaum Einträge zu wissenschaftlichen Abhandlungen.

      Die wenigen Sachbücher wollte ich gerade bestellen, als sie Einspruch erhoben.

      „Dort wirst du keine Weisheiten finden.“

      „Was erwartet ihr von mir?“ Das hatte ich in diesem Augenblick doch ganz bestimmt nicht wirklich gefragt, oder? Und ob!

      Ihr sprachloses Singen klang beinahe schüchtern. Ich wartete. Die Zeit schlich laut meinem Bauchgefühl in Zeitlupe dahin, während mein realer Magen unbekümmert Übelkeit produzierte.

      „Lilia, deine Urmutter war eine Elbenfrau“, stimmten sie ihren Gesang an.

      „Aber meine Mutter war eine Drachenhexe“, warf ich ohne Nachdenken dazwischen.

      „Wohl wahr! Sie tat berechnend Böses, um dich zu verderben.“

      „Ja, sie brachte mir nichts als Neid, Kälte und Hass entgegen.“ Alte, tief vergrabene Wunden platzten in mir auf. Krampfhaft klammerte ich mich gedanklich an die dubiose Elbenfrau im Stammbaum. Kein Stück einfacher.

      „Möchtest du mehr erfahren?“

      „Mach schon, gib dir einen Ruck. Ja!“

      „Kennst du die Kirche Santa Christiana in der Krongasse?“

      „Äh, nein. Wieso?“ Meine Verwirrung war komplett.

      „Bitte begib dich dorthin.“

      Kapitel 2

      Mit Hilfe eines zerfledderten Stadtplans, S-Bahn und Bus gelangte ich fast bis vor die Tür von Santa Christiana. Vielleicht sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass ich zwar eine Niete in Geschichte war, dennoch alte Gemäuer innig liebte. Ganz einfach, weil Schlösser, Speicher, Wohnhäuser, Kirchen oder andere erhaltene Bauwerke mit etwas Fantasie greifbare Geschichten erzählten.

      Santa Christiana lag, teils umrahmt von hohen Pappeln, etwas zurückversetzt. Davor befanden sich Parkplätze, nebenan das Pfarrhaus. Zwar erwartete ich keinen Dom, aber auch keine fast winzige, spätgotische Kirche mit schlichten Glasfenstern. „Wie alt mag sie sein, vierzehntes Jahrhundert?“

      Entschlossen ging ich zur Eingangstür und drückte die Klinke herunter. „Offen, prima.“ Dämmriges Licht herrschte im Innern. Meine Augen brauchten einen Moment, bis sich links der Kirchenraum und rechts der Altarraum herausschälten. Die Orgel vermittelte bei meinem Rundgang einen ziemlich mitgenommenen Eindruck, wie überhaupt die gesamte Einrichtung. Abgewetzte Bänke, verstaubte Holzskulpturen und rissige Gemälde boten ein Bild der Verwahrlosung.

      „Was jetzt? Hallo, ich bin da!“ Wenn das jetzt nicht völlig durchgeknallt war, was dann?

      Durch das Fenster, welches der linken Hälfte des Altarraums etwas Tageslicht spendete, fiel ein Sonnenstrahl hinein. „Nein“, meldete sich mein Verstand, „unmöglich um diese Uhrzeit“. Behutsam trat ich näher. Das Licht fiel in einem Kegel genau auf jene zwei Stufen, die den Altar umgaben.

      „Lilia!“

      Heftig erschrocken fuhr ich zusammen. Warum erschallten sie plötzlich in dröhnendem Dolby Surround?

      „Weil dies ein uralter, heiliger Ort ist, wie ihr Menschen es nennt. Bitte setz dich.“

      „In das Licht?“

      „Bitte.“

      Wäre es um einen stockdunklen Flecken gegangen, hätte ich mich glatt geweigert. So aber setzte ich mich mutig auf die oberste Stufe. Sehr grelles, weißes Leuchten. Meine Augen bereits zugekniffen, spürte ich sogleich ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut.

      „Seid ihr Heilige?“, fragte ich mangels gescheiter Ideen, obwohl ich deren Existenz stark anzweifelte.

      „Wir sind Sternelben, die Gesandten des Lichts.“

      Normalerweise würde jedes Gehirn diese Information unverdaut wieder ausspucken. Wohl infolge der bisherigen Erlebnisse verweigerten meine grauen Zellen keineswegs die Annahme ihrer ungeheuerlichen Behauptung.

      „Du machst Fortschritte, Lilia.“

      „Warum nennt ihr mich so?“

      „Lilie und Elischeba, äußere Schönheit und innere Vollkommenheit, spiegeln sich in deinem Namen.“

      „Schönheit und Vollkommenheit – ich? Absurd!“

      Die Sängerinnen gingen über meinen Einwurf hinweg. „So wurde es prophezeit: Das Böse gebiert ein Lichtkind. Dieses Kind wird erwachen, bevor die Finsternis abermals alle Menschen verschlingt.“

      „Aber woher wollt ihr wissen, dass ich damit gemeint bin? Außerdem heiße ich doch ganz anders“, beharrte ich hilflos.

       Sie antworteten mit schwellendem Gesang: „Nur, weil sich deine Mutter dem Licht verweigerte!“

      „Lasst sie verdammt nochmal aus dem Spiel! Niemand hat das Recht, meine Vergangenheit aufzuwühlen! Niemand!“, brüllte ich, dass es im Kirchenraum widerhallte. Darüber heftig erschrocken, kauerte ich mich zusammen und hielt den Atem an.

      Meine Giftmischerin von Mutter war auf dem Höhepunkt ihrer höllischen Karriere aufgeflogen und der Polizei umstandslos durch Selbstmord entwischt. Diese einmalige Chance hatte ich, obwohl noch minderjährig, genutzt, um spurlos in Berlin unterzutauchen.

      Die