Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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wahrhaftig das Antlitz unserer Fürstin. Welch peinigender Schmerz.

      Die Verkäuferin lächelte mich an. „Guten Morgen. Was darf es Schönes für Sie sein?“

      Kaum zu glauben! Dieselbe olle, mürrische Verkäuferin, die niemals meinen Gruß erwiderte, nie die Zähne so weit auseinander bekam, um nach den Kundenwünschen zu fragen, und schon gar niemals ein „Tschüs“ über ihre harten Lippen brachte? Die konnte lächeln und sprechen? Im Augenwinkel registrierte ich den beunruhigenden Umstand, dass alle Leute in der Bäckerei mich lächelnd anschauten. „Oh nein, schneller Selbstcheck. Schlafanzug noch an? Nein. Puschen? Auch nicht. Zahncreme oder Seifenreste im Gesicht? Alles o.k. Meine Haare nicht gekämmt? Unsinn, wir sind hier in Berlin.“

      Die Verkäuferin lächelte mich noch immer erwartungsvoll an.

      „Reiß dich zusammen.“ Ich schluckte schwer, kratzte den letzten Krümel an Fassung zusammen. „Ein, nein, zwei Schoko-Croissants“, echte Nervennahrung musste her, „und zwei Sonnenblumenbrötchen, bitte“.

      Selten hatte ich solchen Drang, um aus dem Laden zu stürmen und noch auf dem Gehweg das erste Croissant in mich hineinzustopfen.

      Damit begann die Turbolektion, wie mittels elbischer Magie aus einer unauffälligen Raupenfrau in Nullkommanix ein neues Wesen hervorschlüpfte. Es rührte die Herzen der Menschen und weckte ihr Urvertrauen. Schwarze Seelen ausgenommen, versteht sich.

      Die Redewendung „zittern wie Espenlaub“ passte perfekt, galt nur leider keineswegs dem Frost. Inzwischen saß ich am Küchentisch und beträufelte das zweite Croissant mit Salztropfen. „Alltägliches tun, erinnere dich an deinen Vorsatz. Mach weiter. Reiß dich zusammen.“ „Das krönende Motto des Tages?“, spottete mein Alter Ego dazwischen. „Du gehst jetzt ins Einkaufcenter und kaufst passende Klamotten.“ „In welchen Größen?“, lästerte es genüsslich. Besser hätte ich mir von den Stimmen zuallererst eine gehörige Portion mehr Mut gewünscht. Zu spät, ab sofort zahlte ich Lehrgeld.

      Volle drei Runden stapfte ich gesenkten Hauptes um den ausladenden Gebäudekomplex herum, in dem sich das Einkaufscenter befand. Zuletzt fühlte ich mich wie eine tiefgekühlte Flunder an. „Schluss damit, bring die Sache hinter dich.“ Durch die Drehtür begleitete mich die panische Vorstellung, als Schlafwandlerin mitten im Shoppingrummel aufzuwachen.

      Kein Traum konnte so lange andauern, da war ich mir völlig, beinahe, ungefähr sicher. Umgezogen in Größe 34 Outfit hockte ich auf der Couch. Da kam ich auf die alberne Idee, sicherheitshalber in meinen Arm zu kneifen. „Tut weh. Gut.“ „Noch mehr solcher, oder eher besserer Ideen auf Lager?“, fragte das Alter Ego süffisant. Der Alltagstest hatte sich jedenfalls als grandioser Flopp erwiesen. „Aber das Summen ist fort!“ Wenn ich es recht bedachte, schon seit geraumer Zeit. „Besser.“ „Sicher? Da wären noch etliche Fragen offen.“ „Oh nein, bitte nicht.“ „Komm schon, gib zu, dass du ein klitzekleines bisschen neugierig bist.“ „Wie wäre es stattdessen mit etwas geistlos Praktischem, beispielsweise samstäglichem Putzen, Bügeln, Staubsaugen?“ „Du kneifst!“ „Und du nervst!“

      Der interne Zoff endete mit dem Kompromiss, weiter in dem magischen Buch zu lesen. Es spukte ohnehin pausenlos im meinem Hinterkopf herum. Und angeblich war ja schon wieder Wochenende!

      So einfach ging ich dem Zauber dieser märchenhaften Geschichte auf den Leim. Die Sternelben wussten ganz genau: Mindestens meine halbe Welt, und zwar die wichtigere Hälfte, bestand von Kindesbeinen an aus Fantasie.

      „Das Licht kann ohne Schatten nicht sein“, Teil II:

      Die Sternelben trugen das Licht zurück in viele Menschenseelen. So gewahrten die Erdbewohner den Unterschied zwischen Gut und Böse. Doch manche Seele blieb schwarz, manche beherbergte sowohl Licht als auch Schatten, andere wiederum waren von reinem Leuchten erfüllt. Den Sternelben aber gefiel es unter Menschen, Tieren und Pflanzen. Besonders die Blumen hatten es ihnen angetan. So verweilten etliche auf der Erde.

      Zwischen den Zwillingen herrschte abermals das alte Gleichgewicht. Indes, die Finsternis gab keinen Frieden, sie missbilligte die Sternelben, fühlte sich, obwohl zu Unrecht, neuerlich hintergangen. Da flüsterte ihr der Mond zu, er könne Geschöpfe nach ihrem Geschmack erschaffen und unter die Menschen geleiten.

      Bald schon krochen nachts üble Schattenwesen umher. Die meisten Menschen flohen voller Entsetzen vor ihnen und nannten sie fortan Dämonen. Die grausamen Geschöpfe der Nacht lechzten auch nach den Sternelben, konnten jedoch im Licht der Sonne nicht bestehen. Nacht für Nacht flüchteten die Sternelben vor den Dämonen in die hell erleuchteten Häuser guter Menschen. Und bedankten sich mit vielerlei Diensten für den sicheren Unterschlupf.

      Die Finsternis grollte über das Versagen ihrer Diener und brütete einen neuen Plan aus. Dann befahl sie dem Dämonfürsten, das elbische Sternsilber zu stehlen. So kam es zum Krieg zwischen Sternelben und Dämonen. Mit magischen Blitzen und Feuern bekämpften sie einander im Zwielicht jahrelang. Unzählige kamen um, bevor der listige Diebstahl des machtvollen Elbenschatzes gelang. Ohne das Sternsilber jedoch waren die letzten Sternelben für alle Zeit an die Erde gebunden.

      Auch bei den Menschen zeigte der Krieg schlimme Folgen. Viele erblindeten von den Blitzen oder verloren Hab und Gut durch die Feuer. So erkannten sie die unirdische Macht der Sternelben und fürchteten auch sie. Darüber herrschte große Trauer unter den Sternengeschöpfen. Schließlich verhüllten sie sich als unsichtbare Lichtgestalten. Seither wachen sie im Verborgenen über die Erde.

      Ohne groß nachzudenken formulierte sich eine Frage in meinem Kopf. „Muss es nicht Dämonen und Engel heißen?“

      „Du sprichst wahr, so wurden die Elben später von den Menschen genannt. Weißt du um das Wirken der Mönche in früher Zeit?“

      „Ja, die Schriftkundigen unter ihnen stellten Kopien her, so blieb das Wissen über die Jahrhunderte erhalten.“

      „Richtig. Doch nach den großen Kriegen existierte nur mehr eine einzige alte Abschrift über die Geschichte der Elben. Als in späterer Zeit davon eine Übersetzung angefertigt werden sollte, entzifferte der Mönch äußerst mühsam die kaum mehr lesbaren Schriftzeichen. Aus Elben machte er Engel und noch manch anderen Fehler. Bald darauf zerfiel die alte Schriftrolle zu Staub.“

      „Tja, wenn banale kleine Dinge die Welt verändern. Und die Flügel?“

      „Was meinst du, Lilia?“

      „Hatten die Engel-Elben wirklich Flügel?“

      „Nein, sie haben keine.“

      Richtig, hätte ich an dieser Stelle ordentlich hingehört, dann wäre postwendend die Frage fällig gewesen: Wieso haben?

      Von Natur aus mit genügend Intelligenz und einigem Geschick ausgestattet, nützten mir diese Fähigkeiten im Alltagsgeschäft herzlich wenig. Insbesondere beim Kontakt mit Fremden ging grundsätzlich jede Menge schief. Logisches Denken verabschiedete sich ebenso wie konzentriertes Zuhören oder eine sichere Hand. Umkippende Gläser, das Stammeln halber Sätze und darüber vergessend, was ich wollte, kein einziges Manko wurde im Laufe meines Erwachsenenlebens besser. Es machte mich menschenscheu. Manches Mal wünschte ich, anders geraten zu sein.

      „Wir kennen deine Schwächen und wir kennen deine Stärken.“

      „Meine einzige Stärke ist die Fähigkeit, komplett in einem Buch zu versinken“, seufzte ich.

      „Wie möchtest du sein, Lilia?“, fragten sie ganz beiläufig. Eine rein rhetorische Frage, denn sie wussten präzise, wie sie mich haben wollten.

      „Ein gutes Herz …“

      „Du hast ein gutes Herz.“

      „und ein liebenswertes Wesen sein …“

      „Das