Heinrich Pingel

Grenzgänger


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Band ´ lügt nicht. Einmal unfreiwillig Neustadt b. Coburg Ortsumgehung. Schließlich finde ich mit Hilfe von Einheimischen raus aus dem Gewirr Richtung Eisfeld. Der nächste Berg wartet. Wie wird der Akku das heute schaffen?

      Am Froschgrundsee ein nettes Ehepaar, fitte Radler im Rentenalter: „ Nein, E-Bikes brauchen wir noch nicht.“ Sie wünschen mir eine gute Fahrt. Ein Fahrrad-Haudegen, locker über 70, rät mir von der Nebenstrecke Richtung Eisfeld ab: „ zu viel Berge!“.

      In Schalkau versuche ich einen Chai in dem türkischen Imbiss zu bekommen. Ayran? Fehlanzeige. Tote Hose in dem Laden, aber nachher kommen doch noch ein paar Jugendliche und holen sich etwas zu essen.

      Fahrt nach Görsdorf, wo wohl noch ein Rest der Grenzanlagen stehen soll. Unterwegs mit einem 30-Jährigen über E-Bikes gefachsimpelt. Er war mit seinen Eltern schon überall in Deutschland, Österreich und hat sogar eine Mountainbike-Tour nach Luxemburg gemacht. Die DDR? Nur vom Hörensagen. Die junge Generation geht offensichtlich anders damit um.

      Am Ortseingang von Görsdorf noch kurze Diskussion mit einem Ehepaar meines Alters. „ Wie war das hier an der Grenze im Sperrgebiet“, frage ich. „ Alles ok, man hat sich halt daran gewöhnt. Nur bei Verwandtenbesuchen war es schwierig.“ In Steinwurfweite war der Westen. Fotosession an den Überresten der Mauer. Mein Stativ kommt zum ersten Mal zum Einsatz. In die Mauer haben Leute ein Loch reingeklopft. Symbolik.

      Über Umwege auf der westdeutschen Seite nach Eisfeld. Oben auf dem Berg befindet sich die GüSt Rottenbach-Eisfeld. Relativ kaputt frage ich in der großen Tankstelle nach, wo man hier übernachten kann. „Waldhotel Hubertus“ – Großes Hotel: Essen bitte bis 19.30 Uhr bestellen.

      Viele Tische mit Reserviert- Schildern, wie früher zu DDR-Zeiten.

      Blick auf den Froschgrundsee

      Mauerüberreste bei Görsdorf

      Nach dem Essen (Thüringer Rostbratwürste mit Sauerkraut) falle ich mit vollem Magen ins Bett. Die Schulter schmerzt gewaltig. Die Füße freuen sich, in die Badelatschen zu kommen. Von 9 bis kurz nach 11 Uhr abends im Koma gelegen. Ist es wohl alles zu viel? Was wird wohl Dors machen?

      Tag 6 (23.07.2018): Von Eisfeld nach Einöd

      km: 222 – 255

      Beim Aufstehen tun meine Knochen mal wieder weh. Frühstück ok. Ein Paar, über 60, sportliches Radler-Outfit, fährt die Werra runter bis nach Hann. Münden. Ich richte Grüße aus. Die Stadt, in der ich in den 60er Jahren zur Schule gegangen bin und einen rücksichtsvollen, jungen Klassenlehrer (Mathe und Physik) hatte. Er hat mich durchs Abi geschleust. Nach der Fünf in Englisch (Klasse 10) und der Fünf in Französisch (Klasse 12) durfte ich keine weitere haben. Natürlich auch vielen Dank an den leider nicht mehr unter uns weilenden Klassenkameraden Ulrich N., der mich nicht nur oft mit Hausaufgaben, sondern auch während der Physik-Klausur unterstützt hat…

      In Ahlstadt steht eine wunderschöne Kirche. Ich komme mit H. ins Gespräch. Frührentner, früher Bauer, jetzt trägt er mit seiner Frau morgens ab halb drei Zeitungen aus. Unterstützung bekommt er nicht angesichts seines Besitzes an Ackerflächen. Früher war es hier ruhig, total ruhig. Das einzige, was gestört hat, waren die Amerikaner mit ihren Jeeps und Panzern, aber kein Problem. Flurschäden wurden großzügig reguliert. „ Nach 1989 musste man hier alles abschließen. Im November sind die DDR-Bürger mit den Trabbis gekommen. Kilometerlange Schlangen .“ Heute jedoch keine Ressentiments, nur vereinzelt.

      Er erzählt von seiner Krankheit, Morphium, Rückenschmerzen. Keine Perspektiven und das mit Mitte Fünfzig. Das Gespräch macht mich sehr nachdenklich. Ich vergleiche seine und meine gesundheitliche Situation. Ich empfinde große Dankbarkeit.

      Grenzübergangsstelle Rottenbach – Eisfeld: Grenzturm mit Museum

      In Grattstadt mache ich eine Vesperpause unter einem schönen Nussbaum. Ab und an kommt ein Auto vorbei. Fast wie in den 60er Jahren in den kleinen Dörfern.

      Über Heldritt fahre ich nach Bad Rodach . Die italienische Eisdiele am Marktplatz gehört mir: ein Eiskaffee. Am Nachbartisch eine relativ (wohlhabende) ausländische Familie, vermutlich Flüchtlinge (aus Syrien?), fährt nachher mit dem großen, gebrauchten Volvo weg. Das deutsche Ehepaar mittleren Alters am Nachbartisch schaut mit großen Augen hinterher. Im „Netto“ kaufe ich mir eine Banane, Zahncreme und Zahnbürste, die ich bei Dietrich liegen gelassen habe. Alles ist so vertraut (im Westen).

      Auf dem Weg zur Burgruine Straufhain treffe ich einen Kollegen, einen Haibike -Fahrer aus dem Osten, der sich noch gut an die Zeiten vor der Wende erinnern kann. Alles war in den Grenzdörfern ruhig, man konnte auf der Straße spielen. „ Heute muss ich die Kinder zur Vorsicht aufrufen .“

      Auf der Fahrt nach Ahlstadt – Landschaft pur

      Kurz nach Straufdorf (das Museum ist geschlossen) treffe ich X. Weshalb habe ich wohl den Namen vergessen? Jahrgang 45, er erzählt mir eine Schauergeschichte, wie er im November 89 mit einem Kumpel beim illegalen Grenzübertritt vom Westen in den Osten von den Amerikanern und dem Bundesgrenzschutz festgehalten wurde. Im Laufe des Gesprächs („ Merkel hat einen jüdischen Polen als Vater… “) stellt sich heraus, dass er 1988 bei einem Verwandtenbesuch gemeinsam mit seiner Frau im Westen geblieben ist. Die Kinder blieben zurück im Osten.

      „ Vater war bei der SS, er musste ja irgendwo mitmachen.“ „UK (unabkömmlich, HP) als LKW-Besitzer, …die Russen haben uns dann alles weggenommen, aber Putin ist in Ordnung.“ „Die Krimbesetzung war richtig“. „Die Franzosen und die Tommys waren am Zweiten Weltkrieg schuld.“ Ein Alt- bzw. Jung-Nazi wie aus dem Buche. Anscheinend hat er aber einen Narren an mir gefressen, weil ich mich halbwegs in der Geschichte auskenne. Er begleitet mich einen Teil des Weges zur Burgruine. Verabschiedung: „ Zu guten Freunden sage ich: Sieg Heil und immer dicke, fette Beute“. An dieser Stelle wird es mir zu viel: „ Auf Sieg Heil kann ich verzichten …!“ Irgendwer muss ja die AFD oder die NPD wählen …

      Blick von der Burgruine Staufhain

      Im Turbogang des E-Bikes geht es zur Burgruine hoch. Fantastischer Ausblick. Mit dem Stativ mache ich „repräsentative“ Fotos mit Blick in alle Richtungen. Ein sportlicher Opa, ca. Anfang bis Mitte 50, kommt mit seiner Frau und den zwei Enkeln aus Hannover den Berg hoch. Alles vorbereitet: Schatzsuche und Orientierungsaufgaben mit dem Kompass. Ein Erlebnis für die Enkelkinder. Der sportliche Opa hat mit dem Fahrrad auch schon viele Touren in Deutschland etc. gemacht, allerdings ohne E-Bike, wie er stolz betont. „ Früher war alles ruhig in unserem Ort im Sperrgebiet.“

      Trauert er der alten DDR-Zeit nach? – Ich glaube eher nicht.

      Eigentlich will ich da oben die Nacht verbringen (weshalb habe ich überhaupt das Zelt mitgenommen?). Aber dann habe ich doch Manschetten bekommen und auch nicht genügend Wasser dabeigehabt. Also, den steilen Berg wieder runter und auf die Suche nach einer Unterkunft. Es ist mittlerweile sechs Uhr und der Asphalt der Landstraße reflektiert die Hitze des Tages (gut über 30 Grad). Die Autofahrer von West nach Ost (HBN – Hildburghausen) rasen nach Hause. Für mich noch alles etwas unwirklich, wenn man 40 Jahre lang die Grenze als nahezu undurchlässig erfahren hat.

      Auf der letzten Rille komme ich in der Country-Scheune in Einöd mit seinen laut Wikipedia 43 Einwohnern an. In einem Haus an der Landstraße haben sie noch ein kleines Zimmer unter dem Dach. Als das Haus gebaut wurde, war Dachisolierung wohl noch ein Fremdwort… es ist brütend heiß. Dafür ist