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Bauen e. V. – Verein zur Förderung von interkultureller Verständigung verbringe ich seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten einen gewissen Teil meiner Freizeit gemeinsam mit den Freund/innen und Kolleg/innen des Vereins.

      Gespräch mit einem ehemaligen Maurer über das Leben im Osten und Westen, früher und heute. Früher habe es im Osten mehr sozialen Zusammenhalt gegeben.

      …Durch einen Tannenwald geht es bergab. Der kleine Pfad ist mit Steinen und Wurzeln übersät. So lege ich mich zum ersten Mal mit dem Fahrrad hin. Ich stürze vom Rad, rolle gekonnt wie ein Stuntman ein paar Meter den Waldboden herunter – nichts passiert! Dors macht ein Foto zur Dokumentation des Sturzes… und schmunzelt.

      Altvaterturm: Sturz - Das ging schief bei der Abfahrt

      In Lehesten kommen wir an dem Historischen Schieferbergbau, einem technischen Denkmal, vorbei. Dors ist wieder in seinem Element. Leider ist eine Führung erst um 14.00 Uhr möglich. Ich kaufe mir eine kleine Schiefertafel mit Schwamm und Lappen. Erinnerungen werden wach an die Einschulung im Herbst 1955 in Röhrig, als wir unsere ersten Schreibversuche auch noch auf der Schiefertafel unternahmen. Lappen zum Abwischen der Buchstaben nicht zu vergessen.

      In Steinbach an der Haide fällt uns mitten im Ort der wunderschöne und große Blumengarten ins Auge, dessen Parzellen sich die Dorfbewohner teilen. Andreas Kieling hat ihn, glaube ich, auf seiner Reise entlang der deutsch-deutschen Grenze in seinem Buch `Ein deutscher Wandersommer´ ebenfalls beschrieben. Ich spreche mit einer älteren Dame. Die Nachbarin, eine Frau – ist es die, die er in seinem Buch abbildet? – gibt bei unserem Anblick Fersengeld.

      Blick auf Schiefersee in der Nähe von Lehesten

      Wir fahren runter bis ins Tal zur Einöde Falkenstein, wo sich bis in die sechziger Jahre die Bayrische Bierbrauerei Karl Schneider befand. Mitten durch den Gebäudekomplex verlief die Grenze zwischen BRD und DDR. Ein rotes Auto steht auf der Veranda. Wie ist es da hingekommen und haben wir es hier mit Kunst am Bau zu tun? Ein Gedenkstein erinnert an die Öffnung der Mauer im Jahre 1989.

      Parallel zu Straße und Bahn, auf Radwegen fahrend, kommen wir nach Probstzella. Das Grenzmuseum im Bahnhof ist geschlossen, nur noch mittwochs sowie samstags und sonntags geöffnet. Ein Symbol für das nachlassende Interesse an der deutsch-deutschen Geschichte? Dors erfährt von einem coolen Jugendlichen, dass das `Haus des Volkes´ in Probstzella zwar ein Hotel sei, aber dass er da wohl nicht reinkommen würde. Ein beeindruckendes Gebäude im Bauhausstil. Wir trinken Kaffee und essen verschiedene Sorten Kuchen. Noch geht es uns gut.

      Haus des Volkes in Probstzella – Bauhausstil

      Nun treten wir gegen halb vier den Rest unserer Tagesreise nach Tettau zu Dietrich Schütze und seiner Frau Angelika an. Wir verpassen den Weg zur Burg Lauenstein und fahren vom Ort Lauenstein eine 13-prozentige Steigung 5 Kilometer weit rauf. Ich im Turbo. Dors schiebt mindestens den halben Weg. Er kommt in einem erbärmlichen Zustand auf der Bank mit der schönen Aussicht, wo ich es mir gemütlich gemacht habe, an. Mein Akku ist dafür fast leer. Wir fahren bzw. schieben weiter. Im Wald muss ich etwas ausruhen … Ich lege mich am Straßenrand auf ein Stück Rasen und strecke alle Viere von mir. Ich bin total platt…

      An der nächsten Weggabelung fahren wir in Richtung Thüringer Warte in der Hoffnung, die Gaststätte „Zum Löwen zu finden. Akku aufladen! Es ist aber die verkehrte Richtung. Also zurück! Mit letzter Kraft, zum Glück rollt es bergab, kommen wir auf einem modernen Gehöft bei Ebersdorf an, wo uns eine junge Bäuerin Strom-Asyl gewährt. Eine Stunde Zwischenstopp und viele Informationen über Viehwirtschaft. Die 14 Tage alten Kälbchen saugen an den Fingern. Das kitzelt fürchterlich! Bin ich das Ersatzmuttertier?

      Lauenstein: 13 Prozent Steigung auf 5 km – Wir sind beide total fertig

      Dann geht es noch einmal für einige Kilometer bei 11 Prozent Steigung die Frankenwaldhochstraße bergauf, bis wir auf der Höhe sind. Ein großes Kreuz mit Stacheldraht. Daneben am Rennsteigweg Hinweisschilder auf ein Gehöft, das sowohl zur DDR als auch zur BRD gehörte. Bewohner hatten wohl beide Ausweise. Irgendwann wurde es geschleift, abgerissen.

      Über Klein-Tettau strampeln wir nach Tettau. Es ist mittlerweile kurz nach acht Uhr. Noch einmal 16 Prozent Steigung, allerdings zum Glück nur 1,5 Kilometer, und wir sind endlich auf dem Wildberg 18 angelangt! Begrüßung durch Dietrich. Hier war ich mit Otto Buchholz, meinem leider viel zu früh verstorbenen Freund und Kollegen, im Jahre 1992 schon einmal, als wir von Eisenach den Rennsteig entlanggewandert sind.

      Erinnerungen an gemeinsame Zeiten mit Otto Buchholz. Weshalb Dietrich und Angelika sowie eine Reihe anderer alternativer, linker Aussteiger aus dem Rhein-Main-Gebiet 1975 hier in die Einöde, in die Wildnis, keine 50 Meter von der Grenze entfernt, gegangen sind… – sehr spannend und beeindruckend. Natürlich fragen wir ihn auch nach den Ereignissen im November und Dezember 1989. Nähere Einzelheiten erfahren wir auch aus dem Brief an seine Geschwister, geschrieben im Dezember 1989, in dem er die großen Veränderungen detailliert und in beeindruckender Weise aus persönlicher Sicht beschreibt. Ein wirklich zeitgeschichtliches Dokument der Wendezeit.

      Am Abend lassen wir uns dann im „Anno Domino unten im Ort eine herrliche Pizza schmecken und führen ein sehr interessantes und differenziertes Gespräch mit der jungen Kellnerin. Sie ist in Lehesten geboren und im Alter von 7 Jahren mit ihrer Mutter hier nach Tettau in den Westen gekommen. Bei den jungen Leuten gebe es keine Unterschiede, sagt sie. Kinder aus Tettau gingen in das thüringische Neustadt bzw. Sonneberg in die weiterführenden Schulen und nicht in das bayrische Kronach.

      Die Pizza war wohl doch zu fettig: mitten in der Nacht Sodbrennen. Die Knochen tun weh, die Muskeln sind angespannt. Das war bisher der körperlich härteste Tag – 60 km Berg hoch und Berg runter. Wir fahren zukünftig immer mit der Angst, dass der Akku nicht lang genug hält.

      Tag 4 (21.07.18): Von Tettau nach Sonneberg.

      km: 156 -192

      Morgens muss es schnell gehen. Ich hänge mit meinen Tagebuchaufzeichnungen hinterher – wie so oft mit vielen Dingen in meinem Leben. Ich versuche immer zu viele Sachen gleichzeitig zu erledigen. Vollgestopft mit Erlebnissen und Eindrücken, körperlich abends so richtig schön ausgelaugt, dass es nur für ein Bier und ein kräftiges Essen reicht. Total ermattet falle ich dann ins Bett, das sich mir gerade anbietet. An Tagebuch schreiben nicht mehr zu denken.

      Am nächsten Morgen Frühstück mit Dietrich Schütze, der aus seinem bewegtem Leben erzählt, von den Anfängen der Kommune Wildberg in Tettau, der Zeit in Frankfurt im Revolutionären Kampf , von dem Leben in der Kommune, wechselnden, aber auch stabilen Beziehungen, die das ganze Leben bestehen und gegenseitigen Halt geben. Vor ein paar Monaten sind auch Beiträge über die Anfangszeit und Geschichte der Wildberg-Kommune erschienen, die u. a. der FOCUS Online nachgedruckt hat, so z.B. „ Auch Revoluzzer werden älter: So erging es den Bewohnern, als sie aus der Kommune auszogen “ (19.04.2018) und „ Sex´n´Drugs´n Rock and Roll in der Provinz? Als die Studenten auf dem Land Kommunen gründeten “ (20.04.2018) So werden die 70er und 80er Jahre im Frankenwald noch einmal lebendig.

      Wir treffen am Morgen auch Angelika, Dietrichs Frau, die uns ihre mehr als dreißig gewebten Wandteppiche und ihren Webstuhl zeigt. Sie gibt mir einen Einblick in ihre Denk- und Arbeitsweise. Es entwickelt sich ein sehr persönliches Gespräch über unser beider Leben, die Erfahrungen der Kindheit und der Jugend. Sie überreicht mir ein Geschenk: ihren Gedichtband „ … ob es mir denn entgangen, dass ich geweint hab …“ (amicus verlag, 2010) mit einer sehr persönlichen Widmung und guten Wünschen für die weitere Reise. Ich bin berührt.

      Dietrich führt uns im anderen Teil des sehr großen Bauernhauses durch die verschiedenen Räume,