Margrit Lange

Mails von Marge


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ich hier nicht. Wir setzten uns mit den Getränken auf die Terrasse. Ich bekam als Strafe für meine Hühnergedanken Plörrkaffee. Meine Blase drückte urplötzlich auf: Müssen. So blieb mir nichts anderes übrig, als das kleine Häuschen mit WC-Schild, das neben der Terrasse stand, aufzusuchen. Ein luftiges Gebäude, für die Luftzirkulation gab es zwischen Mauer und Dach gewerkefreien Raum. Also offen. Luftzirkulation hatte nichts mit geruchsfrei zu tun, so fanden die Insekten blind ihren Camino. Es waren viele auf der Insektenpilgerautobahn unterwegs und hatten hier ihr Etappenziel erreicht.

      Durch die leckere Rast unserer Chevaliers animiert, wollten wir noch Vorräte einkaufen und verließen den Campingplatz durch das untere Tor. In der stickigen Mittagshitze durchliefen wir den Ort. In und vor den Häusern rührte sich nichts. Das gab den Tag nochmal ordentlich extra Kilometer, denn dieser Ort war extrem langgezogen. Auch hier war ein Plaza Mayor (ein großer Platz) vorhanden. Bestückt mit Marktständen, hier trafen auch einige nicht Siesta haltende Frauen zusammen. Wir erkundigten uns noch nach einem Supermarkt, das Obst wollten wir später besorgen. Natürlich mussten wir noch weiter gehen, aber ohne Unterstützung hätten wir den Einkaufsladen nie gefunden. Suppa, denn vor dem Supermarkt gab es noch eine Apotheke. Überließ Wolfgang die Diclofenaco-Verhandlung mit dem Apotheker. Ich hielt lieber meinen Mund und blieb vor der Tür stehen. Er kam schnell mit seinen beigen Pillen wieder. Pah!! Nun aber Tempo, denn der Einkaufsladen schloss in wenigen Minuten. Ratzfatz sammelten wir Käse, Schinken, Nüsse, Wasser und Brot ein. Nur beim Nescafé war ich verunsichert, stehe, suche und gucke dumm herum. Schmiss dann schnell Nescafé-Tütchen in den Korb, denn ich spürte das Kratzen der Fingernägel der Verkäuferin auf der Kasse. Ab zum Bezahlen und hinaus – puh – geschafft.

      Wir gingen zurück zum Dorfplatz, um auf dem Markt Früchte einzukaufen. Die meisten Markthändler hatten bereits ihre Stände abgebaut. Nur ein Obst- und Gemüsestand bot noch seine Waren an. Vor mir standen noch zwei Frauen an. Die Erste in der Schlange war schnell abgefertigt und ging. Es war Mittagszeit und die Hitze stand nicht nur am Marktstand mit an. Dem Händler unter dem Sonnenschirm machte sie nichts aus. Aber mir, im prallen Sonnenschein wartete ich. Die kleine pummelige Frau vor mir verlangte nach Paprika, Tomaten, Gurken, Kartoffeln, Aprikosen, Apfelsinen. Sie fasste die Waren an, ließ Gemüse wieder zurücklegen. Beäugte, was sie noch brauchte. Ich schmorte hinter ihr in der sengenden Sonne. Sie war aber noch längst nicht fertig. Sie brauchte auch noch Bananen und Äpfel. Nein, diese Äpfel nicht, die anderen Früchte wollte sie lieber haben. Gleich fall ich um, ging mir durch meinen ungestylten Kopf. Endlich zückte sie ihr Geldtäschchen, bezahlte und verließ schwer bepackt den Marktstand und ich konnte Bananen, zwei Apfelsinen und zwei Äpfel ordern.

      Ab dem Dorfplatz war kein Mensch mehr zu sehen, auch kein Pilger. Wir liefen durch die unbelebten Straßen zurück zum Campingplatz. Wollten durch das obere Tor, denn dort standen die Bungalows. Toll, das Tor war geschlossen. So mussten wir den großen Platz umkreisen. Vor dem Haupthaus war die Einfahrt für die Mobile und Campingfahrzeuge. Vor dem dort geschlossenen Tor wartete noch ein Wohnmobil. Zum Glück gab es noch eine kleine Tür, durch die wir auf das Gelände kamen. Ich ging noch in das Haupthaus, um nach Butter und Dosenmilch in Miniportionen zu suchen. Statt der gesuchten Lebensmittel lagen hier Puppen, Bierkrüge und viele Dinge, die wir nicht benötigten. Nun mussten wir wieder an den ruhebedürftigen Campern vorbei zum Bungalow. Was erlaubten wir uns bloß, in der Mittagszeit schweigend an den Campern vorbeizulaufen, wie dreist von uns. Vielleicht raschelten die Einkaufstüten zu laut. Wir sollten den Campern mal eine “Runde Wiener Würstchen“ vorbei schicken, dann hätten sie auch einen Grund, ihr Campernäschen zu rümpfen.

      Nach Bewältigung des steilen Weges, stellten wir fest, dass vor einem Bungalow ein Geländewagen stand. Der Gärtner bewohnte den vorderen Bauwagen-Bungalow. Er hatte nicht nur sein Fahrzeug, sondern auch den Rasensprenger am Weg abgestellt. Hätte nichts dagegen gehabt, wenn er die Wiese hier gemäht hätte. Aber nun wurde der Weg, der zu den Butzen führte, mit dem Rasensprenger schön matschig gewässert. Wehe ihm, sollte er den Sprenger weiter zu unserer Wäsche tragen. Unter einem Baum, vor unserer Unterkunft, genossen wir die erstandenen Apfelsinen. Unsere Blicke verfolgten, wie das Sonnenlicht, durch Schleierwolken hervorgerufen, die Farbe des Mohns auf einem weiter entfernten Feld veränderte. Ein Augenschmaus.

      Apfelsinen hin oder her, unweigerlich meldete sich, trotz der Hitze, bei uns der Hunger nach nahrhafter Ergänzung. Im Haus am Campingplatz wollten wir nicht essen. Abermals an den Ruhebedürftigen vorbei, denn das obere Tor war immer noch verschlossen, verließen wir das Gelände. Und nahmen die Bar, die wir am Ortsanfang gesichtet hatten, in der Hoffnung, dass der Weg kürzer wäre, ins Visier. Leider ist es eine Albergue, wo man maximal Getränke ordern konnte. Taten wir auch und liefen den ganzen Weg zurück, nachdem wir uns Cafe und Cerveza einverleibt hatten.

      Wieder den Abhang hinauf, führte uns der Weg, am Campingplatz-Areal vorbei, in das Dorf hinein. Ich will überhaupt nicht mehr laufen, ich möchte essen und dann in Bett. Leider rückte der Zeiger der Uhr nur träge vorwärts und der Gong der spanischen Essenszeit hatte noch lange nicht zugeschlagen. Wir möchten aber zuhauen, und zwar mit Messer und Gabel in Essbares. Vor einem Lokal ist ein großer bestuhlter Platz. Wolfgang geht in das Restaurant, erfragte die Essenszeit und rief mir zu, dass in einer halben Stunde die Küche angeheizt wird. Er verschwand wieder im Lokal.

      Ich bekam noch ein Bier auf dem Platz vor der Bar serviert und der Wirt setzte sich zu mir. Er sprach mit mir spanisch, klar sind ja auch in Spanien. Viel von dem, was er mir erzählte, verstand ich auch. Ja – ja, Hape Kerkeling wäre ja auch in seinem Restaurant gewesen, hätte sich sogar in sein Gästebuch eingetragen. Dann hätte Hape ja auch ein Buch geschrieben und 2006 begann der Run auf den Pilgerweg. Viele – viele Menschen würden den Weg jetzt laufen. Aber den Anwohnern hier hätte das nichts gebracht. Ganz im Gegenteil, er war sehr wütend auf Hape. Millionen würden das Buch lesen, 200.000 Menschen wären im Jahr 2010 den Camino gelaufen. Und, ich sollte mich umschauen, wo sind denn die vielen Leute? Hier in seiner Bar? Nein, er merke überhaupt nix von den ganzen Pilgern. Stimmt, wir sind hier weit und breit die einzigen Gäste. Es läuft auch keiner an dem Lokal vorbei, es ist wie ausgestorben. Die meisten Pilger wollen weder für Unterkunft noch für Verpflegung viel Geld ausgeben. Für eine Spende lagern und essen sie dann in den Refugien. Der Trendsport von einigen Pilgern könnte auch heißen, ich bezahl nach Möglichkeit nix, was leider in Gesprächen vor den Alberguen bestätigt wurde. Ich merkte noch an, dass die Filmrechte an dem Buch verkauft wurden und bestimmt bald Filmaufnahmen auf dem Weg stattfinden würden. No - no, dass will er weder glauben noch hören. Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht.

      Wolfgang hatte die Innenräume ausgiebig inspiziert und mit der Kamera abgelichtet. Winkend zeigte er mir an, ich sollte hinein kommen. Noch irritiert von der Unterhaltung folgte ich seinem Handzeichen und betrat das Restaurant. Im vorderen Raum standen Tische aus Marmor mit Eisengestellen und passenden schwarzen Stühlen. Die Decke war mit in Folie verpackten Geldscheinen aus aller Welt verziert. Wir wurden in einen weiter hinten liegenden Raum, in dem Holz Vorrang hatte und die Tische schon eingedeckt waren, gebeten. Außer uns befand sich nur ein großer Hund, ich glaube er hieß Dali, in dem Gastraum. Gelangweilt strich er durch den Raum. Man konnte von unserem Platz in die halboffene Küche sehen und ein verführerischer Gewürzduft versprach, hier schmeckt nicht nur der Wein. So war es auch, unsere Gaumen jubelten über das geschmackvolle Essen. Verwöhnte Bande. Was wir denn als Dessert haben möchten, fragte die Wirtin, Eis oder Obstsalat. Och, Obstsalat hört sich gut an. Sie klaubte aus der im Raum stehenden Obstschale Früchte und ging wieder in die Küche. Nach dem leckeren Obstsalat noch einen Cafe. Liebend gern zahlten wir 10,00 € für dieses reichhaltige Pilgermenue, wir möchten auch nicht umsonst oder fast umsonst essen, sondern lieber gut.

      Satt und zufrieden verließen wir das Lokal. Vor dem Restaurant treffen wir einen nach Nahrung suchenden Josef. Wir drei fallen uns vor lauter Freude in die Arme. Josef konnte unserem schwärmerischen Bericht über das Essen in dem Restaurant nicht widerstehen. Zack, saßen wir auch schon wieder im Lokal, das wir eine Minute zuvor verlassen hatten. Der Wirt dachte bei unserem abermaligen Erscheinen bestimmt an den Film “Und täglich grüßt das Murmeltier“. Er guckte uns jedenfalls so an.

      Wir hatten eine Menge zu schnattern. Wir waren gemein und erzählten Josef von unserem Aufenthalt in dem netten Hotel in Isar, während er in der Albergue