Margrit Lange

Mails von Marge


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glänzende Badetasche über der Schulter. Seine Säbelbeine steckten in weißen Billigkunststoffschuhen und rundeten das Bild ab. Sein Begleiter trug auch ein orangenes T-Shirt, war aber sonst nicht augenauffällig. Wir Paarläufer gingen an ihnen vorbei. Die Wiener hängten sich an unser Tempo und quatschten. So als wenn wir sie an der Leine führten, folgten sie uns in einem sieben Meter Abstand. Der Weg verlief eben, man könnte zur Ruhe kommen und die Gegend genießen. Wenn, wenn man nicht von zwei Labertaschen verfolgt würde. Wiener Schmäh? Ich mag diesen Dialekt nicht. Prinzessin trat auf Erbse, oder auf zwei Erbsen, orangene Erbsen. Nach einer halben Stunde fühlte ich, wie mein ganzer Körper sich in eine Pershing Rakete verwandelte. Ich pustete an der glimmenden Zündschnur. Zwecklos, ich wurde gezündet und ging ab. Ich drehte mich wutentbrannt um und grölte: „Einfach mal die Fresse halten. Man, wir sind hier auf dem Jakobsweg, da kann man auch mal ruhig sein und sich auf die Natur einlassen.” Badetasche meinte nur: „Geht doch schneller.”

      Die Wiener Würstchen lassen sich ein Stück zurückfallen und wisperten nur noch. Schon während der Explosion tat mir mein Ausbruch leid, da war es aber schon zu spät. Später im Bus werden die Beiden erzählt haben, dass pilgern wohl doch nichts mit Gelassenheit und Friedlichkeit zu tun hat. Pah!

      Wir stiefelten an einer ca. 30-jährigen Frau vorbei, sie lief schwer atmend nach vorne gebeugt. Ich fragte, ob sie Hilfe brauche. Mit leidendem Blick antwortete sie, nein, alles wäre in Ordnung. Jeder presste hier auf dem Camino seine allerletzten Reserven aus dem Körper, sogenannte Grenzerfahrungen. Die Erbsenprinzessin hatte es nur mit den Ohren, die hörten zu gut. Ein Vogel saß auf dem Weg. Seine gelben Bauchfedern und seine grünen Flügel waren gesprenkelt. Einer erzählte später es wäre ein Bienenfresser gewesen, das stimmte aber nicht. Im Internet versuchte ich den Vogel zu finden. Es könnte eventuelle ein Girlitz gewesen sein. So plötzlich, wie er dort saß, war er auch schon wieder entflogen. Schade, dass Wolfgang den Fotoapparat nicht zur Hand hatte, er hatte den Vogel noch nicht mal gesehen. Oder hatte nur ich einen Vogel?

      Auf dem Camino hatte ich schon meine Irritationen. Während ich lief, hörte ich aus dem Randstreifen des Feldes, ein glucksendes Piepen. Es blieb in der gleichen Lautstärke und begleitete mich. Blieb ich stehen, hörte es auf, ging ich weiter, begann auch wieder die Feldrandmelodie. Nein – nein, es waren nicht die Würstchen, das war während einer anderen Etappe. Ich weiß aber nicht mehr, wo das war.

      Auf der rechten Seite des Weges war das Korn schon sehr hoch gewachsen. Ein leichter Wind bewegte das Getreide. Wie von einer Hand gestreichelt, bog sich das Korn leicht zur Seite und wurde zu silbrigen Wellen, die über ein grünes Meer rollten. Nun mussten wir leider diesen bezaubernden Weg verlassen. Es ging nun 1,7 km auf einer Landstraße entlang. Kurz nachdem wir auf die Allee gelangten, trafen wir die Pusteblume aus Isar wieder. Sie hatte hier auf einer Plastikplane, direkt an der stark befahrenen Straße, ihre Pilgerrast verbracht. Verstanden wir nicht, vielleicht brauchte sie das Brummen der vorbeidonnernden Motoren. Denn rücksichtsvoll fuhr hier keiner.

      Wir schnackten mit der Frau noch ein paar Sätze, da kamen die Wiener vorbei. Die Badetasche entschuldigte sich bei mir. Hm – hätte ich mich nicht entschuldigen müssen? Aber sie stiegen ja gleich in ihren Miefbus und wir würden sie nicht mehr treffen. Die französische Pilgerin (Burgosbus) konnte ich von Weitem erkennen. Sie trug einen Stick, an den ausgestreckten Armen haltend hinter dem Körper und die helle um die Hüften geschlungene Jacke tanzte dazu von links nach rechts. Wir machten uns auf dem Seitenstreifen so schlank wie möglich, damit wir nicht eine unfreiwillige Autofahrt unter den entgegenkommenden Autos mitmachen mussten.

      Wir hatten die Ruine des Klosters San Antón erreicht. Ein Teil der Ruine war ein ca. 30 Meter hohes Halbrund. In einer Vertiefung dieser Mauer stand eine vierzig cm kleine Jakobuspilgerfigur. Eine Steinplatte, auf einem Sockel liegend, wurde durch eine große Kerze und Öllämpchen verziert. Davor stand ein Ghettoblaster und spielte klassische Musik. Seltsamerweise wirkte die Szenerie, trotzt Ghettoblaster, auf mich sinnlich.

      Die Ruinen des Klosters San Antón bestanden aus mehreren Teilen, sodass sie einen großen Platz einrahmten. Es gab Bänke, zwei Tische mit Plastikstühlen und der Boden war mit Heu und Kiesel abgestreut. Oh man, wer saß denn dort, unsere Chevalier´s. Sie machten uns mit Handzeichen klar, dass wir uns zu Ihnen an den Tisch setzen sollten. Der Weißhaarige hatte wie immer ein blütenweißes Halstuch umgelegt. Sie hatten ihre Leckereien ausgebreitet, Bananen, Käse, Nüsse und Brot. Ihre Füße hatten sie nicht von den Stiefeln befreit. Vielleicht war das Thema Blasen mittlerweile für sie erledigt. Dann holte der Weißhaarige Becher aus dem Rucksack und eine Wasserflasche. Im Gegensatz zu unserem durchsichtigen und klaren Wasser, war ihr Wasser in einer grünen Flasche und dunkel. Nun kannte ich auch das Geheimnis ihrer guten Laune. Man tausche Wasser mit Wein. Die französische Lust zu leben. Sie boten uns Wein an, aber wir lehnten lachend ab. Mensch, dann wäre ich ja gleich betüddelt gewesen. Wir blieben lieber bei Bananen und Wasser.

      Französisch empfinde ich als klangvolle Sprache, höre ich gerne, aber verstehen tu ich nix. Wolfgang versucht es mit englisch, aber da sind die beiden halt echte Franzosen, da geht mal gar nix. Ein büsschen französisch bin ich auch, kann auch nur eine Sprache. Wieso macht das bei Franzosen nichts aus, aber bei mir? Ungerecht. Ich mag die beiden Fröhlichen, es ist bestimmt nicht nur der Wein. Dann versuchten wir uns noch mit Gebärden zu verständigen. Die Chevalier´s wollten auch bis Santiago de Compostela laufen. Der Weingeist, aus der grünen Flasche, wird sie als “höhere“ Instanz begleiten. Mit dem üblichen Pilgerspruch verließen wir die Beiden und machten uns auf, die gedehnten Restkilometer abzustiefeln.

      Unterwegs trafen wir den Lockenkopf, mit der mütterlichen Ärztin, aus Atapuerca. Ich erzähle ihm von unserem Desaster, dass es in Burgos kein Diclofinac gab. Er sagte, die heißen doch Diclofenac und zog dabei eine Pillenpackung mit kleinen, beigen Pillen aus der Hosentasche. Hm – Apotheker – hm – haben aber auch immer Recht. Das nächste Mal werde ich einen Apotheker fragen, wo man denn gut essen könnte.

      Es ging weiter auf der Landstraße, bis wir endlich abbogen und in Castrojeriz einzogen. Am Ortsanfang sahen wir Sonnenschirme und Stühle. Aha, eine Albergue mit Bar. Wir wanderten vorbei. Lasen noch im Pilgerführer nach, dass Gästezimmer in der improvisierten Touristeninfo im Rathaus erfragt werden könnten. Leider stand dort auch der Hinweis “unsicher“. Nun waren wir verunsichert. Vor uns befand sich der Campingplatz und der hatte sein Tor weit geöffnet.

      Wir nahmen die Einladung an. Innerhalb des riesigen Areals verlief ein Sandweg hinab zu den Campingplätzen. An den unter Bäumen stehenden Wohnmobilen und sonstigen Campinganhängern vorbei, an einer Halle in denen sich die Pilgergemeinschaftsunterkünfte befanden entlang, gingen wir zu einem größeren Gebäude. Hier war die Anmeldung, eine Bar, ein Minisupermarkt und Restaurant. Wir fragten nach Zimmern (eigentlich eine witzige Frage nicht?), sie hätten noch einen Bungalow frei. Wir nickten artig mit dem Kopf, als er uns fragt, ob wir den nehmen wollen. Es würde uns gleich jemand hinbringen. Ein Mitarbeiter fuhr uns mit dem Auto zu dem Bungalow. Es war genau der Weg, den wir zu Fuß hinab gelaufen waren.

      Oben angekommen schaute ich mich suchend um, nach Bungalows. Hier nennen sich Bauwagen Bungalow, wusste ich auch noch nicht. Auf einer großen Wiese standen vier Bungalows. Stühle und Tische waren auch vor den Unterkünften vorhanden. Wir stiegen, mit dem Schlüssel bewaffnet, die drei Stufen hinauf und öffneten die Tür. Es gab nicht nur eine Küche mit Wohn- und Essecke, ein WC, ein Bad, sondern auch zwei Schlafräume. Es war alles vorhanden, trotzdem strahlte diese Zweckmäßigkeit eine gewisse Kälte aus. Aber genug Raum, um überall die Utensilien zu verteilen. Damit wir auf dem Weg nicht versifften, folgte wie üblich der Körperreinigung auch das Wäschewaschen. Schaute aus dem Fenster und entdeckte am Ende der Wiese Leinen zum Aufhängen. Leider war das Gras auch um die Wäscheleinen wadenhoch. Ich machte Ballettübungen, auf Zehenspitzen fummelte ich die Wäsche mit Sicherheitsnadeln an die Leine. Warum im Spitzentanz? Ganz einfach, ich hasse Zecken wie die Pest.

      Nun wollten wir noch im Haupthaus etwas trinken. Wir gingen den Abhang wieder hinunter und an den Wohnmobilen vorbei. Davor und daneben saßen die Camper. Missbilligende Blicke folgten uns den Weg entlang. Wir störten ihre Ruhe, wobei viele von ihnen bald mehr Ruhe haben werden, als sie möchten. Und zum Vorbeischweben fehlte uns der Flugschein, den hatten wir wegen Übergewichts nicht erhalten. Meine Augen