Margrit Lange

Mails von Marge


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war, sondern man sich auch prima verlaufen konnte. Hier ein Raum, dort ein Winkelchen. Schnell war die Orientierung verloren. Meine Augen suchten Kerzen, sie haben keine gefunden, nur diese blöden Elektrokästchen. Nö, die wollte ich nicht füttern. Ich schaute mir Orgeln ja gerne an, solange sie nicht gequält werden, die in der Kathedrale von Burgos hat nicht nur hoch gebaute Pfeifen, sondern wie Posaunen aussehende ”Querflöten“. Es fehlten nur die Engel dahinter und für mich waren sie auch zu hoch angebracht.

      Nach dem Besuch der Kathedrale schnell noch ins Hotel, um unsere Einkäufe in unserem ”Salon“ abzulegen. Zweimal gingen wir über la Plaza Mayor, es strömten immer mehr junge Leute zusammen, sie demonstrierten gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für gerechtere Bezahlung. Der Ausgang der Wahl in der Region Burgos hatte sie auf die Straße getrieben. Wir trafen die Aachenerinnen auf dem Platz, sie wirkten sehr abgehetzt und waren auf der Suche nach einem Laden, wo sie die benötigten Seiten aus dem Führer kopieren könnten. Wir schlenderten zur Kathedrale und suchten uns einen Platz auf der Mauer im durch Bäume gespendeten Schatten. Während wir auf die anderen warteten, sah ich in einiger Entfernung die Delfter Kachel hin und her huschen. Es war wohl der Tag des Suchens, die einen suchten einen Copy-Shop, die andere suchte die, die den Copy-Shop suchten.

      Josef kam und setzte sich zu uns, wir suchten nicht, wir warteten. Dann kamen die beiden Aachenerinnen. Duschen hätten sie sich schenken können, sie landeten völlig genervt bei uns an. Kein einziger Laden würde Fotokopien anfertigen, nun müssten sie eben alles abschreiben, was sie noch als Hinweise für die Rückfahrt benötigten. Gesagt, getan. Sie schrieben das Wichtige aus dem Führer ab. In der Ferne tauchte die Holländerin auf, Marianne schon halb auf dem Weg zu ihr, um ihr den Outdoor zu bringen, bemerkte noch, sie werde die Kachelbluse fragen, ob sie mit zum Essen kommen möchte. Drei Köpfe schütteln sich energisch, man konnte es auch als – ach nö - ansehen, Marianne sah es leider nicht. Sie flitzte zur Holländerin und auch wieder zurück, nein, sie kommt nicht mit. Hörbares Ausatmen der Erleichterung von uns.

      Wenn man sich in einer größeren Stadt aufhält, ist der Ort der Pilgerspeisung schwieriger. In den Dörfern kein Problem, eine Bar, ein Pilgermenu fertig, keine weitere Diskussion. Wir streiften hungrig durch die Gassen. Mit den Worten: „Ich frag mal“, entschwand Marianne wieder. Carola meinte, sie würde jetzt einen Apotheker fragen. Das wäre mein allerletzter Einfall, ausgerechnet einen Apotheker. Es dauerte und dauerte, sie kam nicht zurück. „Na, vielleicht hat sie sich ja wieder in den Apotheker verliebt, denn könnte es noch ein Weilchen dauern“, bemerkte Carola. Sie kam mit einem Zettel in der Hand zurück, nannte das Restaurant. Auf die Frage wo das Lokal den wäre konnte sie aber leider nicht antworten.

      Wir schauten uns weiter um, meinten bei einer Bar, mit eingedeckter Terrasse im Schatten, das sieht doch gut aus und nahmen Platz. Einige Tische entfernt saß auch unser ”Erstpilgerpärchen“, hatte sie schon vermisst. Schnell hatten wir uns über das – wer und was – entschieden. Die Mädels warfen sich gegenseitig die Erzählbälle zu. Nachdem sie sich bei dem Trauerseminar kennengelernt hatten beschlossen sie gemeinsam über den Jakobsweg zu pilgern. Angefangen hatten sie 2006 und sind durch Frankreich gelaufen. Oft wäre ihnen stundenlang kein Mensch begegnet. Marianne meinte sie würde aber immer von ihrem Mann begleitet, öffnete ihre Tasche und zog ein im Silberrahmen gefasstes Kleinformatfoto heraus. Auf dem Bild lachte fröhlich ein bebarteter grauhaariger Mann. Er war Maler und musste seine Heimat Persien nach dem Umsturz verlassen. Sie hatten früher immer viele ausländische Künstler zu Gast in ihrer Wohnung. Sie warf noch einen zärtlichen Blick auf das Bild und steckte es wieder ein.

      Josef erzählte dann seine Geschichte und war untröstlich. Ich möchte sein Erlebtes hier nicht erzählen. Ich glaube, er möchte es nicht. Für mich ist Josef von Beginn an ein ganz besonders liebenswerter Mensch, aus ihm strahlt so viel menschliche Wärme und ich möchte ihn nicht verletzen. Vielleicht waren auch die mitgeteilten Schicksalsschläge der anderen ein Wink an uns, mit dem eigenen kostbaren Leben sorgsamer umzugehen. Man sollte öfter innehalten und begreifen, was das wirkliche Glück ist.

      Jeder an unserem Tisch schien sich einige Minuten seinen Gedanken zu überlassen. Der Wein und das Wasser wurden gebracht. Der Wein lockte uns aus der Reserve und lockerte die Zunge. Mit ihr fuhr Marianne dann auch wieder fleißig über die breiten Lippen.

      Carola und Marianne pilgerten seit 2006 immer jeweils 14 Tage im Frühjahr und Herbst. Als sie durch Frankreich liefen, hörten sie neben dem Weg ein zartes Maunzen. Sie sahen im hohen Gras nach, was denn dieses Geräusch verursachte. Dort hätte ein nur ein paar Tage altes Kätzchen gesessen. Eine kleine weiße Miezekatze mit schwarzem Schwanz, die Ohren hatten auch schwarze Spitzen. Carola hätte dann aus ihrem umgebundenen Frotteehandtuch eine Tasche geformt und das Kätzchen so getragen. Im nächsten Ort wurde dann Aptamil (geht auch für menschliche Säuglinge)und eine Puppennuckelflasche mit Liebesperlen gekauft. Die Liebesperlen wurden mit der Babynahrung ausgetauscht und die Mieze gefüttert.

      Die Beiden versuchten bei den am Weg liegenden Bauernhöfen das Kätzchen unterzubringen. Keiner wollte Mieze, sie gaben aber die Empfehlung es beim Tierheim zu versuchen. Ja – ja, das kannten sie, hatte die Miezekatze erst eine Pfote im Tierheim, dann war´s das auch mit der Katze, das wollten sie auf keinen Fall. Was nun, in Herbergen sind mitgebrachte Tiere nicht erlaubt. Sie kauften eine Bauchtasche, legten die Tasche mit ”Tinas-Ladys“ aus. Fütterten die Mieze, bevor sie zum Übernachten in die Albergue gingen und hofften, dass das Kätzchen die Nacht über hübsch ruhig ist.

      Sie sind tagelang unentdeckt zu dritt durch Frankreich gewandert. Somit war das Kätzchen eigentlich die jüngste Pilgerin. Jetzt ist die Katze 1 ½ Jahre und lebt bei Carola. Sie kramte ihre Kamera hervor und zeigte uns Bilder von der Samtpfote, auch die Bilder von der Zeit, als sie noch in Frankreich ein Kätzchen war, konnten wir auf dem Display betrachten. Wir kamen auf leidende Tiere zu sprechen, aufgeregt fällt mir dazu der Hund bei der Schafherde vor der Matagrande Hochebene ein. Carola und Marianne sagten aber, sie wären zu dem Hund gegangen und er hätte schläfrig geblinzelt. Na ja, selbst der beste Hütehund kann wohl nicht bei jedem der zahlreichen Pilger anschlagen – oder er war vom Bellen müde, weil dauernd jemand vorbeilatschte. Da sie auch Hundebesitzer sind, will ich mal glauben, dass dem Hund nichts passiert war.

      Josef erzählte, er hätte heute eine junge Frau wiedergetroffen. Sie war Deutsche, lebte schon seit Jahren in England und war mit Ihrem Sohn auf dem Camino. Sie lief nicht, sondern sie rannte eher. Ich beschreibe die Frau und ihren ca. 10 Jahre alten Sohn. Genau, die meinte er, sagte Josef. Genau, es war die junge Frau, die so ”nett“ unseren Frühstückstisch in Puente la Reina umdekoriert hatte. Auch an uns war die Frau, ihren Sohn hinter sich her zerrend, in einem Affenzahn vorbeigehastet. Josef berichtete, die junge Frau erzählte ihm, dass sie nur wenige Tage Zeit hätte, aber nun mit Schmerzen zum Arzt gegangen sei. Der stellte fest, dass eine Ader in ihrer Kniekehle gerissen ist und hat sie zu drei Tagen Pausen verdonnert. Tja, der Camino ist eben doch keine Rennpiste. Pah, nun war sie auch nicht schneller als wir.

      Die Mädels meinten, dass sie im Juni noch nach Hamburg reisen wollten. Natürlich gaben Wolfgang und ich noch Tipps mit auf den Weg. Nachdem uns viel einfiel, notierte ich auf einem Minizettel die wichtigsten Punkte, Fähre 62, aussteigen Dockland, rechts um die Ecke lecker Fisch essen – bloß nicht linksseitig, dort ist das teure Fischereihafen-Restaurant – wieder auf die Fähre 62, Oevelgönne - Finkenwerder.

      Gut, dass es zum Essen Wein und Wasser gab, so konnten wir unsere Gaumen mit dem Wein betäuben. Gemeinsam stellten wir fest, dass wir lange nicht so schlecht gegessen hatten. Wir gaben Carola noch eine Jakobsmuschel, die wir besorgt hatten. Sie sollte im Herbst nicht ohne geschenkter Muschel ihren Weg fortsetzen. Es wurde bereits dunkel und wir beschlossen aufzubrechen. Nach herzlichen Umarmungen trennten sich unsere Wege.

      Wir gingen wieder über den Plaza Mayor, dort war die Zahl der Demonstranten erheblich angewachsen, sie riefen ihren Unmut, durch Sprechchöre unterstützt, über den Platz. Vier Polizisten, ich wiederhole, vier Polizisten standen gelangweilt daneben. Nicht wie bei uns, wo 200 Demonstranten gegenüber von 200 Polizisten stehen und jeder nur auf den Knüppel oder den geworfenen Stein wartet. Die Polizisten trugen auch nur ganz normale Uniformhemden und –hosen. Könnte es sein, dass es hier noch so etwas wie gegenseitigen Respekt gibt?

      Am