Margrit Lange

Mails von Marge


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meinen Rucksack bei Josef vor dem Hotel liegen um Wolfgang zu holen. Gemeinsam trabten wir zum Hotel, da saß Josef am Spielplatz vor der Kirche. Ihm war es oben zu kalt geworden. Die Sonne hatte immer noch ihre Auszeit und es wehte ein kalter Wind.

      Wolfgang gesellte seinen Rucksack zu Josefs und meinem Gepäck vor dem Eingang. Auf einer Holzbank ließen wir uns nieder, ich schaute zur Seite. Dort gab es einen Bretterverschlag mit dem Hinweis Albergue, da möchte ich nicht hinein. Nach längerer Zeit kam ein Auto vorgefahren und lud Gepäckstücke aus. Das war bestimmt das Gepäck der französischen Luxuspilger. Ich nutzte die Gelegenheit, um nach freien Zimmern zu fragen. Die Frau, die uns bereits vor einer Stunde gesehen hatte meinte nur ”Komplete“, aber Albergue wäre noch frei. Och – nö.

      Wir liefen mit Josefs Rucksack bewaffnet zurück, sammelten ihn auf dem Weg ein und stellten fest, dass die Frau uns das ja gleich hätte mitteilen können, als sie uns kommen sah. Wieder an der Herberge angelangt, quakte gerade eine Frau: Wer ist denn hier der Letzte, aber man muss doch sagen können, wer der Letzte war. Das ginge hier schließlich nach Reihenfolge. Inzwischen sind die beiden Blondies (nenn sie ab jetzt so, habe vergessen woher sie kamen und ich habe nur einen Namen gehört, innerlich waren sie nicht ”blond“) die in S.D.d.l.Calzada mit Josef am Tisch saßen, auch hier gelandet. Sie wären in einen Bus gestiegen (also fuhr doch ein Bus), mitten in der Pampa mussten sie aussteigen, warum wussten sie auch nicht. Hatten telefonisch ein Taxi geordert und mussten nur für die Anfahrt des Taxis schon 17,00 € bezahlen.

      Mit der Öffnungszeit der Albergue schob auch die Sonne ihre Wolkengardinen beiseite und holte nach, was sie bisher verschlafen hatte. Mit dem Schlüsselrasseln sprangen alle auf, um ja einen Schlafplatz zu bekommen. Geduldig warteten Josef und ich bis wir als Letzte dran sind. Wir bekamen unser Doppelzimmer, Josef nutzte die Kunst des Überredens und erhielt auch alleine ein Doppelzimmer. Wir kamen in ein Extrahaus, wo es nicht nur fünf Doppelzimmer, sondern auch eine Küche und ein Esszimmer gab. Das Zimmer von uns war groß genug zum ”Auspacken“, leider gab es in der Albergue weder Essen noch Trinken.

      Schnell waren die üblichen Ankommrituale, duschen – waschen, erledigt und wir durchstreiften den Ort. In einer Bar, gemeinsam mit den Blondies, erfrischten wir uns auch innerlich. Zurück im Garten der Albergue, in der Zwischenzeit ausgebucht, waren die Sitzmöglichkeiten knapp. Setzte mich in den Schatten hinter dem Haus zu Josef auf die Holzbank. Er trug die üblichen Pilgersandalen und meinte, nun täten ihm nicht nur die Beine weh, nein, er hatte auch an der Spitze des mittleren Zehs eine fiese Blase. Er hätte den Fehler gemacht und war vorm Pilgern bei der Fußpflegerin gewesen. Das sah man, seine Zehennägel waren tief im Nagelbett abgefräst. Die dicke Blase scheuerte bestimmt bei jedem Schritt.

      Ich erzählte ihm, dass ich bei einer Pilgersendung im Fernsehen gesehen hätte, wie eine Blase mit einer Nadel und Faden durchstochen worden war. Ich fragte Josef, ob ich das bei seinem Fuß machen soll. Seine sanften Augen unter dem gewellten Silberhaar schauten mich bittend an: „Ja tu es.“ Yippie, ich hatte ein Opfer. Geschwind holte ich mein Peregrino-Besteck. Desinfizierte Nadel und Faden und bat Josef mich in den Arm zu kneifen, wenn ich jetzt sage. Das lenke den Schmerz ab, hätte bei meinen Kindern auch immer geklappt. ”Jetzt“, ich durchstach den Zeh, schnitt den Faden ab und wir beobachteten mit zwischen den Beinen herunterhängenden Köpfen, wie der Suppsch am Faden aus der Blase tropfte. Josef sah mich zufrieden an und meinte, er hätte nichts gespürt.

      Da wir uns nun schon mal im Krankenlager befanden, erzählte Wolfgang, dass seine Wade ab und an schmerzen würde. Nun war Josef dran, er habe von seinem Arzt extra dafür Pillen mitbekommen, denn seine Beine würden auch immer wehtun. Er holte für Wolfgang eine dunkelrote Kapsel, die er dann schluckte. Ein junger Kölner mit kurzen gekringelten Löckchen berichtete, er hätte auch Probleme mit seinem einen Bein. Er hätte seine Mutter, die Ärztin sei, angerufen und sie habe ihm gesagt er solle sich Diclofinac besorgen. Genau das hatte Josef Wolfgang gegeben. Ich schrieb mir den Namen des Medikaments auf, damit wir es am nächsten Tag besorgen könnten.

      Da die Herberge ein sogenanntes Trockendock war, beschlossen die Blondies, Josef und wir, noch in das Lokal am Anfang des Ortes zu gehen. Die Blondies trugen immer einheitliche T-Shirts, hatten längere, ”natürlich“ blonde Haare und waren so ca. 35 Jahre jung. Die schlankere Blondie hatte ein stark geschwollenes, bandagiertes Knie. Sie meinte, ihr Meniskus mache ihr schwer zu schaffen. Wir zogen zu dem Nobellokal, um dort unseren Flüssigkeitshaushalt aufzufüllen. Auf der Terrasse bediente El Camarero freundlichst eine italienische Familie am Nebentisch, sie hatten zuvor im Innenraum gesessen und gegessen. Wir hatten nicht gegessen, wollten nur trinken und wurden unfreundlichst eher nicht bedient. Unsere Störung, wir wollten bezahlen, empfand er wohl als Dreistigkeit. Nach uns knallte er die Glastür zu und schloss ab. Hatte er Angst, wir würden in der Albergue von dem Lokal erzählen und es kämen noch mehr Pilger? Da konnte er völlig sorgenfrei den Abend erwarten, denn in diesem Lokal würden wir bestimmt nicht essen wollen.

      In der Albergue waren auch die ”Brünetties“, vom Nebentisch in S.D.d.l.Calzada, gelandet, fehlten nur noch die Frankfurter, aber die kamen nicht. Wir wollten gemeinsam ein Pilgermenu einnehmen. Beim Verlassen der Herberge meinte die schlanke Blondie irgendetwas von föhnen. Mein Unterkiefer ruckte tiefer: Du schleppst einen Föhn mit? Ja, im letzten Jahr wären sie auch einen Teil des Jakobsweges gelaufen, es war immer kalt und hätte ständig geregnet. Das verstand ich schon, aber ich hatte sogar auf Haarfestiger verzichtet, was man meiner Pusteblume schon ansah.

      Josef, die Blondies, die Brünetties und wir landeten vor einem nett aussehenden, rustikalen Lokal, eine einzelne Frau schloss sich uns an. Es war 18.50 Uhr, das Lokal sollte um 19.00 Uhr öffnen. Wir, ich hatte endlich Smoke-Gefährtinnen, rauchten eine.

      Plötzlich kam ein Pilger, er nächtigte auch in der Albergue, aus dem Restaurant gestürmt und regte sich darüber auf, dass er zehn Minuten gewartet hatte und keiner ihn bediente. Er zog wütend ab und wir um 19.00 Uhr in das Lokal. Tja, wer lesen kann, ist im Vorteil. Es war klein und gemütlich, aus großen Steinen gemauert und mit viel Nippes dekoriert. Schauten uns im Gastraum um, es standen zwei Vierertische und ein größerer Tisch im vorderen Raum. Der Größere war mit Coca-Cola Flaschen und Gläser, Brot und Brotkrümel belegt. Artig warteten wir, bis uns eine Sitzgelegenheit zugewiesen wurde. In Sekundenschnelle hatte der junge - äh, gut aussehende Camarero – eine sogenannte Rarität – den großen Tisch abgeräumt, mit neuer Tischdecke, Gläsern, Tellern und Besteck eingedeckt. Sie hatten ihren eigenen Tisch für uns geräumt.

      Mit acht Personen nahmen wir Platz, nett, wenn nur dieses wie überall übliche Riesen-LED-TV-Gerät nicht so laut plärren würde. Als außer uns keiner im Raum war, bog ich meinen Oberkörper zur Seite um an die Fernbedienung zu kommen und das Gerät etwas leiser zu stellen. Schade, leider kam doch einer, guckte mich in meiner schiefen Haltung und dann die Fernbedienung an. Nahm sie und stellte den Fernseher aus. So konnten wir uns doch unterhalten.

      Der gut beleibte Besitzer kam, um die Bestellungen aufzunehmen, er erklärte den Pollo mit Hahnenkamm und Pogewackel, den Stier mit den Metal-Hörnern und schwamm eine Runde für den Fisch, bei dem letzten zur Auswahl stehenden Essen war er ratlos. Fast alle entschieden sich für die Suppe als Vorspeise. Wir erfuhren, dass der Josef 71 Jahre alt ist und aus München kommt und verheiratet ist. Er war in Saint-Pied-de-Port gestartet und möchte den ganzen Weg gehen. Die Blondies, hatten jetzt beide ein Glitzer-Shirt an, wollten bis León gehen. Die Brünetties sind verheiratet und liefen immer 14 Tage, mehr würden die Familien nicht zulassen.

      Ich warf in den Raum, was sie denn dazu bringen würde zu laufen, mich hätte dieser Zwang noch nicht wirklich erreicht. Oh – da hatte ich ja was gesagt, es ging ein Ruck durch die Körper und sechs Augenpaare starrten mich an. Nur Wolfgang betrachtete seinen Teller. Josef begann, wenn er morgens startet, ist sein Körper voller Freude und will los. Die Brünetties gingen immer getrennt und fühlen sich während des Pilgerns völlig frei. Die Blondies gingen zusammen und fühlten wie Energie in sie ströme. Die Frau, die sich uns angeschlossen hatte, ca. Mitte der Vierzig, meinte, sie wäre im vorigen Jahr mit Ihrem Mann den Weg gegangen, hätte viel abgenommen und ginge jetzt alleine. Sie war so voller Traurigkeit, keiner fragte weiter nach.

      Es wurde uns eine kräftige Bohnensuppe serviert. Der Wirt zeigte uns gestenreich, dass wir für den nächsten