Margrit Lange

Mails von Marge


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wussten, dass wir ihn nicht wieder sehen.

      Zurück in der Albergue nahmen wir unsere trockene Wäsche von der Leine. Ich kann sogar unsere Socken wieder an Land ziehen. Wolfgangs linkes Knie schmerzte, er bekam von mir Tanjas Wundermittel 5 Globuli Rhus toxicodendron verpasst. Schrieb noch schnell SMS an die Kinder, breitete meinen Schlafsack im oberen Bett aus, legte mein Seideninlett darauf, stopfte die Schachtel mit Ohrenstöpsel unter das Kopfkissen und hüselte mich über die ”Leiter“ in das obere Bett. Schlüpfte in das Inlett, gar nicht so einfach, schlafbereit. Es war 21.00 Uhr und wir waren todmüde.

      Es begann die Pilgernacht. Ein Pilger nach dem anderen öffnete die Tür, holte etwas und ging wieder hinaus, kam wieder und legte sich ins Bett. Dies wiederholte sich 1/2–stündlich bis alle 10 Betten belegt waren. Der letzte Spanier machte etwas, was ich überhaupt nicht ab kann, er schloss die beiden Fenster. Einer schnarchte laut – sehr laut. Ich beugte mich zu Wolfgang hinunter: „Hey bist du das?“ Von unten kam nur: „Nein, ich bin das nicht!“ Es war der Spanier, der die Fenster geschlossen hatte. Na klasse, ich grabbelte nach meiner Packung Ohrenstöpsel, sie rutschte mir aus den Fingern und fiel hinab. Mist!! Oft hörte man, dass die Tür auf und zu ging. Pilger müssen auch in der Nacht auf die Toilette. Ich auch. Ich lag eingedrechselt in meinem Inlett und traute mich nicht, in dem stockdunklen Raum, das Bett über die Leiter zu verlassen. Irgendwann schlief auch ich ein.

      Es war immer noch dunkel und es kam leise Leben in die Bude. Hier wurde gekruschelt, dort wurde gekruschelt. Ich pellte mich aus meinem Inlett, schnappte mir meinen bereitgelegten Wasch- und Zahnputzbeutel. Endlich auf die Toilette. Die Lichtquellen in der Dusche und dem WC gingen automatisch aus. Auf der Toilette musste man von dem Lichtschalter bis zur Toilettenschüssel 3 m gehen. Man war fast am WC, da ging das Licht aus. Dieses Spiel wiederholte man, bis man Toilettenpapier in der Hand hatte und sich gemerkt hatte, wo das WC stand. Oder natürlich feststellte, dass das Papier alle war. Es war keins da.

      Ich war entnervt, unausgeschlafen raffte ich meinen Rucksack, Inlett und Schlafsack zusammen. Schmiss alles auf den Folterstuhl und packte ein. Wolfgang fragte mich, was den los wäre. Ich grummelte nur: „Fenster geschlossen, Schnarcher, Erstickungsanfall, ich will hier raus.“ Wolfgang sammelte seine Sachen auch ein, runter zum Frühstück.

      Es gab ein halb volles Glas Orangensaft, einen plörrigen Kaffee, drei Zwieback und drei trockene Kekschen, Minibutter, Marmelade. Das machte mich auch nicht gelassener. Wolfgang trank nur Kaffee und Saft. Ich war immer noch auf 100+, schnallte mir den Rucksack auf. Wieso ist denn mein Gürtelfach offen? Fasste hinein, mein Handy ist weg. Na, das passte ja prima, nun hatte ich aber die 200+ erreicht.

      Der Albergue Vater suchte mit mir verzweifelt das Zimmer ab. Nix. Er ließ sich meine Rufnummer geben und rief an. Nix. Bemerkte nur, es wäre eh ausgeschaltet. Gut das ich die Prepaid-Guthaben noch nicht aufgeladen hatte.

      Torres del Rio - Logroño

      Wir stiefelten am 18.05.2011 in Richtung Logroño los, zu laufende 21 km. Wolfgangs Knie war wieder friedlich. Es ging durch Weinberge über die üblichen Schotterpisten, immer schön rauf und runter. Ein kleiner verwilderter Park an einer Kirche mit Sitzgruppen aus Stein lud uns regelrecht zur Pause ein. Etwas entfernt saßen – ich nenn sie jetzt mal meine Chevaliers, – zwei Franzosen. Der Größere hatte volles weißes Haar und einen weißen Seidenschal um. Sein Compañero (Gefährte)ist etwas pummelig und hatte kaum Haare. Sie hatten nicht nur ihr Frühstück, sondern auch ihre Füße ausgepackt. Beim Anblick der mit Pflaster und Watte bestückten Füße wedelte ich mit der Hand und schickte ein internationales – oh haua haua ha – hinüber. Sie lachten uns an und wirkten sehr zufrieden. Wir stärkten uns mit Energiestangen (Bananen) und Wasser. Ein Ort zum Innehalten. Mit gegenseitig zugerufenem ¡Buen camino! verabschiedeten wir uns.

      Weiter ging es zum belebten Ort Viana, endlich einen Café con leche und Bocadillo. Wir trafen Paula wieder, sie hatte ihre Sticks verloren und kaufte sich neue Stöcker. Wolfgangs Rucksack stand vor mir, komisch, was hatte er denn da in der vorderen Tasche? Ich tippte vorsichtig mit dem Finger auf die Tasche – ich glaubte es ja nicht – öffnete die Tasche und? - da war mein Handy. Manchmal bin ich eine ganz schön blöde Else.

      Wolfgang ging noch Wasser besorgen. Mich lockte die gegenüber der Bar stehende Kirche Santa Maria an. Ich wollte für unsere Kinder drei Kerzen anzünden. Diese Kirche war so, wie ich sie mag, bescheiden, nicht wie sonst üblich mit Gold überladen. Neben dem Altar stand eine ca. 80 cm kleine Marienfigur, sie war angestrahlt. Von irgendwoher erklang leise klassische Musik. Ich setzte mich, schaute die Marienfigur an und hatte das Gefühl sie sah mich auch an. Ich schämte mich für meine schlechten Gedanken (Diebstahl?) am Morgen. Tränen liefen mir über die Wangen. Blieb noch einige Zeit in der Kirche, wollte auch noch niemanden sehen.

      Wir füllten unsere Flaschen auf, den Rest nahmen wir in den Gekauften mit. Holland kam, es war Zeit zum Gehen. Schnell wurde es wärmer, kaum schattenspendende Bäume oder Sträucher. Auf einmal knallte es an meinem rechten Ohr. Erschrocken schaute ich mich um, was war das denn? Da war keiner. Nahm meinen Rucksack ab – aha – von meiner Trinkflasche war das obere Teil abgeflogen. Suchte noch eine Weile im Gras nach dem Verschluss. Ursachenforschung, das besorgte Wasser entpuppte sich als Energie-Limonade. Die ”Energie“ hatte sich schon mal entladen, das Zeug schmeckte fürchterlich. Bei jedem Pausentrank schüttelten wir uns – bäh!

      Unter einer Brücke machten wir einen Schüttelstopp, da das einer der wenigen schattigen Stellen war, lagerten dort vier Frauen. Es waren Amerikanerinnen, zwei Junge und zwei Ältere. Sie schmierten sich mit einem Spork (vorne Löffel, hinten Gabel, an der Seite Messer) Brötchen mit in Tomatensoße eingelegtem Fisch.

      Komisch, nur der Anblick der Brötchen signalisierte dem Magen: Ich will das auch. Viel schlimmer war der Durst. Unser Getränk klebte den ganzen Rachen zu. In der Ferne war Logroño schon zu sehen. Liefen dann noch über lange Teerwege bis wir endlich Maria unter dem Feigenbaum erreichten. Bei ihr holten wir uns schön gekühltes Wasser und den besonderen Stempel. Wasser, Genuss pur. Beidseitig der Teerpiste vor Logroño waren Wiesen, die fast nur aus leuchtend rotem Mohn bestanden.

      Gleich auf der Brücke über dem Rio Ebro war die Informatión del peregrino. Da auch wir lernfähig waren, holten wir uns einen Stadtplan. Ich suchte nach Hostal**, wir hatten tatsächlich gleich das Hostal gefunden. Es war das La Numantina und ein Doppelzimmer war auch noch frei. Man das war ja diesmal ganz einfach. In einem gemütlichen, großzügigen Raum standen zwei große Betten. Ich schaute mir das Bad an, die grünen Kacheln kannte ich doch. Ich hatte dieses Hostal bereits zu Hause im Internet angeschaut. Wir fühlten uns auf Anhieb wohl.

      Wolfgang packte mal wieder seinen ganzen Rucksack aus und verteilte überall seine Tütchen und Bekleidungsstücke. Ich suchte immer nur die Dinge aus dem Rucksack, die ich benötigte und packte den Rest gleich wieder ein. Auf dem Stadtplan stand, dass es in der Straße eine Markthalle gibt. Frisch geduscht erkundeten wir die Stadt. Schauten uns die Öffnungszeiten der Markthalle an, prima, sie öffnete um 7.30 Uhr. Wir wollten uns am nächsten Tag etwas zum Frühstücken für unterwegs besorgen.

      Der Hunger trieb uns durch die Straßen. In Spanien wird aber erst ab ca. 20.00 Uhr gegessen. Endlich in einer kleinen Gasse entdeckten wir ein Restaurant, vor dem einige Spanier saßen. Altes Gesetz im Ausland, suche dir ein Restaurant, wo Einheimische essen. Diese Spanier hatten aber nur getrunken, das merkten wir aber zu spät. Wir setzten uns und wollten das Pilgermenu essen. Der Camarero (Kellner) trug ein helles Hemd und eine schwarze Hose an seinem dürren Körper. Seine Kleidung hatte sehr lange kein Wasser außer dem Schwitzwasser seiner Poren gesehen. Halblange Haare konnten sein gelangweiltes Gesicht nicht umwehen, denn sie waren fettig. Wieso hatten wir uns nicht einfach ein Getränk bestellt und sind wieder gegangen? Wir fragten nach dem Pilgermenu. Unfreundlich antwortete er gequält - Schneidezähne hatte er auch nicht - es würde erst ab 19.00 Uhr Essen geben. Es war 18.30 Uhr und wir blieben ungerührt sitzen. Wieder hatten wir den Moment verpasst, um zu gehen. Wütend stapfte er ins Lokal, kam wieder – ja, wir könnten essen. Das perlte so an uns ab. Das Essen war wie der Camarero, schlecht! Schon wieder etwas gelernt, wenn Spanier nur trinken, sollte man auch nur trinken.

      Zurück im Zimmer schlüpften wir frühzeitig