Margrit Lange

Mails von Marge


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Sie die Herberge nicht mit dem ebenfalls, nicht weit von hier befindlichen Club Siroco. Es handelt sich um ein Bordell. Suchte er das? Foto machen oder was.

      Schon waren wir durch Villamayor hindurch, kein Café con leche oder so. Wer mich kennt, weiß, dass man das nicht mit mir macht. Nonnengrimmig eilte ich im Hünenstickschritt vorwärts, denn eins macht man nie, zurückgehen!!! Irgendwann gab es einige Bäume am Weg. Ich blieb stehen und meinte, hör mal wie die Vögel singen. War eine ganz laue Anmache von mir, um die Wogen wieder zu glätten. Er konnte ja nicht wirklich was dafür, dass es kein Café mehr gab.

      Es wurde immer schwüler, wir waren müde und die Füße schon lange in ”Endzeitstimmung“. Wir pilgerten neben der Nationalstraße. Die aufmunternd hupenden Lastwagenfahrer lachte ich nicht mehr freundlich an, sondern grummelte erschöpft. Aber das sahen sie zum Glück nicht. Der Weg wollte nicht enden. Auch bei diesen letzten angeblichen 5,4 km müssen die sich verrechnet haben.

      In der Ferne tauchte dann am Ortseingang von Belorado die private Herberge, mit Doppelzimmer hoffentlich, a Santiago auf. Bis dahin und keinen Schritt weiter, sagte mein Kopf und wehe die sind belegt. 16,2 km ohne längere Pause das geht ja mal gar nicht. Vielleicht ist es auch anders, wenn man vorher darauf gefasst ist, dass keine Möglichkeiten der Unterwegserfrischungen kommen.

      Es war noch ein Doppelzimmer frei, gerne haben wir es genommen. Auf der Theke prangte frisch gebackener Kastenkuchen, der unverzüglich mit Kaffee geordert und Genuss verspeist wurde. Als wenn ein Schalter in meinem Kopf umgelegt wurde, ging es mir viel besser. Wir wurden durch die Albergue zum Zimmer geleitet. Aha, Waschmaschinen gab es auch. Nach dem Duschen raffte ich alle nicht am Körper befindlichen Kleidungsstücke zusammen und trottete zu den Waschmaschinen und Trocknern. Stopfte alles in eine Maschine, Farbe war mir wurst, schmiss die Geldstücke in den Zähler und drehte am Knopf. Der Zähler an der Wand tickte herunter, aber die Waschmaschine selber erzählte mir keine Trommelgeschichten. Hatte ich den falschen Zähler? Nö. Da musste ich doch hilfesuchend nach vorne laufen. In Begleitung ging es wieder zurück. Die junge Frau drehte den Knopf einen Millimeter in die andere Richtung und die Maschine lief. Ja ja, was hatte ich doch für einen Supertag.

      Die 700 m in den Ort waren uns zu weit, man muss ja auch immer zurücklaufen, im Ergebnis 1,4 km zusätzlich. Folglich beschlossen wir in der Albergue ein Pilgermenu einzunehmen. Nach unserer Bestellung wurde Paella an einen etwas weiter weg stehenden Tisch ausgegeben. Es gibt ja appetitlichen Fischgeruch und den anderen Geruch, hier war es definitiv der andere. Wären wir doch bloß noch gelaufen – oder weggelaufen. Die Strafe für uns faule Bande folgte. Es gab Rotwein, eisgekühlt (man singt das doch nur über Bommerlunder), eventuell damit die ”Qualität“ nicht so durch kommt. Die Vorspeisen, Spaghetti und Knoblauchsuppa, gingen ja noch, dann folgte mein Pollo umrahmt von Matschpommes. Das Öl in dem das Hähnchenbein, man hatte vergessen dem Bein die Gummistützstrümpfe abzunehmen, gebraten wurde, muss man sehr geliebt haben und konnte sich seit Längerem nicht von ihm trennen. Nach zweimaligem Anpicken war ich satt. Obwohl Wuschi nur gut mit dem Öl getränkte Spiegeleier mit Schinken gegessen hatte, verweigerte er auch el Pollo.

      Vor der Herberge auf der Terrasse saßen die Rasencamper mit Hund, der Stetsonträger war auch wieder dabei. Er wolle den nächsten Tag am Pool verbringen, es gab hier ein etwas größeres Planschbecken. Der kommende Tag wäre ja ein Sonntag, da würden keine Busse fahren. Ach – Mist – wir wollten auch mit dem Bus fahren. Völlig abgekämpft gingen die vier Amerikanerinnen winkend an der Albergue vorbei. Schade, es war das letzte Mal, dass wir sie trafen. Die jungen Leute kochten sich ihr Essen selber, der eigene Wein schien ihnen bestens zu schmecken. Ich erkundigte mich danach, wem denn der Hund gehöre. Sein Herrchen wäre ein Schweizer. Wir brachen auf, um schnell unsere auf der Spinne hängenden Wäschestücke vor dem nahenden Gewitter zu retten. Da kam der Schweizer beladen mit einer dampfenden Pfanne an mir vorbei. Vor Jahren wäre Bob Dylan auf seine Haartracht neidisch gewesen und jung war er auch nicht. Trotz Windböen hing sein Siffaroma einige Zeit nach, der erste Pilger mit Körpergeruch.

      Nun war unsere Wäsche frisch und trocken, sauber bis auf meine Fettflecken. Sie wollten wohl noch weiter mitlaufen und saßen immer noch dort, wo sie nicht hingehörten. Der kräftige Regen spülte die drückende Luft fort und wir sanken müde um 20.30 Uhr ins Bett.

      Belorado - Atapuerca

      Am nächsten Morgen pieselte es. Irgendwie wussten wir noch nicht wie wir weiter vorankommen. Wolfgang packte mal wieder alles ein, muss ein Spiel sein, komme noch dahinter. Beim Frühstück beobachteten wir die Pilger, die sich ihre Regenjacken anzogen oder in widerspenstige Regencapes pellten. Der Rucksack wurde mit der Regenhülle bedacht und mürrisch verließen sie die Herberge. Nur ein älterer Herr ging nicht. Es war Josef, er sei so kaputt von der gestrigen Strecke, schlug die Hände vors Gesicht und meinte, er könne heute einfach nicht laufen. Er hätte ein Taxi bestellt. Taxi? – Taxi?, bei diesem Wort funkte mein Gehirn: Mitfahren!! Wir boten Josef gern eine Dreierteilung des Fahrpreises an. Nach einiger Wartezeit kam ein Wagen und wir verstauten glücklich unsere Rucksäcke. Nun sollte es von Belorado bis San Juan de Ortega 24,8 km mit dem Auto vorwärtsgehen.

      Bevor wir losfuhren, tauchte noch ein Frankfurter Ehepaar, auch so um und bei sechzig, auf. Das Paar und Josef hatten in Domingo de la Calzada mit den jungen Frauen an dem Nebentisch gesessen. Sie hatte kurze dunkelrot gefärbte Haare und ungefähr meine ”Figur“. Er trug Schnurrbart und hatte kein Gramm Fett zu viel auf den Rippen, der wusste überhaupt nicht, was Speckröllchen sind, na doch - vom Anschauen. Die Frankfurterin beklagte sich darüber, dass er nie vor 8.30 Uhr aus dem Bett findet. So kämen sie immer viel zu spät los und würden dann immer über die Mittagszeit hinaus laufen. Sie war den Camino schon einmal alleine gelaufen und wollte jetzt mit ihrem Mann gehen. So richtig Lust hatte er aber sowieso nicht, auch täten ihm die Schultern vom Rucksack weh. Er schnallte sich frustriert sein Gepäck um. Jetzt sah man auch, warum sein Körper jammerte. Er zog die Bauchriegel nicht richtig fest, so trug er das Gewicht nicht auf den Hüften, sondern die Belastung lag auf den armen mageren Schultern. Na ja, Hüften hatte er ja auch nicht. Josef und wir machen ihn darauf aufmerksam, dass er die Gurte festziehen muss. Wir schickten sie mit dem üblichen Buen camino auf den nassen Weg.

      Nun aber zurück zum Taxi. Es ging mit dem Auto hinauf und hinunter, hier eine kurvige Straße, dort ein büsschen Serpentinen und wir fuhren lange – längere – noch längere Zeit. Im Kopf zählte ich schon mal das Geld, was wir noch übrig hatten. Na, ob das reichte? Für eine 10 Minutenfahrt hatten wir ja 20,-- € gezahlt. Beschließe ein gelassenes Gesicht aufzulegen und die Aussicht zu genießen. Wir landeten an der Kirche San Juan de Ortega. Der Taxifahrer nennt den Preis, ich fragte sicherheitshalber noch einmal nach – 35,00 €? Durch die Fahrt hatten wir uns nicht nur die 24,8 km, sondern auch einen Anstieg von 770 m auf 1.160 m erspart.

      Die kleine Kirche lud mich zum Eintreten ein, gerne nahm ich die Gelegenheit für unsere drei Kinder je eine Kerze anzuzünden wahr. Endlich wieder warmes flackerndes Licht. Draußen war es aber noch recht kühl, der Regen hatte sich verzogen. Josef meinte, er würde noch eine kleine Strecke laufen. Das taten wir auch. Es ging erst über Waldwege und später durch eine Weidelandschaft mit vielen Bäumen. Hatte mir oft auf dem Weg Bäume als Schattenspender gewünscht, die Sonne schien aber nicht und man brauchte keinen Schatten. Dafür waren die Bäume heute mal da.

      Wir pilgerten locker die 3,7 km nach Agés und weitere 2,6 km bis Atapuerca. Auf diesem Stück schoss Wolfgang ein heftiger Schmerz in das linke Bein. Bei jedem Abwärtslaufen fragte ich ihn, ob es noch ginge. Er erwiderte nur – ja, es geht. Gut, dass wir den Tag nur so wenig gelaufen waren.

      In Atapuerca angekommen liefen wir an einem Restaurant vorbei, dass ungewohnt nobel aussieht und stießen dann auf die Albergue El Peregrino (natürlich nicht nobel). Es warteten schon mehrere Pilger auf die Öffnung der Herberge, es ist erst 11.30 Uhr und sie würden um 14.00 Uhr öffnen. Habitatión doble war auch im Angebot. Josef kam um die Ecke, er möchte auch ein Zimmer für sich und nicht in ein Sechserzimmer. Josef und ich beschlossen den Ort nach anderen Unterkünften, Hostals oder Hotels, zu durchstreifen. Wolfgang blieb dort als ”Platzhalter“ an der Albergue sitzen.

      Versteckt hinter der Kirche entdeckten wir das Papasol, ein Hotel mit Restaurant.