Margrit Lange

Mails von Marge


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Der Camarero schaute schon leicht verstimmt. Ich blieb so was von ungerührt sitzen, schließlich möchte ich zu meinem Käffchen nachher eine schmöken. Ich schaute in den Himmel, Vogelschwärme ließen sich vom Wind treiben. Wir rätselten, um was für große Vögel es sich handelte, Reiher? Kraniche?. Wolfgang meinte Störche, ich war der Überzeugung, es könnten keine Störche sein, die haben viel längere Beine. Es waren Störche, beschließe das Thema mit: „Spanische Störche haben eben kürzere Beine.“ Ach, sieh mal einer an, unsere ersten Pilger aus Pamplona saßen im Innenraum des Restaurants.

      Zurück im Hotel möchte ich noch einen Café, Wolfgang verschwand nach oben. Beim Schlendern durch das Hotel entdeckte ich Zeitschriften, mal sehen, ob etwas Lesenswertes vorhanden ist. Nö, schaute hoch, dort hing ein kräftig gebauter Mann im Sessel, die Beine ausgestreckt, fast so als würde er gleich von der Sitzfläche fallen.

      Ich rief dem Mann ein fröhliches Hola zu, er antwortete mit – Hallo -. Aha, ein Deutscher. Wir plauderten. Nachdem mein Mann sich genug gewundert hatte, wo ich denn bliebe, kam er auch in die Halle zurück. Marcus kam aus Essen und war alleine unterwegs. Er gehörte der Fraktion der Bicis an, würde auch zu Hause fast täglich große Strecken mit dem Mountainbike fahren. Aber das hier, diese Anstiege gingen über seine Kräfte. Ständig hätte er das Empfinden, als wenn es immer nur steil bergauf gehe. Seine Beine brennen und der Po schmerze entsetzlich. Daher wohl die etwas unwürdige Sitzhaltung. Er würde auch fast nur noch Landstraße fahren, die Schotterpisten sind ihm zu gefährlich. Marcus wird wohl mal nicht an uns vorbei fliegen.

      Ich musste unbedingt noch einmal ”vor die Tür“, traf dort auf den Hanseaten. Sein Hinweis, dass der Wein köstlich sei und nur 0,70 € koste animierte mich zur Überprüfung. Es war wie auf der Mönckebergstraße im Straßenkaffee. Diverse Pilger flanierten umher, die Beiden aus Estella, man sollte sie ja an den hässlich blauen T-Shirts mit der gelben Muschel wiedererkennen, auch. Es waren diesmal nicht zwei Männer, sondern zwei Ehepaare. Alle trugen als Gruppenzeichen dieses Shirt. Einer ist der Wortführer, sie würden jeden Tag 30 km laufen – ohne Probleme. Ganz weit hinten in meinem Kopf schrillte eine Glocke, die Stimme kenn ich doch! Ja aber sicher doch, es musste der Zimmernachbar aus Estella, der die halbe Nacht mit meckern verbrachte, sein. Der Hanseat und ich überprüfen noch einmal den Preis und die Qualität des Weins.

      Ab in Bett. Wir schliefen sehr gut.

      Nájera – Santo Domingo de la Calzada

      Am Freitag den 20.05.2011 ging es nun von Nájera bis nach Santo Domingo de la Calzada 22,8 km. Ohne Frühstück geht aber erst mal nix. Wir nahmen das Angebot des Hotels an, Wolfgang wollte ein kontinentales und ich ein kleines Frühstück. Das Kleine entpuppte sich als Kaffee und Croissant, ein französisches Croissant, zum Eindippen. Ich mag sie lieber luftig leicht und natürlich frisch. Das Kontinentale beinhaltete einen großen Teller mit zwei Wurst-und zwei Käsescheiben. Der Teller war wirklich groß, man konnte sogar durch die Wurst und den Käse den großen Teller sehen. Als Blinder hätte man durchaus Schwierigkeiten, den Unterschied zwischen Teller und Belagscheiben zu ertasten.

      Wolfgang liest viel im Outdoor und teilte mir abends schon gerne mit, was den Böses auf mich zukäme, es gehe steil bergauf. Am Morgen um 8.00 Uhr war es noch angenehm kühl. Wir liefen durch die Weinberge und ich hielt mich an den Tipp von einem Bayer. Schön langsam laufen, nicht stehen bleiben, um Atem zu holen, lieber noch langsamer gehen. Der Hanseat, er hat eine ballonartige, schneeweiße Mütze auf, rauschte an mir vorbei, war mir völlig schnuppe, ich blieb im Schleichkatzenniveau. Das war schon viel besser. Wenn ich auf dem Wege einen Käfer oder sonstiges Getier sah, setzte ich meine Schritte immer so, dass ich auf keinen Fall auf das Tier trat. Ist ja ihr Weg und ich bin nur der Gast.

      Lange noch konnte ich die weiße Mütze des Hamburgers verfolgen, es war wie ein kurzes Aufblinken zwischen den saftig grünen Getreidefeldern und Weinbergen. Er wirkte so beschwingt, als schwebe er. Ich beneidete ihn – oder lag es an mehr Wein.

      Wir erreichten Azofra und waren froh endlich in einer Bar frühstücken zu können. Die Bocadillos waren so groß, dass wir uns eins teilten und die andere Hälfte einpackten. In der Bar sah ich eine junge Frau, die mir schon öfter auffiel. Sie hatte eine grüne - hellgrüne - keine froschgrüne - Jacke an und eine passende Mütze zierte ihren Kopf. Sie wirkte immer so alleine, so schüchtern, also steuerte ich sie an. Die junge Frau kam aus der Schweiz, hätte Probleme mit dem Knie und könne einfach nicht mehr. Sie wollte versuchen, mit dem Bus etwas weiter zu kommen. Ich verpasste ihr noch die Wunderkügelchen, wir lächelten uns zu. Gut das ich mal nicht sooo schüchtern bin. Die Osnabrücker trafen wir auch wieder an, so konnte man immer ein büsschen rumflachsen. Gut gestärkt zogen wir weiter.

      Die Sonne stieg, damit auch die Temperatur. Kurz vor Ciruena erreichten wir auf der Anhöhe einen hübschen Rastplatz. Neben gegossenen Betonliegen gab es auch Holzbänke und einen Brunnen. Holland sei Dank trank ich immer lieber das gekaufte Wasser. Unsere ”Erstpilger“ nickten uns lächelnd zu. Es wurde Zeit für den Energiestangenschub, die unumgängliche Banane und die Köstlichkeit eines halben Apfels folgte. Auf diesem Rastplatz tummelten sich auch meine Chevaliers, froh gelaunt wie immer. Ein älteres Ehepaar, was heißt älter – hö – hö, wahrscheinlich steckte man sie mit uns in einen ”Sack“, machten sich zum Aufbruch bereit. Er, ein Hüne von Mann, stakte mit den Sticks weit nach vorne ausholend los. Sie, war sehr schlank und mindestens 30 cm kleiner als er, trippelte nebenher. Beide hatten nur Tagesrucksäcke dabei. Ich fand seine Art zu laufen ungerecht. Für mich war klar, das können nur Deutsche sein.

      Wir wanderten hinunter – mag ich auch lieber – nach Ciruena. Die gelben Pfeile verwirrten mich, hier zeigte Einer nach rechts, darüber ein Barschild. Mein Kopf klingelte – Café con leche – Café con leche – aber Wolfgang wollte es wohl nicht hören. Er musste unbedingt dort langlaufen wo auch unsere ”Erstpilger“ zu sehen waren. Ach man! War aber richtig.

      Wir kamen durch eine Neubausiedlung, aber so was von neu. Alle Häuser wirkten so kalt, jeder Vorgarten sah gleich aus, was heißt Vorgarten - alles. Wie aus einem Science-Fiction Film, menschenleer, ich glaube, hier gab es auch keinen Vogel oder eine aufmüpfige Ameise oder irgendein Lebewesen – nix. Dafür einen großen Spielplatz und ein Schwimmbad. Leer, bei an die 30º, keine spielenden Kinder, kein Gejauchze, kein Planschen – nix. Hatte man sich das in der Hamburger HafenCity abgeschaut? Gruselig.

      Von Weitem können wir endlich Santo Domingo de la Calzada sehen, aber nur von Weitem. Die letzten Kilometer der Strecke zogen sich wieder wie Brei, die Sonne hatte ihre unbarmherzigste Hitze ausgepackt. Im Ortseingang schwächelte vor uns eine Koreanerin, setzte sich in einen Hauseingang, stand wieder auf, lief einige gequälte Schritte, setzte sich wieder hin. Auch wir waren am Ende mit unseren Kräften. Nun ging es wieder auf Unterkunftssuche. Hatte mal wieder von Wolfgang ein: „Es wird schwer, hier etwas zu bekommen, gehört“. Innerlich fing ich dann immer an zu brodeln – kochen - oder bis zum fast Überkochen. Auch Organisatoren sind mal müde!

      Um seinem Fragezeichenblick zu entkommen, ging ich gleich in das erste ***Hotel, um nach einem Doppelzimmer zu fragen. Komplete! Das Fragezeichengesicht änderte sich auf, ich habe es geahnt. Ab zur Informatión del peregrino. Alle Gedanken sind dann nur noch auf die Suche gerichtet. Suche mir wieder ein **Hostal aus. Auf dem Weg dorthin laufen wir direkt auf das *Hostal Peedro zu. Bei dem Anblick bekam ich das Grausen, alles hing schief und krumm am Haus und in den Fenstern, verlottert eben. Ach nö, dann doch eventuell lieber eine Albergue.

      Wir landeten im Hospederia Cistersiense. Man spürte dieses himmlische Willkommen, diese Herzenswärme, als wäre es wirklich das Haus des Herrn und die Engelchen könnten gleich ihre lieblichen Stimmen erklingen lassen. Vergiss es, wir sind hier auf der Erde. Die Kargheit eines Klosters war übernommen worden. In einem Glaskasten – Pförtnerloge bzw. ”Empfang“ - saß eine dickliche Nonne. Mit schnarrender Stimme – für den grimmigen Blick sollte sie am Abend ordentlich den Rosenkranz schwingen – wurde uns auf die Frage nach einem Habitatión doble ein sí mit dem Preis entgegen gebellt. Unsere Pilgerpässe bekamen ihre Stempel, wobei ich nur dachte – hey, die brauchen wir noch. So hatte ich mir die ”himmlische Betreuung“ nicht vorgestellt.

      Das Zimmer war im sechziger Jahre Stil gehalten.