Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


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Niemand kann ein Unterbewusstsein kriegen, wenn sein Gehirn nicht dafür ausgelegt ist.”

      Die Dolbs stimmten zu, es sei reine Spekulation, aber die einzige, die ihnen einfiel. Aber selbst wenn es so war, dann konnten die Dolbs jedenfalls an der Situation nichts ändern, weil sie mit Renko nicht kommunizieren konnten. Er hörte nur Gebimmel, verstand die Worte darin nicht, und auf die Bilder und Gedanken, die sie ihm sendeten, hatte er nicht reagiert – was logisch war: ohne funktionierendes Unterbewusstsein kein Empfang auf diesem Kanal.

      Josh seufzte. Das alles war ihm zu hoch und zu kompliziert und er wollte das eigentlich überhaupt nicht so genau wissen, nicht darüber nachdenken müssen. Er wollte nur, dass alles wieder so war wie vorher, Mann. Was sollte dieser Mist? Warum passierte das? Das war doch alles … Käse.

      Resigniert bedankte er sich. Die Dolbs hatten etwas herausgefunden, immerhin. Es war ja nicht ihre Schuld, dass Josh nichts damit anfangen konnte. Aber was jetzt? Was, um alles in der Welt, sollte er jetzt tun? Er musste das erst einmal verdauen und bat die Dolbs, ihn alleine zu lassen. Mitfühlend bimmelten sie ein paar Abschiedsworte und schwebten davon.

      Da saß er nun. Alleine. Hoffnungslos. Und zu allem Überfluss konnte er noch nicht einmal einfach zurück in die Wildsau zu Adasger wechseln, nein, er musste sich mit Zombie–Renko wieder durch diese elende Wüste quälen. Halleluja, echt. Am liebsten hätte Josh geweint, aber er konnte nicht. Er saß nur da wie betäubt und wollte raus aus der Nummer. Weg. Einfach nur weg. Nicht teleportieren zu können fühlte sich an, als hätte man ihm etwas amputiert.

      Im Amandaland

      Renko saß im Schneidersitz am Meer und hörte ein leises, bimmeliges Klingeln. Um ihn herum schwebten niedliche rote Gestalten, die aussahen wie kleine Buddhas. Amüsiert sah er Amanda an, aber die schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein, sah wieder stinksauer aus und schaukelte. Sie wackelte irgendwie und es war nicht das erste Mal, dass er das beobachtete. Skurril. Renko hatte gerade keine Lust auf einen Streit, also ließ er sie vor sich hin wackeln und sah lieber den kleinen Kerlen zu. Drollig. Sie schienen etwas zu wollen, aber er verstand nicht, was. Nach einer Weile verblassten sie und verschwanden. Schade.

      Im Dschungel

      Hivvy war jetzt erst recht überfordert. Sie hatte noch nie eine Entscheidung treffen müssen, wusste bis vor Kurzem gar nicht, was das war – erstaunlich, dass das überhaupt möglich war. Ein alter Mann war aufgetaucht und hatte ihr Dinge erklärt. Ohne Ohren hatte sie ihn nicht hören können, aber seine Gedanken waren bei ihr angekommen. Klar und deutlich – aber das war keine Hilfe gewesen. Nicht wirklich.

      Eine andere Elementepfütze … Es war ihr noch nie in den Sinn gekommen, dass es andere Elementepfützen geben könnte. Sie hatte es nie vermisst, denn sie hatte ja nichts vermissen können ohne Gefühle und ohne Seele. Es war nicht relevant gewesen.

      Diese Seele machte alles entsetzlich kompliziert. Hivvy wollte das nicht fühlen, wollte nichts entscheiden, fand es ungewohnt und eklig, aber diese Seele wollte es, sie war neugierig und freute sich auf … auf … alles? Das war so ein starker Sog, dass Hivvy das Gefühl hatte, sich dem nicht entziehen zu können. Schrecklich.

      Dieser Widerspruch war anstrengend. Wenigstens wusste sie jetzt, dass sie sich von den Gefühlen distanzieren konnte. Die Gefühle waren nicht ihre eigenen. Sie musste da nicht mitmachen, sich nicht davon beeinflussen lassen, sie konnte den Dschinn entstehen lassen und alles wäre wieder gut. Aber auch langweilig, wenn man der Seele glauben wollte. Hivvy kannte Langeweile nicht. War es langweilig eine Elementepfütze zu sein? Nein. Nicht, wenn man eine Elementepfütze war. Erst, wenn man keine mehr war, sah es nach einer langweiligen Existenz aus, soviel musste sie zugeben.

      Hivvy brütete vor sich hin, die Gedanken kreisten, verschiedenste Gefühle drohten, sie zu überwältigen, und es war ein einziges Chaos. Sie kam zu keinem Ergebnis. Zu allem Überfluss stellte sich ihr nun auch noch die Frage nach dem Sinn. Was war der Sinn von allem? Gab es einen? Wollte sie versuchen es herauszufinden? Es war zum Verrücktwerden!

      Der alte Mann kam zurück. Er hatte den Hund auf dem Arm, der immer noch Angst vor ihr hatte, das spürte sie, aber er hatte sich halbwegs beruhigt. Der Mann kniete sich vor sie hin. Das alles konnte sie ohne Augen natürlich nicht sehen, aber sie nahm es trotzdem wahr, so wie seine Gedanken und die Angst des Hundes.

      Wie war das möglich? Noch mehr Fragen. Sie hatte langsam die Nase voll von all diesen Fragen. Das Einfachste wäre wirklich die Sache mit dem Dschinn. Weg mit der Seele und gut, dann hätte sie wieder ihre Ruhe. Wollte sie ihre Ruhe? Ja. Nein. Vielleicht.

      „Wie sieht es aus, weißt du schon, ob du mit einer anderen Elementepfütze Gedanken austauschen möchtest? Ich könnte versuchen, auch einen Dschinn und einen Gestaltwandler zu holen, die auf diese Art entstanden sind. Dann könntest du drei Erfahrungen miteinander vergleichen.”

      Hivvy überlegte. Der Elementepfütze wäre es gleichgültig, denn sie konnte ihre Entscheidung nachträglich nicht in Frage stellen. Für sie wäre es automatisch normal, sich so entschieden zu haben. Der Dschinn und der Gestaltwandler könnten von ihren Erfahrungen berichten, ja, aber würde das einen Unterschied machen? Echte Erfahrungen konnte man nur selbst machen, in der Theorie taugten sie nichts. Woher sie das wusste? Noch so eine Frage ohne Antwort. Und stimmte das überhaupt? Egal, sie wollte sich nicht beeinflussen lassen. Sie würde das alleine entscheiden.

      „Gut. Dann lasse ich dich mit deinen Gedanken jetzt wieder alleine und gehe zurück in die Wildsau. Morgen früh komme ich wieder.”

      Der Mann hatte es verstanden und akzeptiert, einfach so. Das war seltsam tröstlich. Ihre erste Entscheidung – das fühlte sich gut an! Aber ob es die richtige Entscheidung gewesen war? Der Zweifel fühlte sich schrecklich an. Noch eine Frage, noch ein Widerspruch. Hörte das nie auf? Ging das so weiter, wenn sie die Seele bei sich behielt? Das war ja unerträglich! Aber auch spannend. Puuuh, wie anstrengend!

      Adasger ging zurück in die Wildsau und bat die KI, das Portal wieder zu schließen. Wieder kommentierte sie das Offensichtliche, aber Adasger war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als dass es ihm aufgefallen wäre. Er setzte Borowski auf den Boden, der zwar noch nicht ganz wieder der Alte war, jetzt aber wenigstens zaghaft schnüffelnd von einer Ecke in die andere lief und sich schließlich vor dem brennenden Kaminfeuer zusammenrollte.

      Der kleine Hund hatte vor ein paar Tagen ein T–Shirt von Renko gefunden und es sich dort hingezerrt. Er sah jetzt halbwegs ok aus. Gut. Sehr gut. Eine Sorge weniger. Adasger sah sich um. Womit sollte er anfangen? Erst einmal aufräumen. Genau. Den Müll einsammeln, das Geschirr stapeln und später abwaschen, die anderen Dinge in Schränke legen oder in Schubladen verschwinden lassen, je nachdem. Er fing an zu pfeifen und legte gutgelaunt los. Wie auch immer sich alles andere entwickeln würde, es würde auch ohne sein Zutun geschehen. Das tat es ja immer. Und wenn es an der Zeit war, einzugreifen und mitzumischen, dann würde er das deutlich spüren. Es war wie ein Schalter, der in ihm umgelegt wurde.

      Amanda und Josh

      Amanda ließ sich von ihrem Gandrock fallen, rollte sich auf den Rücken, schloss die Augen und blieb erst einmal liegen. Endlich! Der Boden schien zu schwanken, sie fühlte sich wie betrunken.

      Statt direkt zur Oase zu reiten, hatte sie einen Umweg gemacht und war in einiger Entfernung am Strand angekommen. Sie konnte die Oase bunt und üppig schillern sehen. Es sah einladend aus, aber weil sie nicht wusste, was sie dort erwartete, wollte sie erst einmal ausruhen und nachdenken – obwohl sie in den letzten zwei Wochen kaum etwas anderes getan hatte. Tag und Nacht war sie geritten, ohne sich eine Pause von dem Geschaukel zu gönnen, aber sie war immer noch zu keinem Ergebnis gekommen. Ihr graute vor dem, was sie zu tun gezwungen war, doch egal wie sehr sie sich den Kopf zerbrach, ihr fiel keine Lösung ein.

      Der Gandrock stubste sie mit dem Vorderhuf an. Ächzend stand sie auf, zahlte die Mietgebühr und schnallte den großen Behälter ab, den sie mitgebracht hatte. Dann wollte sie sich wieder in den Sand legen. Das Meer rauschte. Die Sonne brannte zwar nach wie vor heiß vom Himmel, aber durch einen leichten Wind war die Hitze hier angenehm. Ach verdammt, sie konnte es genauso