Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


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langsam an, sich zu leeren. Adasger hatte das ‚Geschlossen‘–Schild an die Tür gehängt, so dass keine neuen Gäste mehr dazu kamen. Schließlich waren alle Nesodoraner gegangen und Adasger setzte sich zu ihnen an den Tisch.

      „Wie ich sehe, hast du den Laden komplett umgekrempelt. Gar nicht wiederzuerkennen, Mann, gefällt mir, aber was ist aus der Selbstbedienung geworden?”, sagte Josh.

      „Mir hat das Kneipen–Ambiente irgendwann nicht mehr gefallen. Als mir die Decke auf den Kopf fiel, habe ich ein nesodoranisches Restaurant draus gemacht – aber das ist doch unwichtig. Erzählt mir lieber, was passiert ist. Wie ich sehe, hat sich an Renkos Zustand nichts verändert. Legt los, was habt ihr herausgefunden? Ich will die ganze Geschichte hören.”

      Und so erzählten sie ihm, was geschehen war. Na ja, eigentlich redete nur Josh, denn es war kaum möglich, ein Wort dazwischen zu kriegen. Gelegentlich unterbrach Amanda ihn, wenn sie etwas ergänzen wollte, aber es war deutlich einfacher, ihn stumpf quasseln zu lassen.

      „Und jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass Renko und Hivvy geblitzdingst werden. Dann ist alles wieder tippi–toppi, Mann”, schloss Josh seinen Bericht.

      „Ok, wenn du das sagst … Wann soll es losgehen?”, fragte Adasger.

      Josh musste nicht lange überlegen. „Meinetwegen sofort. Was meinst du? Bist du fit genug oder willst du erst mal schlafen?”, fragte er Amanda.

      „Schlafen wäre schon schön, aber ich würde das auch lieber sofort erledigen. Ich bin viel zu neugierig. Ist es weit in den Dschungel?”, fragte sie.

      Josh lachte auf, schnipste mit den Fingern und zeigte auf das offene Portal. „Nö. Nicht wirklich.” Er grinste breit. „Are you ready, ma'am?” Amanda grinste zurück. „Ready indeed, sir. Lass uns Blitze domptieren gehen.”

      Josh schnappte sich Renko, Amanda trug Borowski und Adasger schlenderte vergnügt hinter ihnen her. Während Josh und Amanda nach einer geeigneten Stelle suchten, an die sie Renko stellen konnten, sprach Adasger mit Hivvy und erklärte ihr die neue Lage der Dinge.

      „Bist du einverstanden, dass wir dir die Entscheidung abnehmen?”, fragte er sie. Die Welle der Erleichterung, die von Hivvy ausging, war so eindeutig, dass Adasger lächeln musste. „Wunderbar, dann steht der Operation Blitzdings ja nichts mehr im Wege. Es wird gleich losgehen. Halte dich bereit.”

      Inzwischen stand Renko nicht weit entfernt an einer freien Stelle inmitten des Dschungels. Josh hatte ihn mit einer Art Riesenantenne ausgestattet, die als Blitzmagnet fungieren sollte. Es sah etwas albern aus, wie ein Aluhut mit einem grotesk langen Stiel. Amanda konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, aber Renko ließ alles wie gewohnt teilnahmslos über sich ergehen. Hivvy bekam eine ähnliche Konstruktion verpasst.

      Josh hatte für Amanda vorsichtshalber einen faradayschen Käfig herbeigeschnipst, damit sie nicht aus Versehen auch getroffen wurde. Das Metall an und in ihrem Körper war ein zu großer Anziehungspunkt. Borowski wurde an Adasger weitergereicht.

      Am Himmel brodelte bereits ein Gewitter. Als alles erledigt war, sorgte Josh dafür, dass sich die Energiewolke über ihrem Standort verdichtete. Es donnerte und stürmte inzwischen ohrenbetäubend. Ein paar kleinere Blitze zuckten am Himmel, aber sie waren nur glitzerndes Beiwerk und minderten den fühlbaren Druck der aufgestauten Energien kein bisschen.

      „Es ist soweit, Mann!”, schrie Josh. „Lasst uns in Deckung gehen, dann schnipse ich den Blitz herbei!”

      Endlich waren sie bereit: Josh strahlend wie eine Diva kurz vor der Premiere, Amanda gespannt, Adasger vergnügt mit dem zappelnden Borowski kämpfend, Hivvy ungeduldig und Renko wie ein Roboter auf Standby. Es konnte losgehen.

      „Bäääääm!”, schrie Josh und schnipste mit einer dramatischen Geste. Der gewaltigste Blitz, den sie je gesehen hatten, krachte auf sie hernieder, gabelte sich und fuhr wie geplant in Hivvy und Renko – und das gewünschte Equivalent hoffentlich auch in Mesoran.

      Operation Blitzdings: done.

      You've been geblitzdingst I – Hivvy

      Der Blitz fuhr in Hivvy und entzog ihr die Seele. Als sei nichts geschehen, fuhr sie damit fort, den Müllberg – und auch die Antenne – zu assimilieren. Weder Erleichterung noch Irritation störten ihren inneren Frieden. Sie erinnerte sich an nichts, denn Elementepfützen haben keine Erinnerungen. Alles war normal. Sie tat die Dinge, die sie immer tat – ohne zu bemerken, dass sie sie immer tat.

      You've been geblitzdingst II – Mesoran

      Mesoran schlug die Augen auf und stellte fest, dass er in einem Krankenhaus lag. Er hatte merkwürdige Dinge geträumt, von Amanda, von schwebenden roten Buddhafiguren und einem unbeschreiblichen Gefühl der Freiheit – aber ohne die Erinnerung an den Drachen. Amanda … Er seufzte. Seit Jahren war er schon unsterblich in sie verliebt. Wo sie wohl steckte? Was sie wohl gerade machte? Ein Aufschrei riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Vater beugte sich über ihn und sah erleichtert aus – waren das etwa Tränen, die über Gordogans Gesicht liefen?

      „Dad?”

      „Oh mein Gott, da bist du ja wieder!“

      You've been geblitzdingst III – Renko

      Renko saß noch immer auf dem Berg und genoss die Aussicht. Er war tiefenentspannt, nicht der kleinste Gedanke ging ihm durch den Kopf. Dann tauchten die kleinen Buddhas wieder auf und klingelten niedlich vor sich hin. Renko lächelte – und zack, stand er mitten im Dschungel. Er war überrascht. Soweit er sich erinnerte, war er gerade noch mit Borowski durch den lichten Wald spaziert.

      Bevor er sich fragen konnte, was wohl passiert sein mochte, wurde er von einem überschwänglich bellenden und quiekenden Borowski angesprungen, dicht gefolgt von Josh, der Renko umriss und ihm dadurch die seltsame Antenne vom Kopf stieß.

      Die drei rollten lachend und sich balgend auf dem Boden herum. Falls Renko sich über Joshs und Borowskis Verhalten wunderte, merkte man davon nichts. Amanda sah stirnrunzelnd Adasger an, der nur lächelnd mit den Schultern zuckte. „Das ist normal, fürchte ich.” Amüsiert betrachtete er das tobende Knäuel. „Ich glaube, wir sollten sie eine Weile sich selbst überlassen. Wollen wir zurück in die Wildsau gehen? Ich könnte dir ein Zimmer herbeischnipsen, wenn du möchtest.”

      „Gerne. Schlafen wäre jetzt genau das Richtige”, antwortete sie dankbar.

      Sie schlenderten zurück und Adasger schnipste einen leeren Raum herbei. Quasi aus Reflex erinnerte sich Amanda an ihr Bett im Konglomerat. Sie war sich dessen gar nicht bewusst und erschrak, als das Bett plötzlich im Zimmer erschien.

      „Wie ich sehe, funktioniert Hivvy wieder einwandfrei”, gluckste Adasger, als er Amandas Gesichtsausdruck sah. „Es sieht ganz danach aus, als seist du jetzt ein anerkannter Teil der Wildsau, sonst würde sie nicht auf deine Gedanken reagieren. Herzlich willkommen.”

      Amanda wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und schwieg verblüfft.

      „Man muss mit den Gedanken hier ein wenig vorsichtig sein, sonst steht man ziemlich schnell knietief in allerlei Dingen”, fuhr Adasger fort. „Deswegen schnipsen wir. Das ist das Zeichen, dass wir das, woran wir denken, wirklich haben wollen. Wenn du das übernehmen möchtest, sag Hivvy einfach Bescheid. Du könntest statt des Schnipsens aber auch beispielsweise ‚so sei es‘ sagen oder ‚hex hex‘.”

      „Schnipsen ist gut. Wo ist Hivvy?”, fragte Amanda.

      „Sie ist immer genau da, wo sie gebraucht wird, wir können sie nur nicht sehen. Du brauchst deinen Schnipswunsch bloß einmal laut auszusprechen und kannst dich darauf verlassen, dass sie es hört und sich daran hält.”

      „Hivvy, bitte erfülle meine Wünsche nur dann, wenn ich mit den Fingern schnipse”, sagte Amanda zögernd und kam sich ziemlich albern dabei vor. „Und das funktioniert?”, fragte sie skeptisch.

      „Probiere es doch aus. Stell dir einen