Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


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seien für ein sehr wichtiges Projekt nötig, hatte er ihr erklärt, es habe absolute Priorität und unterläge der höchsten Geheimhaltungsstufe. Sie müsse die Dolbs so schnell es ging einfangen und herbringen, ohne dass die Nesodoraner oder irgend jemand sonst davon erfuhr. Er hatte ihr eingeschärft, dass es absolut dringend und geheim war, ihr einen saftigen Bonus in Aussicht gestellt und alles Nötige veranlasst. Er hatte außerdem heimlich die Speicherfunktion ihrer Datenbank und ihren Tracker deaktiviert, ohne es sie wissen zu lassen. Schließlich sollte niemand etwas von der Sache erfahren. Dann hatte er sie losgeschickt. Nun war es für ihn eine Frage des Wartens. Er saß wie auf glühenden Kohlen.

      Auch Dämonen haben Gefühle

      Der Drache flog mit Renko immer höher, bis sie die spärlichen Wolken am Himmel erreichten. Durch die Wolken zu fliegen gab dem Ganzen zusätzlich etwas Mystisches. Abwechselnd hauchzart und dann wie dicke Suppe an ihnen klebend waberten sie um die beiden herum. Als sie daraus hervorbrachen, wurde Renko von der grellen Sonne geblendet, die über den Wolken an einem strahlend blauen Himmel hing. Nachdem sie die Wolken hinter sich gelassen hatten, konnte er jenseits davon die Landschaft sehen, die sich unter ihnen erstreckte: Berge und Meer, wunderschön.

      Renko war schon in allen möglichen Fluggeräten auf den unterschiedlichsten Planeten durch die Gegend geflogen, aber frei auf einem lebendigen Drachen zu sitzen, war ein ganz anderes Erlebnis. Die gleichmäßigen Bewegungen der Muskeln, die rauen Schuppen, das Pulsieren des Herzens und der Wind auf seiner Haut gaben Renko ein intensives Gefühl von Verbundenheit und gleichzeitig von Freiheit. Es war unbeschreiblich, und je länger sie flogen, desto intensiver wurde dieses Gefühl.

      Gefühlsausbrüche waren nicht Renkos Ding, aber schließlich konnte er nicht anders. Er stieß vor Begeisterung einen Schrei aus und riss die Arme in die Luft, wie Josh es gerne tat, aber das reichte irgendwie nicht. Renko wollte sich bewegen, wollte aufstehen und den Wind am ganzen Körper fühlen. So gut es ging setzte er sich zuerst auf die Knie und stand dann vorsichtig balancierend auf – zwar etwas wackelig, aber er bekam es hin. Doch noch während Renko voll und ganz damit beschäftigt war, nicht vom Rücken des Drachens zu fallen und all die Gefühle zu verdauen, die in ihm brodelten, sackte der Drache unter ihm weg und kreiste nach rechts.

      Während Renko alarmiert feststellte, dass er nicht teleportieren konnte, beäugte ihn der Drache gelassen und drehte gemächlich ein paar Kreise um ihn herum. Schockiert schreiend und zappelnd fiel Renko ins bodenlose Nichts. Was, um alles in der Hölle … Er fiel und fiel und schrie sich die imaginäre Seele aus dem Leib. Schließlich fing der Drache Renko wieder auf, als sei es das Normalste der Welt. Fassungslos, gleichzeitig überdreht und ernüchtert und mit wild klopfendem Herzen versuchte Renko sich wieder zu beruhigen.

      You have been dolbed

      Die Dolbs waren wieder aufgetaucht, zuerst als durchsichtige Schatten, dann immer deutlicher werdend, bis sie schließlich vor Josh und Amanda in der Luft schwebten. Nachdem sie ihren Bericht über Gordogan beendet hatten, herrschte betretenes Schweigen. Josh war der erste, der seine Sprache wiederfand.

      „Das ist ja der Hammer”, sagte er. „Es gibt also keine Verschwörung, Mann, das ist doch gut zu wissen. Und ohne Tracker und Datenbank bist du raus aus der Nummer. Du kannst einfach abhauen.”

      „Ja”, antwortete Amanda lahm, aber mehr brachte sie nicht heraus.

      Schweigen.

      „Freust du dich gar nicht?”, fragte Josh schließlich irritiert.

      „Ehrlich gesagt, keinen Schimmer.”

      „Warum nicht, was ist los?”

      Amanda sah Josh lange an. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Gar nicht so leicht.

      „Also, ich konnte diesen Foregga ja von Anfang an nicht leiden. Ihm täglich dabei zusehen zu müssen, wie er sich anderen gegenüber benimmt, hat es nicht besser gemacht, im Gegenteil. Ich kann auch das Konglomerat nicht ausstehen, die ganze Gesellschaftsform geht mir gegen den Strich. Die sind doch alle komplett krank, wenn du mich fragst. Die ganze Zeit wollte ich einfach nur weg da.”

      Amanda verstummte und Josh wartete.

      „Aber?”, hakte er schließlich nach. Amanda ließ den Kopf hängen.

      „Verdammt!”

      „Aber verdammt?”

      Amanda lachte kurz auf. „Ja, aber verdammt, jetzt tut er mir leid und ich will ihm helfen. Ich will, dass alles wieder gut wird. Bin ich bescheuert, oder was? Er ist ein Arsch! Ein echter, riesiger Vollarsch!”

      „Ach, weißte, ich denke, niemand ist grundlos ein Vollarsch.”

      „Ja, na und? Hätte nicht so ziemlich jeder genug Gründe? Ob man sich deswegen benimmt wie ein Arsch, ist eine Entscheidung, vor der jeder mal steht, oder etwa nicht? Er hat es jedenfalls nicht verdient, dass ich jetzt anfange, Verständnis zu haben. Ich bin auch eigentlich viel zu sauer auf ihn.”

      „Jepp. Eigentlich.” Josh grinste.

      „Ach, verdammt. Sauer zu sein, war viel einfacher. Was machen wir denn jetzt?”

      „Keinen Schimmer. Erst mal sacken lassen?”

      Da bimmelten die Dolbs wieder. Gordogan war nur der Anfang dessen, was sie herausgefunden hatten.

      You have been dragoned

      Der Drache flog noch eine Weile mit Renko durch die Gegend und Renko hatte sich nach und nach tatsächlich wieder beruhigt. Als sie landeten, wandte sich der Drache von ihm ab und legte sich eingerollt wieder in die Brandung, als sei nichts gewesen. Renko wollte ihm zum Abschied die Hand auf die Schuppen legen, aber es fühlte sich unpassend an, also ließ er es bleiben, drehte sich einfach um und ging in Gedanken versunken zurück zu Amanda.

      Das heißt, er wollte zu ihr zurückkehren, aber verwundert stellte Renko fest, dass sie nicht mehr da war. Eigentlich gut so. Er wollte sowieso gerade lieber allein sein und das Erlebte in Ruhe verdauen. Statt sie zu suchen, legte er sich in den Sand und ließ die Geschehnisse noch einmal an seinem inneren Auge vorüberziehen.

      You have been mesoraned

      Die Dolbs hatten mehrfach versucht, Mesoran zu erreichen, aber vergeblich. Stattdessen waren sie immer wieder abwechselnd bei Renko und bei einer Elementepfütze gelandet, die reglos in einem Dschungel lag. Für sie war dadurch sofort klar, dass das nur eins bedeuten konnte: Mesorans Seele war nicht mehr in seinem Körper. Trotzdem blieb die Frage, wo sie denn nun abgeblieben war. Die Dolbs waren der Sache genauer auf den Grund gegangen und hatten herausgefunden, dass Mesoran von einem Blitz getroffen worden war. Der Blitz hatte ihn nicht getötet, ihm aber seine Seele entzogen.

      In der Energiewolke war Mesorans Unterbewusstsein zusammen mit seinen Erinnerungen von der Seele und dem Bewusstsein abgespalten worden. Die Elementepfütze und Renko waren ebenfalls von Blitzen getroffen worden. Mesorans Seele und Bewusstsein waren in der Elementepfütze gelandet, sein Unterbewusstsein und die Erinnerungen bei Renko. Renkos Gehirn war dafür nicht ausgelegt, und so war sein Bewusstsein auf die Ebene des Unterbewusstseins gewechselt.

      „Ach, du Scheiße …”, stöhnte Amanda.

      „Ja, echt.” Josh schüttelte den Kopf. „Was für ein Kuddelmuddel. Wer denkt sich denn sowas aus, hömma?”

      „Das ist so dämlich, dass ich jetzt am liebsten an einen Gott glauben würde, nur um ihm sagen zu können, dass er ein totaler Trottel ist.”

      Josh lachte. „Der wäre eindeutig gestört. Mit zu viel Langeweile und einem sadistischen Sinn für Humor. Das habe ich schon häufiger gedacht.”

      Die Dolbs bimmelten wieder und Josh bekam große Augen.

      „Wow, das wäre ja echt cool, Mann.”

      „Was denn?”

      „Die Dolbs sagen, dass sie das reparieren können.”

      „Ernsthaft?