Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


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sich.”

      „Ja, oder wir sterben bei dem Versuch.” Amanda rollte die Augen und zog eine Grimasse.

      „Ach, sterben müssen wir doch alle früher oder später, Mann. Das Leben an sich geht weiter.”

      „Bitte was?! Findest du den Gedanken etwa tröstlich?”

      „Ja, du nicht?”

      „Nö.”

      Nachdenklich starrten sie in die Flammen und Josh dachte automatisch wieder an Renko. Egal, wie Amanda das sah, für Josh würde auch das früher oder später einen Sinn ergeben, für irgendetwas würde es sich als gut erweisen, selbst wenn es ihm gerade nur tierisch auf die Nerven ging und er keine Ahnung hatte, was das alles sollte. Er vermisste seinen Freund, aber das half ja nichts. Er konnte nur hoffen, dass sie das bald überstanden hatten. Ob dann alles so werden würde wie vorher? Vermutlich nicht. Einschneidende Erlebnisse veränderten die Dinge üblicherweise. So oder so, Josh war gespannt, was am Ende bei der ganzen Sache rauskommen würde.

      Die unbucklige Wildsau

      In der Wildsau passierte nicht viel. Es dauerte drei Tage, aber endlich hatte Adasger sie fertig aufgeräumt und blitzsauber geschrubbt. Er hatte nichts mehr zu tun und sah sich um. Eigentlich mochte er Kneipen gar nicht. Sie waren ein geselliger Ort, aber ihn störte, dass Alkohol so ein zentraler Faktor war. Es war zwar angenehm, ab und zu mal ein wenig oder auch ein wenig mehr zu trinken, aber auf Dauer von dieser Atmosphäre umgeben zu sein, fühlte sich nicht gut an. Der ganze Raum schrie förmlich permanent ‚Alkohol‘. Er musste nicht lange überlegen und räumte kurzentschlossen die Flaschen über der Theke weg.

      Außerdem mochte er Bücher. Er kramte in den ungenutzten Räumen der Wildsau, fand ein Bücherregal, stellte es neben den Kamin und füllte es mit passender Lektüre. Na, das sah doch schon viel besser aus.

      Dann fiel sein Blick auf die Trophäe der Wildsau, die immer noch über der Theke hing, ohne Jörgen toter als tot. Die neue KI dazu zu ermuntern, ab und zu die Augen leuchten zu lassen, fühlte sich falsch an. Es war an der Zeit, diese Erinnerung ebenfalls verschwinden zu lassen, das Leben ging weiter. Mögen Jörgen und das arme Tier, das als Blickfänger hatte herhalten müssen, nun in Frieden ruhen. Adasger nahm die Trophäe ab und ersetzte sie durch eine impressionistische Skulptur aus Bronze, die jemand mal angeschleppt hatte: Sie zeigte den Kopf einer durch die Wand brechenden Wildsau mit irrem Blick.

      Er machte sich einen Kaffee, sah sich um und war vorläufig zufrieden. Noch nicht ganz ideal, aber ein Anfang. Er suchte im Regal nach einem guten Buch und machte es sich auf dem Sofa bequem. Borowski lag schlafend auf Renkos T–Shirt, im Kamin prasselte – wie immer – ein Feuer.

      Der Drache

      Renko sah den Drachen zurückkehren und war hin und weg von dem Anblick. Als dieser wieder halb im Meer lag, sah er so aus wie vorher: nur ein Felsen, auf den die Brandung krachte. Renko hätte ihn sich gerne aus der Nähe angesehen, aber er war sich nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre.

      Amanda war immer noch geistig abwesend. Langsam fing Renko an sich zu fragen, ob er sie vielleicht mal anstubsen sollte, aber er selbst hasste es, wenn er tief in Gedanken war und dabei gestört wurde, also ließ er es bleiben.

      Er sah wieder den Drachen an. Ach, warum eigentlich nicht. Renko stand auf und schlenderte langsam auf ihn zu. Was sollte ihm schon passieren? Feuer konnte ihm nichts anhaben. Der Drache könnte zwar angreifen und versuchen ihn zu fressen, aber notfalls könnte sich Renko einfach wegteleportieren.

      Doch dazu kam es gar nicht. Als er Renko sah, schnaubte der Drache zuerst ein paar Rauchwolken in seine Richtung – und drehte sich dann auf den Rücken. Renko musste lachen, das sah wirklich einzigartig albern aus. Der Drache benahm sich wie ein Hund, der gekrault werden wollte. Moment. Wollte er das etwa wirklich? Renko trat an die Seite des Drachens und strich zögernd über die Schuppen des Bauches. Er schien es zu mögen, zumindest ließ er es sich gefallen. Ganz hinauf reichte Renko nicht, dafür war er nicht groß genug. Er konnte den Puls des langsam und kräftig schlagenden Herzens fühlen. Es war nicht in Worte zu fassen, was Renko dabei empfand.

      Aus einem Impuls heraus kletterte Renko unbeholfen auf den Drachen und stand schließlich auf seinem Bauch. Die Gischt durchnässte Renko, aber davon bekam er gar nichts mit, denn der Herzschlag des Drachen drang durch seine nackten Füße und schien durch seinen ganzen Körper zu pulsieren, ganz im Einklang mit dem Schlag seines eigenen Herzens. Das war mit nichts zu vergleichen, was Renko jemals erlebt hatte. Er stand einfach nur da, schloss die Augen und genoss das Gefühl.

      Dann fing der Drache an, sich zu bewegen, ganz vorsichtig, wie es schien. Er warf Renko nicht ab, also bemühte dieser sich, oben zu bleiben, indem er sich balancierend den Bewegungen anpasste. Als sich der Drache vom Rücken auf den Bauch gedreht hatte, breitete er langsam die großen Flügel aus. Mit klopfendem Herzen setzte sich Renko auf die Schultern des riesigen Wesens. Nach zwei kräftigen Flügelschlägen, deren Bewegung Renko nach Luft schnappen ließen, erhob sich der Drache in die Luft. Sie flogen. Unfassbar. Sie flogen!

      Schritt für Schritt auf Umwegen

      Als sich Josh und Amanda am nächsten Tag mit den Dolbs trafen, herrschte eine gedrückte Stimmung, aber immerhin hatten sich alle ein wenig beruhigt. Josh war mit einer vagen Idee erwacht.

      „Egal, was wir machen, wir müssen die Nesodoraner vor der geplanten Entführung warnen, damit sie endlich Kontrollen für die Wüste einführen. Ansonsten sollten wir uns erst mal überlegen, was wir erreichen wollen”, sagte Josh zu Amanda und bimmelte den Satz dann für die Dolbs. „Es wäre doch am sinnvollsten, wenn das Konglomerat einen guten Grund hätte, die Idee mit der Entführung aufzugeben und Amanda gar nicht erst zu suchen, oder? Wenn sie beispielsweise denken, dass ihr alle tot seid, hättet ihr eure Ruhe. Was haltet ihr davon?”

      Amanda und die Dolbs waren skeptisch. Wie sollten sie das anstellen?

      „Grob umrissen: Ich könnte einen Schwarm erschaffen, der aussieht wie ihr”, wandte er sich an die Dolbs. „Amanda könnte so tun, als ob sie euch einfängt und an Bord ihres Shuttles bringt, damit das so abgespeichert wird. Wir müssten nur irgendwie an die Datenbank in deinem Kopf rankommen, Amanda, und die Erinnerungen an unser Treffen und die Gespräche löschen. Und dann tun wir so, als hätte das Shuttle irgendein technisches Problem und lassen es explodieren. Kurz bevor es hochgeht, teleportiere ich in einem PAL rüber und hole dich in die Wildsau.”

      Amanda lachte bitter auf und schüttelte frustriert den Kopf. „Abenteuerlich, aber viel zu kompliziert. Das klappt nie im Leben, völlig unmöglich. Außerdem: Sabotage erkennen die sofort, die sind doch nicht blöd. Die Datenbank ist verschlüsselt und gesichert. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich da leider nichts machen kann.”

      „Könnt ihr über euer Ebenen–Gebimmel herausfinden, wie man Amandas Datenbank entschlüsselt?”, fragte Josh die Dolbs.

      Nein, aber das war nicht wichtig, denn sie hatten eine vollkommen andere Idee: Sie wollten sich zu dem Auftraggeber durchbimmeln und versuchen herauszufinden, worum es überhaupt ging. Dazu bräuchten sie Amandas Hilfe. Sie sollte die Augen schließen und sich ihren Auftraggeber vorstellen so gut es ging.

      Josh übersetzte und Amanda probierte es aus. Ja, sie sah ihn deutlich vor sich.

      „Gut. Die Dolbs wollen sich einklinken, wenn du einverstanden bist. Sie werden sich dazu auf deinem Körper verteilen und bimmeln. Du sollst dich nur so gut es geht weiter auf das Bild konzentrieren, bis die Dolbs von ganz allein neben deinem Auftraggeber auftauchen. Wenn sie wieder verschwunden sind, kannst du die Augen öffnen. Den Rest kriegen sie alleine hin”, erklärte Josh ihr. „Einverstanden?”

      „Ich weiß nicht. Hältst du das für eine gute Idee?”

      „Keine Ahnung. Lassen wir sie doch einfach machen.”

      „Wir? Du hast leicht Reden, dich wollen sie ja nicht bebimmeln, du Eule.”

      „Hast du etwa Schiss?” Josh grinste.

      „Pah!