Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


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tätowieren lassen. Guck, das ist meine normale Hautfarbe.” Josh zeigte auf seine Tattoos. „Weißt du, wie Dschinn entstehen?”

      „Nicht genau. Aus Elementepfützen, habe ich gehört.”

      „Richtig. Normalerweise wird dazu die Seele eines Menschen, die das Ok gekriegt hat, in die große Energiewolke geschickt. Big Deal, kommt nur ganz selten vor. Es gibt nicht viele von uns Dschinn. Über einen Blitz wird sie dann quasi in eine Elementepfütze geschossen. Es handelt sich dabei um eine Seele, die schon so lange keinen Körper mehr hat, dass die Erinnerungen restlos verpufft sind. Das dauert eine ganze Weile.

      Bei mir war das anders. Ich war ein Mensch und lebte mein chaotisches, kleines Surferleben in Kalifornien. Dann hatte ich einen Unfall: Ich war total in Gedanken und bin aus Versehen vor ein Auto gelaufen. Bumm, tot, eigene Blödheit. Ich hab mich echt geärgert. Leider kann ich mich nicht erinnern, wie ich es geschafft habe, mich in die Energiewolke zu mogeln, und ich hab keine Ahnung, woher ich überhaupt davon wusste, Mann, aber ich bin durchgeflutscht und reingehüpft und war – zack – in der nächsten Elementepfütze, mit all meinen Erinnerungen und dem ganzen Blablabla.

      Die Elementepfütze hatte das alles schon mal durch. Das ist kein trivialer Prozess, und es ist unüblich, dass einer Elementepfütze das zweimal passiert, aber so war's – und deswegen hat sie meine Seele ratzfatz in einen Dschinn verwandelt, um so schnell wie möglich wieder ihre Ruhe zu haben. Und da stand ich dann, im Grunde meines Herzens der Surfer, von außen ganz blau.”

      „Ach herrje.” Amanda lachte.

      „Jau, Mann, aber das war nicht witzig. Ich war von Kopf bis Fuß knallblau und fand das ganz grässlich, sah echt scheiße aus. Erst mal musste ich nach Hause trampen, ich war mitten im Nirgendwo, aber wenigstens war ich im richtigen Land – im Nachhinein betrachtet war auch das ein mittelschweres Wunder.

      Meine Freunde wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, die sind ausgerastet, als ich versucht habe ihnen klarzumachen, wer ich bin. Idioten, dabei hätte es echt lustig werden können mit meinen neuen Fähigkeiten, aber davon hatte ich ja selbst noch keine Ahnung, ich wusste nicht einmal, dass ich ein Dschinn bin.

      Egal. Ich dachte, wenn ich diese blöde blaue Haut loswerde und wieder halbwegs aussehe wie ein normaler Mensch, kann ich mir woanders ein neues Leben aufbauen. Ich hab mich also tätowieren lassen, bin umgezogen und hab mir neue Freunde gesucht.

      Das hat auch geklappt und ging ne Weile gut, aber ich hatte ja diese Fähigkeiten und hab zufällig nach und nach mitgekriegt, was alles geht. Das war natürlich ein Schock für meine neuen Freunde. Manche fanden das gruselig und haben mich gemieden, andere haben gleich ein gieriges Glitzern in den Augen gehabt, deswegen bin ich sehr vorsichtig geworden.

      Außerdem habe ich mitgekriegt, dass ich nicht altere, da bin ich – um nicht aufzufallen – etwa alle zehn Jahre weitergezogen. Es war schon irgendwie ne coole Zeit, aufregend, keine Frage, aber es war auch grauenvoll, dauernd immer wieder alles hinter mir lassen zu müssen. Irgendwann hatte ich die Nase voll von dem Theater, vom Surferleben, von den Leuten und überhaupt, und bin auf den Mond gesprungen. Wollte nur mal ausprobieren, ob das geht. Teleportieren konnte ich schon, das hatte ich mitgekriegt, als ich mir sehnlichst gewünscht hab, wieder auf meinem Lieblingsfelsen am Strand zu sitzen. Und so ging das los, ich fing an zu reisen.”

      „Abgefahren. Und dann hast du Renko getroffen?”

      „Ja, aber erst ein paar Jahrzehnte später. Zuerst wurde ich erwischt und eingesackt. Neue Dschinn werden normalerweise zuerst ausgebildet, bevor sie auf die Allgemeinheit losgelassen werden. Ich hatte meine ersten Erfahrungen aber alleine gemacht. Das war nur deswegen möglich, weil ich von Anfang an nicht geplant war und niemand von mir wusste. Als ich dann auf Reisen gegangen bin, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich den falschen Leuten auffiel – das konnte ich natürlich nicht ahnen. Sie haben mich also schließlich geschnappt und mich zu der Ausbildung genötigt. Da habe ich überhaupt erst erfahren, dass ich ein Dschinn bin. Ich hab echt Ärger gekriegt, wurde immer wieder stundenlang ausgefragt, weil sie wissen wollten, was ich alles angerichtet hatte in meiner Unwissenheit, und ich musste monatelang all diese bescheuerten Übungen machen, warte, ich zeig's dir.”

      Josh sprang auf und legte los. Er schrumpfte und wuchs, während er wahllos Gegenstände erschuf und wieder verschwinden ließ. Als er keine Lust mehr hatte, setzte er sich wieder.

      „Eigentlich gehören noch Teleportationsübungen dazu, aber die kann ich dir hier nicht zeigen. Jedenfalls wurde ich gedrillt, bis ich das alles perfekt drauf hatte. Kotzlangweilig, ich war die ganze Zeit total genervt, aber jetzt kann ich das wenigstens alles.

      Als ich da endlich wieder weg durfte, habe ich mich sofort auf die Socken gemacht, das Universum erkunden und so. Ich war gerade mit ein paar Leuten zusammen und hab Party gemacht, da kam Renko dazu. Dieser große rote Typ fällt eh auf, aber dass er nicht spricht, macht ihn natürlich erst recht sonderbar und auffällig. Das war mir sympathisch.”

      „Wie, er spricht nicht – wie kommt das?”

      „Ach, das hab ich ja noch gar nicht erzählt. Ja, Renko spricht nicht. Keine Ahnung warum, so ist er eben. Wenn man ihn danach fragt, zuckt er nur mit den Schultern. Er könnte, wenn er wollte, soviel gibt er nickend zu, das war's aber auch schon. Und du?”, wechselte Josh das leidige Thema. „Wie bist du ein Cyborg geworden?”

      Amanda seufzte und erzählte ihm alles, was sie darüber wusste. Über die Zeit im Labor, über das Training, das eigentlich Spaß gemacht hatte, aber nicht das war, was sie mit ihrem Leben hätte machen wollen, über die Zusatzausbildung zum Bodyguard, über den Job, den sie langweilig und erniedrigend fand und über das Konglomerat, das überwiegend unsichtbar und unauffällig die gesamte Gesellschaft im Griff hatte. Alles nicht schlimm und sie sollte vielleicht dankbar sein, am Leben zu sein, aber es fühlte sich nicht nach Leben an, deshalb war sie es nicht.

      Unter der Kontrolle des Konglomerats zu stehen, gab ihr ein ungutes Gefühl, obwohl sie bisher keinen Grund gehabt hatte, sich zu beklagen. Allein den Gedanken, dass sie theoretisch Macht über sie hatten und über ihr Leben bestimmen konnten, fand sie unerträglich. Josh konnte das nachvollziehen und nickte nur.

      „Über den Auftrag, die Dolbs zu entführen, bin ich fast froh. Das gibt mir endlich einen echten Grund aus dem Teufelskreis auszubrechen”, sagte sie schließlich. „Aber die Konsequenzen sind grässlich. Ich wünschte, ich hätte eher die Kurve gekriegt, dann wäre das alles nicht passiert.”

      „Dann wäre es dir nicht passiert, stimmt schon, aber dann hätten sie jemand anders losgeschickt, der es vielleicht einfach gemacht hätte, ohne es zu hinterfragen. Dann hätten die Dolbs jetzt ein viel größeres Problem. Alles in allem also doch ganz gut, dass ausgerechnet du diesen Auftrag gekriegt hast.”

      „Verdrehst du die Realität immer so, wie es dir in den Kram passt und sich gut anhört?”

      „Ich verdrehe doch gar nichts. Es ist nur ein zusätzlicher Blickwinkel, das ist alles. Klar, man kann sich auf das konzentrieren, was an einer Situation grauenvoll ist, man kann sich aber auch überlegen, wozu etwas gut sein könnte. Ich finde es tröstlich, wenn ich mich auf den positiven Aspekt konzentriere. Dann bin ich entspannter und kann besser entscheiden, wie ich damit umgehen will. Alles hat zwei Seiten.”

      „Blödsinn. Gewalt und Unterdrückung haben keine zwei Seiten, die sind schrecklich, ohne Diskussion. Diktaturen sind ein Horror, was soll daran gut sein?”

      „Du drehst mir das Wort im Mund rum. Natürlich ist nicht ‚alles gut‘ als solches, aber wenn man zu verstehen versucht, wie beispielsweise Diktaturen entstehen und warum, dann kapiert man eine Menge über den Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach Freiheit und dem nach Sicherheit, über die Macht von Bedürfnissen. Was sie anrichten können und so, wenn man nicht aufpasst. Es reicht nicht, die Schuld auf eine Handvoll Bösewichte zu schieben und gut. Zumindest mir nicht.”

      „Mag sein, aber für so eine Analyse habe ich gerade keine Zeit, mir sitzt nämlich konkret eine Diktatur im Nacken, ganz egal wie sie entstanden ist.”

      Josh zuckte die Schultern und grinste Amanda an. „Wir finden