Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


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      Langeweile I

      Adasger stellte fest, dass er langsam anfing, sich zu langweilen. Es war sehr angenehm gewesen, eine Weile alleine in der Wildsau sein zu können, ohne Verpflichtungen und ohne ablenkende Gesellschaft. Er hatte viel gelesen oder einfach in Gedanken versunken dagesessen und das Feuer im Kamin betrachtet. Das bisschen Putzen, das in der Wildsau anfiel, war nicht der Rede wert, seit er es regelmäßig tat. Die KI verhielt sich ruhig und war kein sonderlich anregender Gesprächspartner. Hivvy brütete nach wie vor schweigend vor sich hin und wollte vor allem ihre Ruhe. Sich um Borowski zu kümmern, war angenehm, aber ebenfalls keine große Herausforderung. Was sollte er also tun?

      Er sah sich im Raum um. Sollte er die Wildsau wieder in eine Kneipe verwandeln? Oder vielleicht in ein Restaurant? Er könnte das ‚Geschlossen‘–Schild entfernen, das er bei ihrer Ankunft an die Tür gehängt hatte. Was aßen und tranken Nesodoraner eigentlich? Er beschloss, erst einmal Dasogra zu erkunden und herauszufinden, wie uninteressant es tatsächlich war und wie die Nesodoraner überhaupt tickten. Vielleicht inspirierte ihn das.

      Da er nicht wusste, ob Hunde in Dasogra willkommen waren, ließ er Borowski vorsichtshalber in der Wildsau zurück und machte sich alleine auf den Weg.

      Langeweile II

      Renko setzte sich auf und sah sich um. Strand, Meer und hinter ihm Berge. Keine Amanda, kein Drache. Was jetzt? Er stand auf und ging den Strand entlang. Als er genug davon hatte, ging er landeinwärts, hinauf in die Berge.

      Langeweile III

      Hivvy stellte fest, dass sich ihre Gedanken nun schon so lange im Kreis drehten, dass sie inzwischen richtig üble Laune hatte. Sie hatte es satt, herumzuliegen, sie hatte aber auch absolut keine Lust auf etwas anderes. Also blieb sie, wo sie war, hatte schlechte Laune und grübelte. Langsam gewöhnte sie sich daran. Es gab Schlimmeres, fand sie. Sie könnte jederzeit etwas anderes tun, sie wollte nur nicht. Genau. Sie wollte nicht, Punkt. Sie war sauer und streikte. Niemand konnte sie zwingen, eine so idiotische Entscheidung zu treffen. Dann hatte sie eben schlechte Laune. Na und? Pah!

      Operation Frankenstein

      „Wie bitte?!” Amanda sah irritiert von Josh zu den Dolbs und wieder zurück. „Spinnt ihr jetzt völlig?”

      „Sowieso. Wäre ja sonst langweilig, oder? Aber es ist eigentlich gar kein großes Ding, wenn du mal darüber nachdenkst. Es war ein Wunder, dass Mesoran den Blitz überlebt hat, der ihm die Seele geklaut hat, klar, aber um sie zu ihm zurückzuschaffen, ist das nicht nötig. Es gibt Blitze, die ungefährlich sind. Hast du schon mal eine tiefe Erkenntnis gehabt? Eine, die quasi durch deinen ganzen Körper explodiert ist und dich nachhaltig erschüttert hat?

      „Nein.”

      „Nicht? Oh. Na, egal, Mann. Es gibt sie. Sie können dich durchrütteln, sind aber ungefährlich. Diese Art von Blitz wird Mesoran abkriegen. Die Krawumm–Blitze brauchen wir nur für Renko und die Energiepfütze. Für die beiden ist das kein großes Ding, die können davon ja nicht sterben. Wir müssen nur dafür sorgen, dass Renko und die Energiepfütze ordentlich geblitzdingst werden. Die Dolbs können die Energie lenken, so dass alle Teile zurück in die Energiewolke gezogen werden und zusammengefügt in Mesoran landen. Voilà, alle Probleme gelöst.”

      „Ok, aber ich sehe hier weit und breit kein Wölkchen. Wie soll das ohne Gewitter funktionieren?”

      „Ich bin immer noch ein Dschinn. Ich kann hier so viel Gewitter herbeischnipsen, wie ich will, Mann. Renko wäre daher kein Problem, aber wir müssen mit ihm tatsächlich zu der Elementepfütze. Die Dolbs haben übrigens herausgefunden, dass sie Hivvy heißt und eigentlich zur Wildsau gehört. Absurd, ich weiß, aber hey, alles hängt mit allem zusammen. Universelles Gesetz der Dinge und so.” Josh grinste wieder breit. „Also müssen wir uns Renko schnappen und zurück zur Wildsau gandrocken. Von da aus können wir – schwupps – in den Dschungel und dann kann's losgehen.”

      „Wüste, ach ja. Ich will nicht wieder auf einem blöden Gandrock durch diese schreckliche Wüste reiten.” Amanda sah sich um. „Es ist so schön hier – und ich muss gar nicht weg. Wenn Foreggas Problem gelöst ist, bin ich egal. Er wird niemanden losschicken, um mich zu suchen, weil er garantiert nicht riskieren will, dass jemand von dieser ganzen Sache erfährt.”

      „Jepp, aber glaub mir: Idylle allein reicht nicht, Mann. Das ist auf Dauer nix für denkende Wesen, du wirst früher oder später durchdrehen.”

      Amanda lachte. „Lass das nicht die Dolbs hören.”

      „Ach, die sind hier ja nicht eingekerkert. Die können sich wegbimmeln, wann immer sie wollen.”

      „Hmmm … Stimmt.” Amanda dachte nach. „Sag mal, du brauchst mich doch gar nicht für dieses Blitz–Gedöns, oder? Lass mich ruhig hier bleiben, bis ich die Nase voll habe. Irgendwie gefällt mir die Idee.”

      „Das fänd ich schade. Was, wenn ich dir einen Job anbiete, der kein Job ist? Es wäre nicht schlecht, wenn wir in der Wildsau einen Cyborg in der Hinterhand hätten. Ach, komm schon, ich mag dich. Hast du wirklich keine Lust mitzukommen? Bist du gar nicht neugierig? Wird bestimmt ein einmaliges Erlebnis. Wie oft im Leben sorgt man schon dafür, dass irgendwo gezielt ein Blitz einschlägt? Und es gibt unglaublich viele schöne Strände, an denen man rumsitzen kann.”

      Amanda guckte Josh nachdenklich an. „Du magst mich?”, fragte sie skeptisch.

      „Ja, sicher. Warum guckst du so seltsam?”

      „Ich bin eine verdammte Maschine. Nützlich, praktisch, funktional. Ich bin bisher nicht drauf gekommen, dass mich jemand mögen könnte, glaube ich.” Amanda verdrehte die Augen und grinste dann. „Egal. Vielleicht hast du ja recht, es könnte ganz lustig werden. Gut, ich komme mit und guck mir die Wildsau an. Aber wehe, du quatschst mich in der Wüste nicht doof und dusselig, ich will Geschichten hören.”

      „Quatschen? Ha! Das kann ich. Du wirst noch bereuen, dir das gewünscht zu haben. Versprochen!”

      Nach einem letzten Picknick am Strand, begleitet vom zarten Gebimmel und Geklingel der Dolbs, beschlossen sie schließlich widerstrebend, dass es an der Zeit war, aufzubrechen. Viel vorzubereiten gab es nicht. Die Dolbs versicherten, dass sie es mitkriegen würden, sobald Josh und Amanda alles für die Blitz–Aktion vorbereitet hätten. Sie riefen die trödelig umherwandernden Gandrocks herbei. Josh und Amanda bugsierten gemeinsam Renko auf eins der Geräte und Amanda befestigte ihren Transportbehälter an einem der anderen. Dann verabschiedeten sie sich von den Dolbs und schon ging es los. Trotz angeregter Unterhaltung war der schaukelige Ritt schaukelig, der lange Weg lang und das alles nervte bis zum Anschlag, aber zu zweit war es wesentlich erträglicher.

      Amanda war neugierig auf die Wildsau und fragte Josh Löcher in den Bauch. Er erzähle ihr all das, woran er sich aus Adasgers Erzählung erinnern konnte: Ein gewisser Jörgen Svensson sei um das Jahr dreizehnhundert herum per Schiff nach England gelangt. Er sei Seefahrer gewesen und habe die Nase voll gehabt vom ewigen Wasser und dreckigen, lauten Häfen, allerdings habe er sich auch nicht niederlassen wollen. Sein Geld habe für zwei Pferde und einen soliden Planwagen gereicht. Er habe sich auf das Handeln und Bewirten verlegt und seinen Planwagen ‚Zur buckligen Wildsau‘ getauft.“

      „Eine fahrende Kneipe, wie ungewöhnlich.“

      „Ja, Mann, der muss echt ein Original gewesen sein. Er hat überall da angehalten, wo Menschen von ihrem Alltag gelangweilt waren und nur ihr Dorfleben kannten. Dann ist er eine Weile geblieben. Er hat ein großes Zelt und ein paar Bänke und Tische aufgestellt, Gerichte gekocht, die die Dörfler nicht kannten, Geschichten, Rezepte und dies und das getauscht, Bier und Verpflegung gekauft, allerlei Gewürze und Krimskrams verkauft und ist irgendwann weitergereist. Er war keiner der üblichen Gaukler. Er hat einen seriösen, freundlichen Eindruck gemacht und die Frauen und Töchter der Bauern in Ruhe gelassen, deswegen ist er nur selten in Schwierigkeiten geraten und generell überall willkommen gewesen.“

      „Kann ich mir vorstellen. Dorfleben