Anke Niebuhr

Zur buckligen Wildsau


Скачать книгу

      „Stimmt auch wieder. Wie ging es weiter?“

      „Er zog ein paar Jahre durch die Gegend und traf schließlich einen jungen Typen namens Michael“, erzählte Josh. „Der fand Jörgens Art zu leben toll und fühlte, dass sie gleichgesinnte Seelen waren. Die zwei verstanden sich auf Anhieb so gut, dass sie von da an gemeinsam durch England und Schottland reisten. Selbst als Jörgen alt und gebrechlich wurde, blieb er seiner Wildsau treu und Michael kümmerte sich um ihn, als wäre er sein eigener Sohn. Als Jörgen dann starb, war Michael am Boden zerstört und blieb erst mal in dem Dorf, in dem er Jörgen begraben hatte.“

      „Der Arme. Aber das war offenbar nicht das Ende der Wildsau.“

      „Nö. Nach ein paar Monaten merkte Michael, dass es ihn weiter zog. Er fand, dass er die Erinnerung an Jörgen am besten würdigen konnte, indem er mit der Wildsau weiterreiste, statt nur doof an seinem Grab zu stehen.

      Er brach also auf und reiste alleine weiter von Ort zu Ort. Eines Tages begegnete er einem Ehepaar, das sich kurzentschlossen ebenfalls Pferde und einen Planwagen kaufte und von da an gemeinsam mit ihm durch die Lande fuhr.

      Die Besitzer der Wildsau wechselten jahrzehntelang immer wieder. Manche verkauften Kunstwerke, einige machten Musik, andere waren Handwerker, aber es blieb immer eine sehr kleine, sehr unauffällige und harmlose Truppe, bis sich schließlich vierzehnhundertvierunddreißig an einer fast toten Wegkreuzung in der Nähe von London mehrere Menschen trafen, dort ihre Zelte aufschlugen und nach ein paar Monaten des Miteinanders beschlossen, sesshaft zu werden. Sie hatten anscheinend genug vom Herumreisen und wollten der Wildsau ein festes Zuhause geben. Sie fühlten sich an der Kreuzung wohl, die Umgebung gefiel ihnen, deshalb bauten sie dort die Kneipe und zogen ein. Viel Kundschaft gab es nicht, aber es hat wohl zum Überleben gereicht, weil sie zusätzlich Sachen verkauft und im Umland gearbeitet haben.”

      „Schade. Ich mochte die fahrende Kneipe”, warf Amanda ein.

      Josh nickte. „Ja, sehr schade, Mann, finde ich auch, und damit ging das Theater los”, sagte er grinsend und fuhr fort. „Was die nämlich nicht wussten: Die Kneipe hatte längst eine eigene Seele, nämlich die von Jörgen Svensson. Sie haben einen Katalysator eingesperrt – und der ist durchgedreht.“

      „Hört sich nach auweia an, aber was ist ein Katalysator?“

      Er erklärte es ihr. „Tja, und das Ende vom Lied war, dass die Höheren Mächte gezaubert haben. Jetzt kann die Wildsau durch Zeit und Raum reisen, Portale erschaffen und Dinge materialisieren. Und sie hat einen siebten Sinn dafür, wo Not am Mann oder Wesen ist.“

      „Ganz schön beeindruckend, aber was habt ihr jetzt genau mit der Wildsau zu tun?“

      „Jörgen hat sich entschlossen, dieser Welt den Rücken zu kehren, Mann. Er wollte ins Jenseits und da weiterziehen oder so, aber er wollte auch, dass die Wildsau weiter existiert, ohne ihn. Na ja, aber ohne Seele geht das nicht. Eine andere war nicht aufzutreiben, also haben sie überlegt und überlegt und sind dann drauf gekommen, dass sie einfach eine KI installieren könnten.“

      „Blöde Idee, aber was Besseres fällt mir auch nicht ein.“

      „Stimmt, mir auch nicht. Außerdem wollten sie keine vorgefertigte Persönlichkeit, sondern eine frische KI ohne alles. Ein Baby, quasi. So eine KI kannste nicht einfach mit einer Wildsau auf die Welt loslassen, also haben sie Babysitter gesucht.“

      Amanda lachte laut auf. „Und da sind sie ausgerechnet auf euch beide gekommen?“

      Josh grinste. „Ja, Mann, ich war genauso überrascht wie du. Scheinbar sind wir cool.“

      „Ich glaube nicht, dass das ein Kriterium war.“

      „Nö, du hast recht. Wir sind auch Katalysatoren, so, wie die Wildsau es war. Darum ging's denen wohl.“

      „Wow. Und wie ist es so mit der KI?“

      „Keine Ahnung. Renko ist zum Zombie geworden, bevor wir die Gelegenheit gekriegt haben, uns mit ihr auseinanderzusetzen.“

      „Ach du meine Güte. Na, dann kommt das noch auf euch zu.“

      „Und auf dich, du bist ja jetzt dabei. Mit gehangen, mit gefangen.“

      „Was? Auf keinen Fall! Ich halte mich da raus, das macht ihr mal schön alleine. Tschakka, ihr schafft das schon.“

      „Nix da. Sich drücken gildet nicht!“

      Nachdem sie sich ausgiebig per doch-nein-wohl-nö gestritten hatten, berichtete Josh in allen Einzelheiten von der Party, aber irgendwann hatte sich auch dieses Thema erschöpft. Stattdessen erzählte er ihr Anekdoten von den vielen Reisen, die er mit und ohne Renko unternommen hatte, und natürlich philosophierten und stritten sie angeregt über alle möglichen Themen. Bei einem Ritt durch die Wüste bleibt so etwas nicht aus.

      Sie ließen sich mehr Zeit als auf dem Hinweg und machten ab und zu Pausen, um etwas zu essen und von den verdammten Maschinen runterzukommen, aber nach knapp drei Wochen waren sie endlich, endlich, fucking damn endlich wieder zurück in Dasogra. Halleluja. Nie wieder Gandrocks! Da waren sie sich einig.

      Nichts als Natur

      Renko war auf dem Gipfel eines Berges angekommen. Er sah sich um. Der Berg, auf dem er stand, war nicht der höchste von allen, aber Renko konnte trotzdem sehr weit in alle Richtungen sehen. Es war ein atemberaubendes Panorama, von Zivilisation keine Spur, nicht die kleinste Hütte weit und breit. Da stand er nun, allein auf einem Berg, und fragte sich, wie er – zum Henker nochmal – an diesem Ort gelandet war, und auf welchem Planeten er sich eigentlich befand. Das ließ sich nicht feststellen, also setzte er sich hin, genoss die Aussicht und die Tatsache, dass er frei war. Frei von allem und jedem.

      Die Blitzdompteure

      Als Josh und Amanda die Wildsau betraten, blieb Josh wie angewurzelt stehen. Nur Amandas Cyborg–Reflexe verhinderten, dass sie gegen ihn prallte. Verwundert sah sie an ihm vorbei in den Raum. Es sah alles ganz normal aus, fand sie. Ein gut besuchtes, nesodoranisches Restaurant. Na gut, der Kellner passte nicht ins Bild, denn er war kein Nesodoraner, sah zu alt aus für den Job und war äußerst unpassend gekleidet, aber er wirkte, als sei er ganz in seinem Element.

      Josh lachte und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Adasger. „Das”, sagte er über die Schulter zu Amanda, „ist Adasger. Und das”, er machte eine ausholende Geste, „ist scheinbar die Wildsau. Sie sieht ganz anders aus als ich sie in Erinnerung hatte.”

      „Josh!” Adasger freute sich und kam auf die beiden zugeeilt. Er nahm den Dschinn lange in die Arme. „Wie ich sehe, hast du Besuch mitgebracht”, sagte er, als er sich wieder von seinem Freund löste. „Und wer bist du?”

      „Adasger, das ist Amanda. Amanda, das ist Adasger. Ich habe sie in der Oase aufgegabelt. Lange Geschichte.”

      „Sehr erfreut.” Adasger lächelte Amanda an und schüttelte ihr die Hand. „Kommt rein, setzt euch an den Kamin, ich bringe euch etwas zu essen. Ihr seid doch hungrig, oder?” Adasger nahm das ‚Reserviert‘ Schild vom Tisch neben dem Sofa. „Ich werde noch eine Weile beschäftigt sein, macht es euch solange gemütlich. Was kann ich euch bringen?”

      Sie einigten sich auf ein paar leckere Kleinigkeiten. Josh holte Renko, der noch vor der Tür stand, und setzte ihn in einen Sessel. Borowski, der jiffelnd um Renko herumgesprungen war seit sie die Tür geöffnet hatten, sprang auf Renkos Schoß und versuchte, ihm das Gesicht abzulecken. So ganz reichte er nicht bis nach oben. Seine hüpfenden Versuche sahen so bemitleidenswert aus – besonders weil Renko noch immer nicht darauf reagierte – dass Josh den zappelnden Hund auf den Arm nahm. „Das ist Renkos Hund, wie du dir vielleicht schon gedacht hast. Borowski, gib Pfötchen, das ist Tante Amanda. Wird höchste Zeit, dass wir das mit den Blitzen erledigen und das arme Tier von seinem Elend erlösen. Das ist ja nicht mit anzusehen, Mann.”

      Amanda kraulte Borowski hinter den Ohren. Da sie einen beruhigenderen Einfluss auf den Hund zu haben schien, reichte Josh ihn weiter. „Da, nimm du ihn. Du kannst