Rainer Homburger

Der Nagel


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habe mir wahnsinnige Sorgen um dich gemacht.« Eine junge Frau um die Dreißig schob sich zu Hans. Ihre großen, dunklen Pupillen strahlten im hellen Weiß ihrer Augen. Auch sie musste ein paar Freudentränen vergossen haben, denn der Glanz ihrer Augen war leicht getrübt, was ihrer Ausstrahlung aber keinen Abbruch tat. »Ich habe keine Nacht geschlafen, seit ich davon gehört habe«, sagte sie mit einem hoffnungsvollen Lächeln. »Sehen wir uns heute?«

      »Ich glaube nicht. Ich muss nachher noch zu Dornberger und heute Abend möchte ich mich einfach nur ausruhen. Vielleicht morgen, einverstanden?«

      Die junge Frau nickte mit einem leicht enttäuschten Lächeln auf den Lippen.

      »Ich bin so froh, dass das vorbei ist und ich freue mich einfach, euch alle wiederzusehen«, bedankte sich Hans in die Runde.

      Als Hans das Büro von Generalleutnant Dornberger betrat, war er innerlich wieder stark angespannt. Er wusste nicht, was ihn erwartete, hoffte aber, dass er endlich mehr über die genauen Gründe seiner Verhaftung erfuhr.

      »Du meldest dich dann nachher bei mir, abgemacht?«, hörte er Dieter noch sagen, der ihn gefahren hatte. Auch er wollte natürlich wissen, was vor sich ging.

      Hans betrat den Vorraum, in dem ein Tisch voller Unterlagen und Papiere lag. An einem zweiten Tisch saß Dornbergers Sekretärin, die auf einer Schreibmaschine tippte, als er hereinkam.

      »Hans, ich bin so froh, dich zu sehen.« Sie nickte ihm freundlich zu. »Du kannst reingehen«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf die Tür. Hans erwiderte ihr Lächeln, klopfte und trat ein.

      Generalleutnant Dornberger saß hinter seinem Schreibtisch. Am Fenster waren die Gardinen aufgezogen und gaben einen wunderschönen Blick auf die Landschaft von Peenemünde frei. Dornberger blickte kurz auf, dann sagte er. »Ich bin gleich so weit, nehmen Sie schon mal Platz.« Er zeigte mit seiner Hand auf den Tisch, der in einer Ecke des großzügigen Büros stand und wohl eher für die weniger geschäftlichen Gespräche gedacht war. Hans setzte sich und sein Blick schweifte durch das Arbeitszimmer. Er kannte das Büro von unzähligen Terminen und Besprechungen, doch hatten die Dinge diesmal eine andere Wirkung auf ihn. Dornberger ging noch ein paar Unterlagen durch, dann unterschrieb er ein Blatt Papier und klappte die Mappe zu.

      »So.« Er stand auf und kam auf ihn zu. »Wollen Sie einen Kaffee?«

      »Nein, danke. Ich möchte heute lieber früh zu Bett gehen und richtig schlafen. Die Nächte in Frankreich waren dahin gehend nicht sonderlich ergiebig.«

      »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte der Generalleutnant. »Erzählen Sie mir mal, was genau in Frankreich passiert ist. Das, was man mir bisher mitgeteilt hat, war nicht gerade sehr aufschlussreich.«

      Hans überlegte, wo er anfangen sollte. Er entschloss sich, eine Kurzform des Verlaufs seit seiner Ankunft in Lorient wiederzugeben.

      »Von Beginn an ging das Gerücht umher, dass bei unserem Sondereinsatz Spionage im Spiel sei. Die SS schnüffelte überall herum, kontrollierte alle Personen und überwachte deren Arbeiten. Es war kaum möglich, einen Schritt ohne Beobachtung zu machen. Das Gerücht erhielt weitere Nahrung, als festgestellt wurde, dass die Steckverbindungen zwischen dem U-Boot und dem Hänger nicht passten. Fritz hat zwar umgehend neue Stecker angefordert, aber aufgrund des engen Zeitplans hat er angefangen, die vorhandenen umzurüsten. Das Boot und die Rakete haben wir planmäßig einsatzbereit gemeldet und am Abend vor dem Auslaufen hat Großadmiral Dönitz vor der versammelten Mannschaft und uns Wissenschaftlern eine Rede gehalten. Direkt danach hat man mich verhaftet.«

      »Was hat man Ihnen vorgeworfen?«

      »Zuerst einmal hat man mir den Grund meiner Verhaftung nicht genannt. Sie haben mich mitgenommen und verhört. Dutzende Male wurde ich gefragt, ob ich Kontakt mit den Engländern aufgenommen oder Informationen weitergegeben habe.« Hans überlegte. »Keine Ahnung, wie sie auf mich gekommen sind. Ich habe nie ein Wort über das verloren, was wir hier machen. Ich liebe meine Arbeit, die Forschung und Entwicklung neuer Möglichkeiten, den Weltraum zu erobern. Ich habe immer meine ganze Energie in diese Tätigkeit gesteckt und an vielem, was wir bisher erreicht haben, erfolgreich mitgearbeitet.« Hans steigerte sich mit jedem Satz, seine Stimme wurde lauter und die Worte kamen ihm immer schneller über die Lippen. »Tag und Nacht war ich bereit, wenn es darum ging, Probleme zu analysieren, Fehlschläge zu bewerten und die gewonnenen Erkenntnisse in die weitere Entwicklung einfließen zu lassen. Ich war da, wenn man mich gebraucht hat ...«

      »Das weiß ich«, unterbrach ihn Dornberger. »Beruhigen Sie sich wieder. Mich müssen Sie nicht überzeugen. Ich weiß sehr wohl, was Sie für uns geleistet haben und ich vertraue Ihnen.« Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier, das er Hans reichte. »Dieses Schreiben habe ich am letzten Samstag erhalten. Darin steht, dass Beweise vorliegen, die Sie eindeutig der Spionage verdächtigen und Sie daher zum Schutz des Reichs am Freitagabend verhaftet wurden.«

      Hans setzte sich aufrecht und überflog die Zeilen.

      »Was das für Beweisstücke sind, steht hier aber nicht.«

      »Ich habe sofort den Reichsführer angerufen, weil ich mir sicher war, und es nach wie vor bin, dass es sich dabei um ein Missverständnis handeln musste. Allerdings habe ich ihn erst am Montag erreicht und die Situation mit ihm besprochen. Das erklärt vermutlich auch, warum Sie so lange im Gefängnis waren. Ich habe für Sie gebürgt. Himmler weiß um ihre Verdienste und hat mir versprochen, dass er sich darum kümmern werde. Nicht aber ohne mich noch einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass ich mit meinem Kopf für Sie geradestehe. Zu den Beweisen konnte aber auch er nichts sagen. Vielleicht erfahren wir es noch, womit ich aber nicht rechnen würde. Für mich ist die Sache damit erledigt.« Er beugte sich zu Hans vor und fuhr dann in leicht gedämpftem Ton fort. »Hans, machen Sie in Zukunft ihre Arbeit wie bisher. Denken Sie nicht mehr an das Geschehene. Ich schätze Sie und ihre Kompetenz. Ich weiß, dass Sie loyal sind zu unserem Führer und Vaterland. Wir müssen mehr denn je zusammenhalten und unsere Entwicklung weiterführen. Ich brauche jetzt jeden Mann, damit wir diesen Krieg zu einem baldigen Ende bringen können.« Dann setzte er sich wieder aufrecht. »Und jetzt schlafen Sie mal ordentlich. Ich erwarte Sie dann morgen ausgeruht an ihrem Arbeitsplatz.« Damit stand er auf.

      Hans zögerte. Er dachte an die Französin und die beiden Kinder. Er hatte versprochen, sich für sie einzusetzen. Ob er dies gegenüber Dornberger ansprechen sollte? Er entschied sich dagegen. Er kam zu dem Entschluss, dass der geeignete Moment dafür noch nicht gekommen war.

      London, Freitag, 9. Juni 1944, 09:50 Uhr

      »Gibt es schon was Neues?« Frank war mal wieder einfach so hereingeplatzt.

      David sah ihn mit abwesendem Blick entgegen.

      Frank verlangsamte den Schritt, zog die Augenbrauen zusammen und sah seinen Chef fragend an. »David?«

      David reagierte noch einige Sekunden nicht, dann erwachte er plötzlich zum Leben.

      »Wer war darüber informiert, dass Carl geheime Unterlagen im Koffer hatte?« Er warf den Stift auf den Schreibtisch, stand unvermittelt auf und ging durch sein Büro. Die linke Hand in der Hosentasche, den Zeigefinger der Rechten schwang er unablässig vor sich her. »Jemand muss es gewusst haben und hat versucht, Carl samt den Unterlagen aus dem Weg zu räumen. Es gibt Zeugen, die einen Mercedes gesehen haben, der mit hoher Geschwindigkeit dem Volvo gefolgt war.« David gab noch einmal die Fakten wieder, soweit sie ihnen bekannt waren. Das tat er oft, wenn er nachdachte und es half ihm, das weitere Vorgehen festzulegen. »Den Unfall selbst hat leider niemand beobachtet, sodass wir nicht wissen, ob der Mercedes wirklich darin verwickelt war. Da Carl noch nicht vernehmungsfähig ist, können wir bisher nur Vermutungen anstellen. Vieles spricht aber für eine Beteiligung des Wagens an dem Unfall und ist zudem die einzige Spur, die wir haben. Wer könnte in dem Auto gesessen haben?« Er stellte die Frage in den Raum, aber Frank fühlte sich angesprochen.

      »Die schwedische Regierung hat mir versichert, dass sie alle Mercedesfahrzeuge im Raum Stockholm überprüft. Davon gibt es zum Glück nicht so viele. Trotzdem braucht das Zeit. Und natürlich