beschäftigt, oder ganz Kavalier sich um eine besonders bequeme, angenehme Sitzposition der adretten Mitreisenden bemüht. Aber Herr K. hatte keine Sinne für diesen besonderen Moment – von denen es im Leben nicht so unendlich viele gibt. Und so saßen sich die beiden, jeder auf seine Weise beschäftigt, gegenüber und rollten ihrem endgültigen Fahrziel, Meter für Meter entgegen.
Ganz ohne Zweifel, sie war eine aufregende Erscheinung und brachte mit ihrer überraschenden Anwesenheit einen besonderen Glanz in den Zug – vor allem in dieses Abteil. Die langen, blonden Haare krönten edel ihr Haupt und fielen federleicht über die schmalen, fast zerbrechlich wirkenden Schultern nach vorne. Immer wieder strich sie diese reflexhaft zurück hinter ihre Ohren. Im Sonnenlicht, das während der Fahrt durch die Fenster fiel, glänzten diese goldenen Fäden mit der feinen, gebräunten Haut um die Wette. Fast wie seltene Naturphänomene, welche zeitlich perfekt abgestimmt einem unvergesslichen Naturschauspiel gleichkommen.
Beim Betrachten dieser Frau verfiel jeder sogleich in stille Begeisterung – so wie man es für ein besonderes Gemälde empfinden würde, das ein begnadeter Künstler in seinem Atelier mit größter Hingabe schuf und hernach der staunenden Öffentlichkeit zugänglich macht.
Nachdem sie den Sitzplatz eingenommen und für ihre notwendige Bequemlichkeit selber Sorge getragen hatte, schaute sie nicht einmal mehr auf – noch blickte sie im Abteil umher. Mit bewundernswerter Eleganz und Sicherheit kümmerte sie sich ausschließlich um ihre eigenen Belange. Sie war in ihrer Welt mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit unterwegs! Diese Welt stellte ein Notizbuch dar, in das sie sich vertieft hatte. Angefüllt mit zahlreichen Blättern und Notizen, ruhte das Sammelsurium von Blättern vor ihr auf den Beinen. Unheimlich konzentriert, fast schon angespannt, las sie den Inhalt einiger Seiten, oder trug etwas handschriftlich ein. Sie zeigte dabei keine erkennbaren Gefühlsregungen, noch konnte jemand an ihrem Gesicht ablesen, ob ihr etwas unangenehm aufstieß. Ob sie von dem drögen, respektlosen Verhalten ihres Gegenübers enttäuscht gewesen war, blieb weiterhin im Dunklen. Ob sie lieber an einem anderen Platz gesessen hätte, war ebenso ihr kleines Geheimnis geblieben.
Auch wenn sich Herr K. als gleichgültig und desinteressiert zeigte, war seine Ruhe erst einmal völlig dahin. Er bemühte sich entspannt zu wirken. Doch wer diesen verschlossenen Autor kannte, wusste was in seinen zahlreichen Hirnwindungen vorging. Vor allem beschäftigte ihn die überraschende Wahl ihres Sitzplatzes. Der Zug verfügte über genügend freie Sitzplätze – aber die Dame wählte jenen Platz, direkt ihm gegenüber! Warum?! War es also keine zufällige, sondern eine beabsichtigte Begegnung?! Die Sache wurde für ihn immer mysteriöser. Und ihr Stillsitzen und dieses konzentrierte Lesen wirkte zudem sehr unheimlich auf ihn. Der besorgte Autor fand keine Erklärung und so starrte er nervös durch das Fenster, um sich unbemerkt zu beruhigen! Aber es war einfach unmöglich in solch einem Moment zu entspannen. Ein schreckliches Unbehagen befiel seinen ganzen Körper und die Angst, wie in einem Kriminalstück ein beklagenswertes Opfer zu werden, hielt seine Augen beständig offen. Das Wechselspiel der tristen Gegend hinter der Scheibe trieb ihn erneut zurück ins Abteil. Auch wenn diese zahllosen, verwirrenden Gedanken ihn peinigten und die eigenartige Begegnung mit der Fremden Ängste auslöste, so fielen seine Augen doch wieder vor Erschöpfung zu. Aber einschlafen wollte er aus Angst nicht!
„Darf ich einen Blick in ihre Zeitung werfen“, holte ihre wohlklingende Stimme, Herrn K. aus den wilden und ängstigenden Gedanken heraus. Er nickte freundlich und reichte die Tageszeitung kommentarlos an. Als sie sich zu ihm herüberbeugte, fesselte dieser anregende Duft auf ihrer Haut seine Sinne erneut. Überraschenderweise wirkte er hierbei völlig aufgeräumt und kontrolliert. Seine Bedenken hatte er inzwischen leidlich unter Kontrolle gebracht.
„Wer so verführerisch duftet, solch eine liebliche Stimme besitzt und nur meine Tageszeitung lesen möchte, der kann keine Person mit üblen Absichten mir gegenüber sein“. Doch dieses wiedergewonnene innere Gleichgewicht versetzte ihn keinesfalls in Stimmung zu einem vertraulicheren Wortwechsel. Selbst eine belanglose Frage, noch eine gängige Bemerkung unterließ er hierbei vollkommen. Er wollte sich diskret zurückhalten. Doch die besondere Reserviertheit gegenüber der Dame hatte noch einen ganz anderen, viel einfacheren Grund. Dem zurückhaltenden Autor waren diese flüchtigen Begegnungen unheimlich lästig geworden. Schon sehr oft, in der Vergangenheit, erwuchs aus einem harmlosen Gespräch, ein leichtes Interesse und dann steigerte es sich zu einem loderndem Verlangen. Jedoch endeten diese Treffen, mit den grazilen Schönheiten, immer wieder in einer herben Katastrophe und maßlosen Enttäuschung. Herr K. wurde dabei, in der Vergangenheit, zu oft verletzt! Und bevor er wieder neue Herzschmerzen bekam, schaute Herr K. stattdessen lieber in die Fremde hinaus und erfreute sich an der Landschaft – den Äckern und Wiesen, den Wäldern und kleinen Ortschaften, die Mal langsam, Mal schneller an dem gleichgültigen Menschen vorüber zischten. Und in diesem Augenblick ahnte er, dass seine lange Einsamkeit seltsame Früchte hervorgebracht hatte. Seinem Sozialverhalten fehlte die Übung – hatte der schüchterne Autor doch in seinem Kämmerlein mehr Zeit mit Geschichten und in erdachten Welten zugebracht! Und nun wusste er die wirkliche Welt, mit der Anwesenheit ihre Bewohner nicht mehr wirklich zu schätzen. Von einem erfolgreichen Sozialkontakt einmal ganz abgesehen, der einen flüchtigen Blickkontakt und einen kurzen Gruß überdauern würde. Ein Trost blieb ihm indes: „Ich erkenne Schönheit, wenn ich sie sehe“! Dieser Umstand beruhigt ihn vorerst etwas.
„Fühlen sie sich auch einsam, machtlos und manchmal ohne das geringste Vertrauen in die Welt“?
„Bitte sehr“! Dabei schaute der Angesprochene verlegen in die Richtung des weiblichen Fahrgastes.
Sie hob die Tagespresse vor sich leicht nach vorn und deutete mit einem fragenden, kritischen Blick auf die Seiten. Hilflos zuckten des Autors Achseln einmal auf und nieder, gefolgt von ein paar höflichen, aber sinnlos dahin gestammelten Floskeln. Eilig schickte er aber noch ein „... und was halten sie von den vielen Meldungen und Nachrichten“, hinterher, um nicht allzu ungeschickt ihr gegenüber zu wirken. Sie schaute Herrn K. mit ihren leidenschaftlich leuchtenden Augen an, gab aber keine Antwort. Eine Erwiderung war keinesfalls nötig. Denn in diesem Augenblick bildeten diese Augen für ihn das Zentrum des gesamten Universums! Dem Autor reichte das zuversichtliche Strahlen in ihrem gesamten Gesicht als Antwort völlig aus. Der Dame entging dieser entrückte Blick ihres Gegenübers keineswegs. Und so schob sie flugs ein paar allgemeine Bemerkungen nach, um den dünnen Kontakt aufrecht zu halten.
„Die Welt ist, wie sie ist. Und das Leben hält für jeden eine geraume Anzahl von Überraschungen bereit, woraus sich wieder unheimlich viele Möglichkeiten ergeben... Man sollte nur bereit sein, das Leben anzunehmen und manche Veränderungen nicht einfach akzeptieren, sondern nach besseren Möglichkeiten für sich suchen“.
Schüchtern enthielt er sich jeden Kommentars und schaute nur in ihr frisches, lebendiges Gesicht mit den strahlend blauen Augen. Herr K. war von diesem einzigartigen Moment völlig erfüllt und über alle Maßen glücklich! Konnte er doch ohne Angst in ihrem Gesicht lesen und sich an allen Einzelheiten erfreuen. „Ich konnte mich bisher nicht beklagen“, setzte sie in forschem Ton hinzu und schaute mit einer spürbaren Genugtuung auf ihre zahlreichen Notizen. Hierbei strich sie mit der Handfläche fürsorglich über diese ansehnliche Blättersammlung.
Hilflos, wie ein dummer Junge, starrte Herr K. auf den Stapel Blätter neben ihr, der von ein paar ausgefransten Buchdeckeln zusammengehalten wurde. Dabei nickte er anerkennend mit dem Kopf und zollte ihr für die erbrachte Arbeit seinen aufrichtigen Respekt. „Was für eine Lebensgeschichte musste dort auf diesen Seiten schlummern, wenn es die Notizen dieser Frau, Anfang fünfzig gewesen waren“, trieb der Gedanke wie ein Blitz durch seinen Kopf. Allzu gerne hätte der Autor einen Blick hineingeworfen! Doch es war keine Tageszeitung, die man eben Mal so einem Fremden zur Einsicht preisgibt!
Der schüchterne Mann schwieg beharrlich – allerdings mehr aus Verlegenheit und dem Mangel an sinnvollen Erwiderungen! Hierzu legte sich eine freundliche Mine auf sein Gesicht. Er hätte leidenschaftlich gerne weiter geredet, jetzt wo eine angenehme Vertrautheit zwischen den beiden herrschte. Doch ihn, überfiel ein eigenartiges Unbehagen. Ihm war so, als wäre diese Frau unendlich weit von ihm selber entfernt, einerlei was der schüchterne Mann auch antworten, noch tun würde. Selbst seine Anwesenheit stünde im deutlichen Gegensatz zu ihrer Welt. Entsetzliche