zu erfahren, welchen wohlklingenden Rufnamen ihre Eltern seiner Gesprächspartnerin einstmals gaben. Als zwischen den beiden unvermittelt eine kurze Redepause entstanden war, schien sich eine günstige Gelegenheit zu bieten. Beherzt nutzte der schüchterne Autor diese Sekunde und flink stellte er sich mit seinem Namen vor. Als er sie darauf hin nach ihrem Namen fragen wollte, warf sie nebenbei einen fahrigen Blick aus dem Fenster.
„Die Station...ich muss hier aussteigen“, rief sie völlig entsetzt, aus heiterem Himmel aus.
Herr K starrte völlig erschrocken in ihr Gesicht. Diese Reaktion kam für ihn vollkommen unerwartet. Mit einem flinken Satz erhob sie sich von ihrem Platz, raffte ihre spärliche Habe zusammen und warf ihm noch einen letzten freundlichen Blick zu. Als sie sich mit einem kurzen Abschiedsgruß von dem überraschten Autor trennte, saß dieser wie gelähmt auf seinem Sitz. Er hatte mit so einem übereilten Aufbruch kaum gerechnet. Doch er fasste sich schnell wieder und warf der Dame einen wehmütigen Blick nach, als sie durch den engen Gang zum Ausstieg strebte. Der Schaffner, der schon alles für die bevorstehende Weiterfahrt vorbereiten wollte, schaute ebenso entgeistert, wie verstört. Das fluchtartige Verlassen der Dame hatte diesen unermüdlichen Angestellten vollkommen überrascht – rechnete er doch nicht mehr mit einem verspäteten Passagier, der den Zug so eilig verlassen wollte. Doch er trat sofort höflich von der Tür weg und grüßte dazu in seiner freundlich Art.
Aus irgendeiner Richtung, über den langen Bahnsteig hinweg, ertönte das Signal einer Pfeife. Eine unmissverständliche Mitteilung an den Lokführer zur Weiterfahrt. Kurz darauf schloss sich auch schon, mit einem leisen Zischen, die letzte Tür des Wagons. Unmittelbar darauf rollte der Zug mit unsichtbarer Kraft langsam voran.
Traurig schaute Herr K. auf den Bahnsteig hinaus. Personen und verschiedene Gegenstände zogen in langsamer Fahrt an seinem Fenster vorbei. Unbekannte Menschen liefen zum Ausgang. Andere Zeitgenossen waren in Gespräche vertieft, oder standen nur einfach in der Gegend herum.
Plötzlich tauchte die schöne Fremde noch ein letztes Mal vor ihm auf. Angestrengt suchend schaute diese den Bahnsteig auf und ab, so als würde sie an der Station von jemandem abholt. Für einen kurzen Augenblick streifte ihr Blick den Wagon und das Fenster hinter dem Herr K. saß und traurig hindurch sah. Er wollte ihr ein letztes Handzeichen zum Gruß zuwerfen, doch er ließ die Gelegenheit ungenutzt verstreichen. So hielt er sie nur mit seinen Augen fest und kostete jede Sekunde ihrer wundervollen Erscheinung aus. Gerne hätte er dort gestanden und bräsig mit ihr gemeinsam in der Mittagswärme gewartet. Sie blieb an ihrem Punkt stehen und schaute weiter suchend auf und ab. Der Zug bog in eine leichte Linkskurve ein und nach und nach rückte alles zurückliegende aus seinem Sichtfeld und wurde immer undeutlicher.
Einen kleinen Wimpernschlag später war auch sie auf einmal völlig aus seinem Blickfeld entschwunden – und damit auch aus seinem Leben!
Nach dieser zufälligen Begegnung
Der moderne Intercity - Express zog sich mühsam aus dem Bahnhof heraus – immer weiter, mit gemäßigter Geschwindigkeit, in Richtung seines endgültigen Reiseziels.
Im Nu hatte den Autor wieder eine innere Leere ergriffen. Diese sehr vertraute Empfindung, welche bisher sein treuer Begleiter war, hatte niemals zuvor in ihm einen Zustand ernsthafter Bedrückung, oder schmerzhafter Belästigung hervorgerufen. Doch als die attraktive Fremde sich immer weiter von ihm entfernte, in jenem Augenblick als sie auf dem Bahnsteig unerreichbar war, löste es eine eine ungekannte Niedergeschlagenheit aus. Ihm wurde unheimlich und sehr seltsam zumute, als hätte er sich vor wenigen Minuten schweren Herzens von einem vertrauten, sehr geliebten Menschen trennen müssen. Schwermütige Gedanken lagen wie Bleigewichte auf seiner zarten Seele. Der Körper ruhte hierbei in völliger Teilnahmslosigkeit auf dem Platz.
Die Frau, deren Namen Herr K. noch nicht einmal kannte, war einfach so aus seinem Blickfeld verschwunden, aber immer noch in dessen Gedächtnis lebhaft präsent.
Im Kopf schritt er jede einzelne Szene, jede Einzelheit, jede Geste dieser Begegnung, genau ab. Es verblieb noch genug Zeit sich die letzten neunzig Minuten Gespräch, mit der Dame, genau ins Gedächtnis zurück zurufen. Die lebendige Vorstellung erfrischte sein Herz und aus dieser Freude erwuchs ein herrliches Gefühl, in dem fahrenden Zug endlich angekommen zu sein. Doch es dauerte nicht lang und schon hatte ihn seine Betrübtheit erneut eingeholt und er machte sich nun wieder große Vorwürfe.
„Wie konnte mir diese Person ohne Namen je so nah kommen, sodass ich ab dem Augenblick der Trennung das Bedürfnis verspürte der Fremden unbedingt folgen zu wollen. Ja, sogar ihren Namen, der bis vor wenigen Stunden noch völlig belanglos für mich war, wollte ich jetzt in Erfahrung bringen. Obwohl ich bei Antritt der Reise froh war ungestört und alleine diese Fahrt machen zu können, vermisste ich ihre Gesellschaft“! Er begann sich zu quälen und bittere Vorwürfe über die grandiose Unfähigkeit geißelten sein Hirn.
„Jeder Kilometer der mich dieser Zug von ihr wegbringt, jede Sekunde die tatenlos verstreicht, ohne ein Wort mit ihr gesprochen zu haben, ohne Hoffnung jemals in meinem Leben nochmal den angenehmen Duft ihrer Haut zu erleben, ihre klangvolle Stimme vernehmen zu können, noch ihre Gegenwart zu spüren, reißt mich in ein tiefes Loch der vollkommenen Verzweiflung“!
Hier und Jetzt wurde ihm bewusst, dass er mit seinen erfundenen Geschichten und der mühseligen Schreiberei in einer verhängnisvollen Blase gelebt hatte. Eine völlig abgeschottete Welt, in der dieser Autor niemals allein hätte existieren können. Doch diese zwei Stunden lebendiger Wortwechsel mit der fremden Dame, eröffnete ihm eine neue ungewöhnliche Art des Lebens. Dieses Leben hätte es sein sollen, davon war er nun fest überzeugt, das er hätte leben müssen!
Bei all diesen anstrengenden Überlegungen schaute er, wie schon zu Beginn seiner Bahnfahrt, lediglich aus dem Fenster. Doch dieses Mal war es vollkommen anders. Seine Sinne kreisten nur noch um diesen besonderen Menschen, der wie ein heller Blitz in sein normales Leben geschlagen war – und der ihm genauso schnell wieder entrissen wurde. Herr K. empfand den Ausgang des Treffens als schrecklich ungerecht und in seiner ichbezogenen Einfalt ungeheuer grausam. Kein noch so idyllisches Landschaftspanorama, was sich vor dem Fenster auftat, konnte ihn mehr aufheitern. Die Sonne mit ihren grellen Strahlen wurde ihm plötzlich lästig – die Helligkeit schmerzte in den Augen entsetzlich.
Es fiel ihm schwer seine Lider zu schließen. Herr K. hätte sich dann nichts sehnlicher gewünscht, als das die wundervolle Fremde den verschlafenen Autor mit ihrer feinen Stimme erneut aus seinem Traum holt. So jedoch verging der Rest dieser langsamen Fahrt mit einem großen Bedauern und den endlosen, zermürbenden Zweifeln an sich selber.
Nach einer Stunde kündigte sich das bevorstehende Ende der Bahnfahrt an. Durch die Panoramafenster empfing den Zugreisende zeitgenössische Zweckarchitektur, die sich rechter Hand mächtig in den Himmel streckte und eng aneinandergeschmiegt Spalier stand. Dem Einheimischen kamen sie selbstverständlich vertraut vor, denn dieser wusste, dass sich Meter für Meter seine Bahnreise nun dem Ende näherte. Der Bahnhof, dieser großartigen und lebendigen Metropole, kündigte sich mit weit verzweigten Schienen- und Gleisanlagen auf dem Boden an. Reger Zugverkehr zu beiden Seiten zog an den Fenstern vorbei. Wohn- und Bürogebäude ragten nach und nach auf und warfen ihre Schatten auf die verwobenen Schienenstränge. Das laute Scheppern, auf der alten Eisenbahnbrücke aus Stahl und Metall, rüttelte jeden noch so verträumten Fahrgast wie ein Gewitterdonner aus seiner Lethargie heraus. Doch bei dem trübsinnigen Autor hatte das Rattern der Radreifen keinen erlösenden Effekt. Dafür haftete das Bild von dieser unvergesslichen Frau, klebrig wie Honig an dessen Gehirn.
Um ihn herum stieg eine aufdringliche Unruhe hoch. Auf allen belegten Sitzen herrschte rege Betriebsamkeit. Ein paar sperrige Gepäckstücke wurden aus den Fächern hinunter auf den Boden gestellt – kleinere Taschen eilig mit Habseligkeiten vollgepackt. Viele Kleinigkeiten verschwanden, mit wenigen Handgriffen, in freien Jackentaschen. Suchende Blicke wanderten noch ein letztes Mal über den Sitzplatz. Angespannte Fahrgäste hatten sich schon zeitig an der Tür versammelt und waren bereit zum hastigen Ausstieg. Ihnen war durch die herbe Verspätung nur wenig Zeit zum Umsteigen verblieben.
Der Zug fädelte